Gespaltene Stadt: Religion prägt nur den westlichen Stadtrand
Berlin ist noch immer geteilt, wie das Ergebnis des Volksentscheids über "Pro Reli" zeigt. Die Grenze aber verschwimmt. Zwar stimmte der Osten mit großer Mehrheit gegen "Reli" - der Westen aber keinesweges geschlossen dafür.
Die Karte scheint eindeutig. Berlins Westen ist tief dunkel eingefärbt, der Osten hingegen hell. So präsentierte der Landeswahlleiter am Tag nach dem Volksentscheid über "Pro Reli" die Stimmenverteilung in der Stadt. Der Religionsunterricht an Schulen fand danach seine Anänger überwiegend im alten West-Berlin. Der Osten wählte "Ethik".
Dennoch wäre es falsch, das Abstimmungsergebnis als Beleg für einen tiefen Riss zu werten, der auch 20 Jahre nach dem Mauerfall die Stadt in zwei Hälften teilt. Denn dann hätte "Pro Reli" eine klare Mehrheit für sich verbuchen müssen. Schließlich leben im Westen viel mehr Menschen als im Osten. Zudem war die Wahlbeteiligung in den Westbezirken deutlich höher. Ausschlaggebend war aber nicht, dass der Osten mit "Nein" gestimmt hat. Fatal für die Initiatoren von "Pro Reli" war vielmehr, dass sie auch den Westen nicht für wirklich sich verbuchen konnten.
Das beginnt schon bei der Wahlbeteiligung. Steglitz-Zehlendorf ist der einzige Bezirk, in dem das nötige Quorum von "Ja"-Stimmen erreicht wurde. Hier votierten 27,4 Prozent der Wahlberechtigen für "Pro Reli". Berlinweit hätten es 25 Prozent sein müssen. Und selbst bei denen, die ins Wahllokal gegangen waren, sind Brüche im Ost-West-Schema zu erkennen. Die reinen Ostbezirke stimmten mit 70 bis 80 Prozent für Ethik. Die reinen Westbezirke hingegen nur zu 60 bis 70 Prozent pro Reli.
Entscheidend war wohl auch das Votum der ost-west-übergreifenden Innenstadtbezirke Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg. Deren Bewohner stimmten hüben wie drüben eher "östlich", also für Ethik. In fast keinem Stimmbezirk der westlichen Ortsteile Wedding, Tiergarten und Kreuzberg gab es eine Mehrheit für "Pro Reli". Das setzt sich selbst in den Altbauvierteln von Schöneberg, Nord-Neukölln und Charlottenburg fort. Völlig aus dem Rahmen fällt in der Innenstadt nur das Wahllokal in der Heinich-Zille-Grundschule am Lausitzer Platz. Hier plädierten 81 Prozent für "Reli" - vielleicht eine Allianz eingebürgerter Muslime und kirchentreuer Eltern.
Von der angeblichen neuen Religiosität in einst alternativen, heute aber etablierten Vierteln in Prenzlauer Berg konnte "Pro Reli" nicht profitieren. Zwar war Pankow der einzige Bezirk, in dem annähernd so viele Wähler ihre Stimme abgaben wie vor einem Jahr beim Volksentscheid zum Flughafen Tempelhof. Aber das hohe Interesse am Thema nutzte "Pro Reli" nicht. Nur in zwei Wahllokalen an der Kastanienallee kam "Pro Reli" auf für Prenzlauer Berg überdurchschnittliche 42 bis 43 Prozent. Für einen Mehrheit reichte es auch hier nicht. Die gab es nur in zwei Pankower Wahllokalen in den Ortsteilen Blankenfelde und Buch. Sie liegen, wie fast alle Hochburgen der Religionsbefürworter, am äußersten Stadtrand.
Das mag kaum verwundern. Anfang April hatte das statistische Landesamt eine Karte mit den wenigen Viertel präsentiert, in denen noch mehr als 50 Prozent der Wahlberechtigten einer kirchensteuerpflichtigen Religion angehören: Marienfelde, Zehlendorf, Gatow und Frohnau. Jetzt stellten die Statistiker fest: hohe Wahlbeteiligung und viele "Pro Reli"-Voten gab es dort, wo viele Christen leben. Gesellschaftsprägendes Christentum aber ist in Berlin nur noch ein Vorortphänomen.
Detailergebnisse zum Volksentscheid: www.wahlen-berlin.de
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