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Geschichte einer ErschütterungDer Reporter

Manche Menschen sind nur kurze Wegbegleiter und hinterlassen doch einen Eindruck. Mir ging es so mit dem Reporter von der Lokalzeitung.

Gemeinsam auf demselben Weg unterwegs – und niemand weiß, wie lang Foto: Marijan Murat/dpa

D amals hat er mich nervös gemacht. Jetzt ist er nicht mehr da. Vor drei Jahren habe ich Filmaufnahmen an einer Straßenecke in Thüringen für meinen Film „Die Ecke“ gemacht. Wir wollten eine Straße absperren und haben das bei der Polizei angemeldet. Ein Reporter hatte dies im Vorhinein mitbekommen. Er schrieb mir per Mail, dass er über unseren Dreh berichten wolle. Ich war unglücklich, dass ein Reporter dazukommen wollte. Es stresste mich. Ich war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bereit für die Öffentlichkeit, ich wollte mich ganz auf den Dreh konzentrieren Aber ich konnte und wollte es auch nicht mehr verhindern, dass er da sein würde. Oft lösen Dinge etwas aus. Und dann ist es wichtig, diesen Dingen ihren Lauf zu lassen. Gerade beim Filmemachen entsteht oft so Unerwartetes.

Als wir schließlich an der Straßenecke drehten, kam sogar noch mehr Presse: die Zeitung, ein Fernsehteam. Der Reporter hatte sich als einziger vorher bei mir angemeldet. Er war beim Dreh zurückhaltend. Anders als die anderen Reporter hielt er sich im Hintergrund und machte als einer der letzten mit mir ein Interview.

Jetzt, nach weiteren Dreharbeiten, dem Schnitt und Corona-bedingten Pausen ist der Film „Die Ecke“ fertig geworden. Am Freitag haben wir ihn in Oberdorla gezeigt, dort, wo wir damals gedreht haben.

Der Reporter hatte mich gebeten, dass ich ihn über den Film auf dem Laufenden halte. Daher scrollte ich jetzt durch mein Handy. Ich fand seinen Namen und die Nummer seiner Redaktion. Als ich anrief, ging ein anderer Mann ans Telefon. Ich erzählte ihm, dass ich den Reporter zu dem Vorführtermin einladen wollte. Der Mann fragte mehrmals, was dieser Termin mit dem Reporter zu tun hätte. Ich verstand diese Fragen nicht. Ich wiederholte, dass ich dem Reporter versprochen hatte, mich zu melden. Aber er war nicht beim Film selbst involviert, fragte der Kollege. Wurde er von Ihnen interviewt? Kommt er im Film vor? Nein, sagte ich.

Der Abschied ist immer um uns

Dann erst räusperte sich der Mann. Der Kollege sei leider verstorben, sagt er.

Oh nein, entfuhr es mir sofort. Ja, sagte der Mann. Er wirkte betroffen. Jetzt verstand ich, warum er wissen wollte, ob sein Kollege zu sehen war. Ob es etwas von ihm gab aus der Zeit.

Als ich auflegte, dachte ich noch länger über den Reporter nach. Vor drei Jahren beim Dreh war er noch lebendig gewesen. Er war da, voller Tatkraft, ein Mann mittleren Alters. Jetzt war er tot. Damals wusste er vielleicht noch nicht, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleiben würde, dass er diesen Film nicht mehr sehen würde.

Ich dachte darüber nach, was wohl passiert war. Ich gab noch mal seinen Namen in mein Mail-Programm ein und las unseren Mailverlauf. Vor dem Dreh, der kurz nach Ostern stattfand, hatte mir der Reporter noch eine Nachricht geschickt: „Schönes Osterfest!!!“ stand da. Nach dem Dreh schrieb er: „Ich hoffe, ich habe nicht zu sehr gestört – ich kann sehr gut nachempfinden wie es ist, wenn man mal in Ruhe arbeiten möchte!“ Ich weiß noch, wie mich damals seine sensible Art nachhaltig gefreut hat.

Er schickte mir dann noch den Bericht, der aus unserem Gespräch entstanden war. Es war gut gewesen, dass er gekommen war. Erst danach habe ich mich für die Filmförderung beworben und darauf verwiesen, dass mein Film Medieninteresse hervorgerufen hätte, ich schickte auch seinen Beitrag.

Ich suchte ihn auch noch mal im Internet. Dort stand, dass der Reporter mit 45 Jahren verstorben war, schon ein Jahr nach unseren Dreharbeiten und am Ostersonntag, also genau ein Jahr, nachdem er mir damals ein schönes Osterfest gewünscht hatte.

Jetzt war die Premiere ohne ihn. Mich macht das traurig. Auch wenn er nur ein kurzer Wegbegleiter war, war es gut, wie er unser Vorhaben auf seine Art unterstützt hat. Es ist immer wieder merkwürdig, wie sehr uns der Tod erschüttert. Dabei ist der Abschied immer um uns. Und auch die Möglichkeit. Auch wenn er nicht zur Vorführung kommt. Den Beginn dieses Films hat der Reporter mitgestaltet.

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Christa Pfafferott
Autorin
Christa Pfafferott schreibt die Kolumne "Zwischen Menschen" für die taz. Sie wurde zum Dr. phil. in art. an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg promoviert. Sie hat zuvor Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg studiert und die Henri-Nannen-Journalistenschule absolviert. Sie lebt als Autorin und Regisseurin in Hamburg.
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1 Kommentar

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  • Liebe Frau Pfafferott,



    die Art, wie Sie mit offenen Sinnen durch den Alltag gehen und mit welchen einfühlsamen, sensiblen, ja fast zärtlichen Worten Sie Ihre Wahrnehmungen, Erfahrungen und Gefühlr be-schreiben, berührt mich immer wieder aufs Neue...



    Herzlichen Dank dafür!