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Geschichtsaufarbeitung per Annonce

Mit bezahlten Anzeigen in Zeitungen suchen die Schweizer Banken nach Erben von Kontoinhabern, die dem Holocaust zum Opfer fielen. Doch jüdische Organisationen äußern sich skeptisch  ■ Von Anita Kugler

Berlin (taz) – Genau 1.756 Namen umfaßt die Liste der Schweizerischen Bankiervereinigung, die gestern im Wirtschaftsteil großer internationaler Tageszeitungen als bezahlte Anzeige und im Internet (http://www.dormantaccounts.ch) erschien. In Deutschland war sie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Süddeutschen Zeitung zu lesen. Morgen druckt sie die Zeit. Veröffentlicht sind die Namen, und wenn ermittelt werden konnte auch der Wohnort aller nichtschweizerischen Kunden, die vor Ende des Zweiten Weltkriegs in der Schweiz Konten eröffneten und sich nach 1945 nicht mehr gemeldet haben. Im Bankenjargon heißen ihre Konten „nachrichtenlose Konti“. Unter den Inhabern sind mehr als 270 Personen aus Deutschland aufgelistet.

Mit der dreiseitigen, mit einem schwarzen Trauerbalken markierten Anzeige leiteten die Schweizer Banken ein weltweites Verfahren ein, 52 Jahre nach dem Krieg die Kontenbesitzer oder ihre Erben aufzufinden. Anspruchberechtigte können sich bis Januar 1998 an die internationale Revisionsfirma Ernst & Young wenden, die in New York, Tel Aviv, Sydney, Budapest und Basel Kontaktstellen eingerichtet hat. Ein internationales Gremium von unabhängigen Schiedsrichtern wird dann die Ansprüche aufgrund von vereinfachten Beweisregeln beurteilen, was vermutlich bedeutet, daß die Schiedsstelle auf die früher von Schweizer Banken verlangte Vorlage von Sterbeurkunden verzichtet. Alle Gelder aus der Zeit des Holocaust, deren Eigentümer nicht gefunden werden, sollen, wie es in der Anzeige heißt, „für humanitäre und wohltätige Zwecke verwendet werden“.

Gestern erklärte die Schweizer Bankenvereinigung, auf den „nachrichtenlosen Konti“ seien insgesamt 60,2 Millionen Schweizer Franken (71,6 Millionen Mark) deponiert. Im Frühjahr 1996 hatte sie den Wert auf noch 40 Millionen Franken geschätzt. Der Jüdische Weltkongreß sprach dagegen bisher von einer Summe von mehreren Millarden Franken, was von den Bankern aber immer bestritten wurde. Auf zwei Drittel der Konten befinden sich nicht mehr als je 5.000 Franken. Zehn Prozent der „nachrichtenlosen Konti“ machen 90 Prozent des Gesamtwertes aus. Am 20. Oktober wollen die Bankiers eine weitere Liste veröffentlichen. Auf ihr sollen nur die Namen von Schweizer Kunden stehen.

Das seit gestern laufende Verfahren bricht mit allen eidgenössischen Traditionen. Erstmalig wurde das fast heilige Bankengeheimnis durchbrochen. „Das hat es weitweit noch nie gegeben“, erklärte Bankenverbandssprecherin Silvia Matile. Das Verfahren wurde nach langen Diskussionen zwischen der Eidgenössischen Bankenkommission und der „unabhängigen Kommission zur Eruierung nachrichtenloser Konten von Holocaust-Opfern“ unter der Leitung des früheren US-Notenbankpräsidenten Paul Volcker vereinbart. Großen Druck hatte auch Avraham Burg, Vorsitzender der Jewish Agency in Jerusalem, gemacht. Entscheidendes Kriterium für die jetzt eingeschlagene Flucht nach vorne war aber auch die Drohung von US-amerikanischen Sammelklagen gegen die Schweiz.

Die ersten Stellungnahmen von jüdischer Seite waren gestern verhalten. Die Aktion der Banken sei „zu wenig und kam zu spät“ meinte Lisa Gan Perkel von der Jewish Agency. Und Avraham Burg erklärte: „Nach all dem Gerede über Prinzipien und Gerechtigkeit ist es nun an der Zeit, daß Gerechtigkeit auch sichtbar und ausgeübt wird“. Michel Friedmann, Präsidiumsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland hingegen meinte: „Besser spät als gar nicht.“ Die Veröffentlichung dürfe allerdings nur der erste Schritt der Banken zu einer Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte sein.

Mit der wird sich die Schiedskommission noch ausführlich beschäftigen müssen, denn die Liste wirft eine ganze Menge Fragen auf. Die meisten der aufgeführten Namen und auch die früheren Wohnorte verraten, daß ihre Besitzer jüdischer Herkunft und vermutlich ermordet worden sind.

Die Liste enthält aber auch Ungereimtheiten. So tauchen darauf frühere Besitzer auf, wie die Firma Brockhaus in Leipzig, der „Männerchor Eintracht“ in Rheinfelden, ein Arbeitersportverein und eine Mineralwasserfabrik in Lettland, die „Bezirkssparkasse Gailingen“ oder Angehörige eigentlich leicht aufzufindender Hochadelsfamilien wie „Prinz Hermann von zur Lippe“. Auch die Namen russischer Emigranten in der Schweiz sind aufgelistet. Theoretisch könnten sich sogar die Namen früherer Nazis auf der Liste finden, die ihr Raubgold aus beispielsweise Riga nach Basel transferierten. Auf die nun kommenden Restitutionsforderungen darf man also gespannt sein.

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