Geschichtswissen: DDR jetzt blühende Landschaft
Berlins Schüler wissen kaum etwas über die DDR. Zugleich verklären sie den untergegangenen Staat. Sozialstandards seien dort höher gewesen. Die FU-Studie macht Schulen für Unwissen verantwortlich.
Fast die Hälfte der 2.350 befragten Berliner Schüler weiß nicht, in welchem Jahr die Mauer errichtet wurde. Das Thema DDR wird in der Schule kaum oder gar nicht behandelt, und die Schüler wissen deshalb nur sehr wenig über die deutsche Teilungsgeschichte. Das zumindest ist das Ergebnis einer Schülerbefragung des Forschungsverbundes SED-Staat der Freien Universität, deren Ergebnisse am Freitag vorgestellt wurden.
In Fragebögen erläuterten Schüler der 9. bis 11. Klassen von 22 Gymnasien und Gesamtschulen in Ost und West, wie sie die DDR einschätzen. Der Aussage "Die Stasi war ein Geheimdienst wie jeder andere" stimmten 39 Prozent der Ostberliner und 24 Prozent der Westberliner Schüler zu. Weniger als die Hälfte der Ostberliner Schüler glaubt, dass die DDR eine Diktatur war.
Zudem sollten die Schüler angeben, welches die Vorteile des jeweiligen deutschen Teilstaates waren. Niedrige Mieten, genügend Ausbildungs- und Arbeitsplätze und das Kindergarten- und Schulsystem werteten die Jugendlichen in Ost und West gleichermaßen als positive Aspekte der DDR. Der Bundesrepublik hielten sie Reise- und Pressefreiheit und Einkaufsmöglichkeiten zugute. 38,5 Prozent der Ostberliner und 63,3 Prozent der Westberliner Schüler halten die BRD für den besseren Staat.
Auch historisches Faktenwissen wurde abgefragt. "Konrad Adenauer würde aus dem Grab steigen, wenn er wüsste, dass fast jeder dritte Schüler glaubt, er sei ein DDR-Politiker gewesen", sagte Klaus Schröder vom Forschungsverbund. Außerdem gab jeder zweite Ostberliner Schüler und jeder fünfte Westberliner an, die DDR habe im Vergleich zur BRD die sauberere Umwelt gehabt. Die Mehrheit der Schüler konnte nur weniger als die Hälfte der Fragen richtig beantworten.
Die Berliner Schulverwaltung sieht die Ergebnisse kritisch: "Die Ergebnisse überraschen insofern, als 2006 eine bundesweite Studie zu völlig anderen Ergebnissen kam", sagt Pressesprecher Kenneth Frisse. Die frühere Studie - im Auftrag der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands - zeige, dass Berliner Schüler bundesweit über den besten Wissensstand über die DDR-Geschichte verfügten.
Insgesamt schneidet die DDR bei Fragen zum Alltag durchweg besser ab als die Bundesrepublik. Auch Westberliner Jugendliche glauben, dass der Familienzusammenhalt und die Hilfsbereitschaft in der DDR stärker ausgeprägt gewesen seien. Insgesamt stellten die Wissenschaftler fest, dass die Ostberliner Schüler dazu neigen, nur die sozialen Aspekte der DDR zu betrachten. Unter ihnen, urteilt Klaus Schröder vom Forschungsverbund SED-Staat, lebe die DDR fort "als sozial verklärte und politisch verharmloste Gesellschaft".
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