Gesetz gegen Atomtransporte: Bremen sperrt sich gegen Brennstäbe
Bremen will nicht länger die norddeutsche Drehscheibe für internationale Atomtransporte sein. Deswegen wurde die Hafenordnung geändert.
BREMEN taz | Bremens Bürgerschaft hat die Änderung des Hafenbetriebsgesetzes beschlossen - mit einer satten Zweidrittel-Mehrheit, nur gegen die Stimmen der CDU. Danach soll der Transport von Atombrennstoffen in Zukunft nicht mehr erlaubt sein.
Wirtschafts- und Justizsenator Martin Günthner (SPD) räumte in der Debatte ein, dass das Land Bremen damit juristisches Neuland betrete. Falls es zu einer Verfassungsklage komme und dann am Ende das Gericht entscheide, sei dies ein "normaler Vorgang", so Günthner.
Wiederholt bereits haben norddeutsche Hafenstädte politische Beschlüsse gefasst, nach denen Atomtransporte über ihr Gebiet nicht stattfinden sollten, darunter Lübeck, Wilhelmshaven und Cuxhaven. Die niedersächsische Landesregierung, die derzeit von CDU und FDP gestellt wird, hatte diese Beschlüsse kommentarlos hingenommen. Die Umsetzung in geltendes Hafenrecht allerdings nahmen diese Kommunen nicht vor - aus Sorge, damit vor Gericht nicht bestehen zu können.
De facto wählen die Transportunternehmen meist größere Häfen. Das Bundesamt für Strahlenschutz überprüft nicht die Motive der Antragsteller, sondern nur die Genehmigungsfähigkeit der Routen. Über Hamburg liefen in den letzten Jahren eher wenige Kernbrennstoff-Transporte, möglicherweise, weil die Wege durch bewohntes Gebiet länger sind oder die Sicherheitsbedenken größer. So entwickelte sich Bremerhaven zu Norddeutschlands atomarer Drehscheibe.
Der Abgeordnete Klaus-Rainer Rupp (Die Linke) erklärte, dass im ersten Halbjahr 2011 insgesamt 11 Transporte mit atomaren Brennelementen über Bremerhaven gegangen seien - nur zwei davon kamen demnach aus Deutschland. In neun Fällen ging es um internationale Transporte, einmal ging sogar einer von Australien ins südfranzösische Marseille über Bremerhaven.
Meist waren es parlamentarische Anfragen und Studien, die einen ungefähren Überblick darüber geben, in welcher Dimension es Atomtransporte in den Häfen von Hamburg und Bremen gibt.
Bremen: 393 Transporte mit Kernbrennstoffen gingen nach einer Studie der Grünen-Bundestagsfraktionen zwischen 2000 und 2009 über Bremer Gebiet, 164 davon mit dem besonders gefährlichen Uranhexafluorid. Aus einer Antwort der Landesregierung auf eine Parlamentsanfrage der Linken geht hervor, dass allein zwischen 2005 und 2010 in den Bremer Häfen 334 Atomtransporte umgeschlagen wurden.
Hamburg: Zwischen August 2009 und August 2010 gab es 232 Atomtransporte mit Umschlag im Hamburger Hafen. 132 Mal wurde Kernbrennstoff transportiert, 100 Mal sonstige radioaktive Stoffe. Das ergab eine Studie der Linkspartei.
"Die Lösung der Atommüll-Problematik vorantreiben"
Mit solchen Details konnte Rupp den Einwurf der CDU-Faktion widerlegen, auch Bremen müsse einen Teil der "Lasten" des Atomausstiegs tragen: Damit nämlich habe kein einziger dieser Transporte etwas zu tun gehabt. Sollte aber eines Tages atomarer Müll, der über Bremische Häfen in die Welt verschifft wurde, wieder zurückgeholt werden, so Rupp, dann sei auch er dafür, das zuzulassen.
Der Linken-Abgeordnete plädierte dafür, die Einschränkung des Hafentransportes auch für andere Güter offenzulassen. "Wir können nicht stolz sein auf einen Hafen, über den Rüstungsgüter in alle Welt verschifft werden", so Rupp. Er benannte aber auch das triftigste Argument gegen eine solche Ausweitung: Für diverse Gefahrenstoffe gibt es gesetzliche Regelungen, sogar für Tropenholz existieren Vorschriften - nur für nukleare Brennelemente eben nicht. Eben das ist für die Rechtsgutachter des Bremer Senats die juristische Lücke, die eine landesgesetzliche Ausnahme möglich mache.
Die Bremer Handelskammer hatte sich ausgerechnet durch ein Gutachten des Bremer SPD-Politikers und früheren Bundestagsabgeordneten Volker Kröning das Gegenteil juristisch begründen lassen. Der nun gefasste Bürgerschaftsbeschluss missachte die Prinzipien der Bundestreue, erklärte die Handelskammer. Und verwies darauf, dass das Land Bremen Geld vom Bund einfordert, insbesondere für die Hafenentwicklung - mit der Begründung, dies sei eine nationale Aufgabe.
Dagegen nannte es Bürgermeister Jens Böhnsen (SPD) nicht hinnehmbar, dass eine Bundesbehörde mit Atomtransporten direkt in die Kompetenzen des Landes eingreifen könne und dieses keinerlei Mitspracherechte habe. Andere SPD-Redner verwiesen darauf, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Transporte ablehne.
"Wir wollen die Lösung der Atommüll-Problematik vorantreiben", sagte Anne Schierenbeck (Grüne). "Das hin-und-her-Verschieben hoch radioaktiver Kernbrennstoffe ist keine Lösung. Die Bundesregierung muss ernsthaft und transparent nach einem geeigneten Endlager suchen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf
Getöteter General in Moskau
Der Menschheit ein Wohlgefallen?
Wirtschaft im Wahlkampf
Friedrich Merz und die Quadratur des Kuchens
Ministerpräsidentenwahl in Sachsen
Der Kemmerich-Effekt als Risiko