Geschichte der deutschen Zeitungsmacher: Anthrazitgraue Herren
Verleger waren einflussreiche Personen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Auch Kalle Ruch, obwohl – nein, weil er alles anders machen musste.
A ls Axel Springer 100 Jahre alt geworden wäre und das immer noch nach ihm benannte Medienhaus gerade mal gute Laune hatte, wurde der runde Geburtstag des Patriarchen etwas anders begangen: mit einer Nummernrevue, in der sie wirklich alle vorkamen – die Verleger und Chefredakteure, ihre Frauengeschichten und die Politik.
Die politisch wirklich kritischen Sachen hatten sie dabei allerdings Rudolf „Im Zweifel links“ Augstein in den Text geschrieben, der echte „Tagesschau“-Wilhelm-Wieben las die Nachrichten vor, und am Ende stand da Friede Springer so leibhaftig wie beseelt im Rampenlicht. Nur Angela Merkel, die auch 2012 schon Kanzlerin war, hatte leider absagen müssen. Terminschwierigkeiten, echt schade. Das halbe Kabinett, die Opposition und diverse amtierende und ehemalige Bundespräsidenten waren aber da.
Keine Frage: Verleger*innen – wobei man angesichts des fast rein männlich besetzten Berufszweigs das Gendern getrost lassen könnte – sind einflussreich. Bei Springer gilt das sogar lange über den Tod hinaus. Sie werden von der Politik mal hofiert, seltener gehasst und sind ihrerseits von der Wirtschaft abhängig. Umso mehr, als in den letzten 20 Jahren die Werbeeinnahmen für die Verlage wegen der abnehmenden Auflagen und der mangelhaft entwickelten Zahlungsbereitschaft im Netz immer wichtiger geworden sind.
Verlage im klassischen Sinne gibt es seit dem 18. Jahrhundert. Um das Verhältnis ihrer Verleger zum Journalismus und zur Politik auszuloten, muss man aber gar nicht so lange zurückgehen. Es reichen ganze 54 Jahre. Es reicht der berühmte Leserbrief eines gewissen Paul Sethe an den Spiegel von März 1965. Sethe war damals Leitartikler der Welt, noch früher Mitgründer der FAZ und griff später für Zeit und Stern in die Tasten: Seine Verleger kannte er alle, auch den Dr. Goebbels vom Völkischen Beobachter, für den er ab 1944 schrieb.
„Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. Frei ist, wer reich ist“, hatte Sethe formuliert. Und weil meistens nur diese zwei Sätze aus der viel umfangreicheren Argumentation Sethes zitiert werden, ist hier der Rest: „Journalisten, die diese Meinung teilen, finden sie immer. Ich kenne in der Bundesrepublik keinen Kollegen, der sich oder seine Meinung verkauft hätte. Aber wer nun anders denkt, hat der nicht auch das Recht, seine Meinung auszudrücken? […] Da aber die Herstellung von Zeitungen und Zeitschriften immer größeres Kapital erfordert, wird der Kreis der Personen, die Presseorgane herausgeben können, immer kleiner. Damit wird unsere Abhängigkeit immer größer und immer gefährlicher. Auch scheint es ein soziologisches Gesetz zu sein, dass mit steigendem Reichtum der Respekt der Wohlhabenden vor der Individualität ihrer Mitarbeiter immer geringer wird. Schließlich halten sie es für selbstverständlich, dass Journalisten nicht ihre Bundesgenossen, sondern ihre willenlosen Gefolgsleute sind.“
Für die Verleger und wenigen Verlegerinnen der bundesrepublikanischen Geschichte – es geht hier bis 1990 rein um westdeutsche Zustände – war und ist diese von Sethe ökonomisch begründete Meinungshoheit sogar gesetzmäßig verankert: Zeitungen sind Weltanschauungsbetriebe wie sonst nur die Kirchen. Die im Gesetz höflich „Tendenz“ genannte Richtung wird vom Eigentümer – früher waren das mal die Verleger*innen – festgelegt.
Weil Axel Springer in gewisser Weise prototypisch für das deutsche Verlegertum steht, sei hier an die Springer-Essentials erinnert: In den Verlagsgrundsätzen des Medienhauses geht es bis heute um die Aussöhnung mit und das Existenzrecht Israels, die Verteidigung der Marktwirtschaft und die Werteallianz mit den USA. Damit war Springer – die Urfassung der Essentials ist nur wenig jünger als Sethes Leserbrief – verblüffend ehrlich. Wobei Ehrlichkeit und Transparenz eigentlich so gar nicht zu den Kerntugenden der Verlegerzunft im deutschen Mediengeschäft gehören.
„Aber wer nun anders denkt, hat der nicht auch das Recht, seine Meinung auszudrücken?“, hatte Sethe formuliert und damit die taz quasi vorweggenommen. Dass so ein Blatt, so ein Medienprojekt keinen klassischen Verleger haben konnte, versteht sich von selbst. Dass es doch einen hat(te), dazu später mehr.
Die Reihe der deutschen Verleger*innen ist lang – aber leider wenig aufregend. Springer sticht aus dem bis heute bei Branchenevents konsequent anthrazitgrau gewandeten Personal heraus: ein charmanter Schnösel, über den selbst sein ihm sehr wohlwollend gesinnter Biograf Hans-Peter Schwarz schrieb, „ein seltsamer Heiliger war er schon“.
Dieser Text stammt aus der sehr besonderen und einmaligen kalletaz: Auf 30 Seiten widmet sie sich unserem Gründungsgeschäftsführer und schon jetzt legendären Verleger Karl-Heinz "Kalle" Ruch, der zum Jahresende nach 41 Jahren in den Ruhestand tritt. Er hat diese Zeitung von Anfang an geprägt wie sonst niemand. Leben und Werk für die taz lassen wir Revue passieren und unterziehen es einer kritischen Würdigung.
Springer – und das eint die alte Garde des Gewerbes – hatte selbst Setzer und Drucker gelernt, natürlich im Schnellkurs in Papas Betrieb, aber immerhin. Am Ende war er der deutsche Pressezar und gebot mit der Bild-Zeitung über das jahrzehntelang auflagenstärkste Blatt Europas. Er war verhasst wie kaum ein zweiter Unternehmer der alten BRD und wurde wunderlich. Bevor Springer mehr auf Astrologen als auf seine eigenen Chefredaktionen hörte, versuchte er sich erfolglos als Außenpolitiker. 1958 wollte er bei dem sowjetischen Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow die deutsche Wiedervereinigung erwirken, scheiterte kläglich – und mutierte daraufhin zum erklärten Antikommunisten.
Springer wechselte häufig seine Frauen und Chefredakteure und musste zu seinem eigenen Unverständnis wahrnehmen, dass spätestens in den 1970er Jahren die Politik seinem medialen Expansionsdrang mithilfe des Kartellrechts Einhalt gebot. Nach Springers Tod 1985 trat eine Frau aus seinem Schatten in Erscheinung, die mittlerweile mindestens so viel wie Springer selbst für das Unternehmen getan hat: Axel Cäsars fünfte und letzte Ehefrau, Friede.
Sie war als Kindermädchen im Hause Springer gelandet, galt als harmlos und gefügig und zeigte es allen. Friede Springer schaffte es, nach dem Abgang des Übervaters die meuchelmörderischen Ränkespiele seiner Vorstandslakaien auszuhalten und ein Auseinanderbrechen des Konzerns zu verhindern. Sie bot dem TV-Unternehmer Leo Kirch, der mit seinen engen Kontakten zur CDU des Helmut Kohl nach der Aktienmehrheit griff, die Stirn. Und bootete nebenbei Axel Cäsars Enkel aus. Im Jahr 2000 machte sie Mathias Döpfner zum Konzernchef, die beiden danken es sich seitdem gegenseitig – er mit dem im deutschen Vergleich wohl konsequentesten Umbau eines Zeitungsverlags zum Digitalunternehmen. Und sie mit Aktienpaketen.
Gegen Springer ist Hubert Burda fast ein bisschen langweilig. Hier ist die Verlegerpersönlichkeit eher familiengetrieben: Burda, 79, wurde erst 1987 nach dem Tod des Vaters, Franz „Senator“ Burda, Chef der Offenburg-Münchner Familienholding. Die 20 Jahre davor litt er als ein – natürlich alles andere als einfacher Angestellter – im eigenen Haus
„Sie schaffe beim Burda?“ galt im Badischen noch bis vor Kurzem als Synonym für „Da hat es einer geschafft“. Solide geht es bei Burda bis heute zu, auch wenn sich Hubert erst mal gegen den Vater und die beiden älteren Brüder Franz und Frieder durchsetzen musste. Seiner Biografin Gisela Freisinger vertraute er an, er habe im familieninternen Konkurrenzkampf jahrelang nächtens mehrfach seine Pyjamas durchgeschwitzt.
Hubert Burda wollte eigentlich Maler werden, in Kunst machen. Und bekam vom gestrengen und noch öfter als Springer die Frauen wechselnden Vater ein barsches „Halt die Gosch, du wirst Verleger“ vor den Latz geknallt. Die ersten sieben Jahre, sagt der promovierte Kunsthistoriker heute selbst, habe er nur Fehler gemacht. Sein erstes eigenes Heft, das Männermagazin M, soll Mutter Aenne Burda mit den Worten: „Der Vater hat deine Zeitschrift in die Hände gekriegt. Jetzt isst er nichts mehr. Du bist schuld, wenn er stirbt!“, kommentiert haben.
Im Interview mit der Süddeutschen erzählte Burda: „Ich wollte immer, dass [Spiegel-Herausgeber] Rudolf Augstein mal von mir Kenntnis nimmt, aber der nahm natürlich überhaupt keine Kenntnis von mir.“ Da ein Freund in Hamburger Pressekreisen verkehrte, fragte er ihn: „Was meint denn der Rudolf? Hast du mal mit ihm über mich geredet?“ Und der Freund antwortete: „Der Rudolf sagt, wenn dein Vater stirbt, bringen dich deine beiden Brüder um.“ Diese Prophezeiung, sagt Burda, „blieb mir im Kopf“. Nach dem Tod des Vaters herrschte dann tatsächlich Krieg, bis die drei Brüder den Verlag in drei Teile aufteilten.
Hubert Burdas erster Versuch, selbst publizistisch in der großen Politik mitzumischen, ging aber auch nach dem Tode des Vaters und dem Verweis der Brüder auf die hinteren Plätze spektakulär schief. Gemeinsam mit dem britischen Pressezaren Rupert Murdoch wollte Burda 1991/92 die Gunst der Wiedervereinigungseuphorie nutzen und mit der Super-Zeitung aus Berlin der damals noch in Hamburg verankerten Bild Konkurrenz machen. Dabei setzte er 70 Millionen D-Mark in den Sand, und bis heute fühlt er sich von Murdoch im Stich gelassen. Dass ihm der 1993 gegründete und bis heute erscheinende Focus, diese schlichtere Spiegel-Variante für konservative Kreise, dann tatsächlich Einfluss gebracht hat, darf bezweifelt werden.
Burdas Strategie aber ist klar: Machen, auch und gerade gegen die übermächtige Konkurrenz. Wie heute Döpfner bei Springer ist Burda einer der Motoren der Digitalisierung im Verlagswesen – obschon er selbst konsequent in der Generation Münzfernsprecher bleibt und seine digitalen Accounts von jüngeren Menschen bedienen lässt.
„Fantasie ist das, was du im Mediengeschäft am nötigsten brauchst“, ist einer seiner Lieblingssätze. Im SZ-Interview begründet er ihn so: „Amazon lässt Woody Allen eine Serie drehen. Dass Jeff Bezos auf diese Kombination gekommen ist, zeigt einmal mehr, dass er von uns allen der mit Abstand großartigste Unternehmer ist. Du musst auf Ideen kommen, die Kommunikation herstellen, und dafür brauchst du das Talent, scheinbar Unzusammenhängendes zu verbinden. Deshalb lautet einer meiner Leitsätze: Connect the unexpected.“
Womit wir bei Kalle Ruch wären, dem Verleger der taz von ihrer Gründung bis Ende 2019, über 40 Jahre lang. „Unexpected“ war das schon, dass da ein Volkswirtschaftsstudent der FU Berlin zu den Mitbegründern einer Zeitung wurde, die auch scheinbar Unzusammenhängendes verband: die sozialen, bürgerrechtlichen und umweltbewegten Aktivist*innen der 1970er Jahre mit den etablierten Medien, deren Verleger*innen solche Anliegen seinerzeit zutiefst egal waren. Da gründeten Menschen, mit denen Sethe so gar nicht gerechnet hatte, einfach mal eine Zeitung. Und weil es – unter anderen, aber dann doch irgendwie auch entscheidend – diesen Karl-Heinz Ruch gab, überlebte das Ding auch noch.
Ganz nebenbei sorgte die taz mit ihren Inhalten und ihrer journalistischen Haltung für viel tiefer gehende Veränderungen. Themen wie Umwelt, die Neue Rechte, soziale Bewegungen und viele weitere diffundierten langsam, aber stetig in die Redaktionen der anderen.
Jetzt, gute 40 Jahre später, ist Kalle gern gesehener Gast bei Verlegerkongressen und Branchenkonferenzen. Weil alle von ihm wissen wollen, wie die taz das geschafft hat: die (West-)Berlin-Förderung in der alten BRD bis zum Anschlag auszureizen; deren Wegfall 1990 zu überleben und sich mit der taz-Genossenschaft neu zu erfinden; rechtzeitig und mit einer gehörigen Portion Dusel Immobilien an der Kochstraße in Berlin zu kaufen, die dann langsam, aber sicher wieder Innenstadt wurde. Und zum Schluss noch mal eben ein neues Verlagsgebäude zu bauen, das die Herzen aller Sichtbetonfans höher schlagen lässt.
Dazu kommt eine Leser*innen- und Genoss*innenschaft, die mit ihrem Laden durch dick und dünn geht und für eine solche Leser-Blatt-Bindung sorgt, dass die taz ihre gedruckte Ausgabe als erste Zeitung in Deutschland weglassen kann und wird.
Kalle muss man sich dabei nicht als Verleger, sondern eher als Antiverleger vorstellen. Was ihn mit seinen Kolleg*innen eint, ist die Fähigkeit, meistens das letzte Wort zu haben beziehungsweise sein Ding auch gegen Widerstände durchzudrücken. Ansonsten könnten die Unterschiede nicht größer sein. Spätestens ab den 1990/2000er Jahren war die taz als Journalist*innenschule der Nation zwar ökonomisch immer nur ein Klacks, aber die publizistische Nachhaltigkeit war nicht zu leugnen, manch eineR ging sogar zu Springer. Kalle aber blieb im Hintergrund und ließ die Redaktion machen.
Gerade das unterscheidet ihn von anderen Verleger*innen. Zwar agieren auch Verleger wie die Schaubs von der Südwestdeutschen Medienholding, einem der nach Springer größten – und unbekanntesten – Presseverbünde (Süddeutsche, Stuttgarter Zeitung, haufenweise Regionaltitel), gern im Off. Von den Schaubs gab es in bester Aldi-Manier lange nicht mal Fotos. Intransparenz war dort erklärte Unternehmensstrategie. Die Organisationsform der meisten Zeitungsverlage als GmbH & Co. KG hilft dabei: Daten über sich rausrücken müssen die Verlage kaum.
Und was machte die taz? Legte schonungslos alles offen, seit Gründung der taz-Genossenschaft in vielen Jahren garniert mit der schönen Formulierung aus dem Geno-Prüfbericht: „Der Verlust wird auf neue Rechnung vorgetragen.“
Die taz hat das Unmögliche vor allem auch deswegen geschafft, weil Kalle und der Vorstand immer das gerade noch Mögliche im Blick hatten. Große Räder, wie sie ein Alfred Neven DuMont drehte, lösten bei ihm immer skeptisch-amüsiertes Erstaunen aus.
Als DuMont, Verleger des Kölner Stadtanzeigers, 2006 bei der Frankfurter Rundschau einstieg, weil er die Berliner Zeitung nicht bekommen hatte, sah Kalle sofort, dass hier einer angetreten war, sein Geld zu verbrennen. Dass DuMont 2009 dann die Berliner Zeitung doch noch übernahm, weil seine Vorstände nicht den Mut hatten, dem eigenen Grandseigneur und Patriarchen in den Arm zu fallen, war der Anfang vom Ende. Heute betreibt das seit über 200 Jahren bestehende Haus M. DuMont Schauberg den Ausverkauf seiner Titel. Die Frankfurter Rundschau gehört mittlerweile zum großen Teil dem Regionalzeitungskönig Dirk Ippen.
Spektakuläre Alleingänge wie bei DuMont sind in der taz schlicht nicht möglich. Denn sie funktioniert nach dem Prinzip, das im Bürokratendeutsch „koregulierte Selbstregulierung“ heißt: Nirgends sind die Mitarbeiter*innen mächtiger als in der taz, die ihnen mit gehört. An ihnen kommt der Vorstand schon deswegen nicht vorbei, weil dort drei Mitarbeitervertreter*innen die Mehrheit über zwei hauptamtlich Geschäftsführende haben. Und der Geno-Aufsichtsrat und die Genossenschaftsversammlung haben auch noch ein paar Wörtchen mitzureden. Für traditionelle Verleger*innen wäre wohl schon die Vorstellung ein Graus.
Dabei erfüllt die taz das verlegerische Credo besser als alle CEOs und Vorstände der anderen Medienhäuser, die auf ihre Renditen, schrumpfenden Auflagen und verzweifelte Digitalmanöver starren: mit einer pluralen, aber klaren Haltung die Komplexität unserer Zeit zu analysieren, Meinungen zu bilden und zuzulassen und vor allem die Welt ein bisschen besser zu machen.
Leider wird man dabei nicht besonders reich, zumindest nicht im finanziellen Sinne. Doch auch hier irrte der eingangs schon bemühte Paul Sethe: „Frei ist, wer reich ist. Das ist nicht von Karl Marx, sondern von Paul Sethe. Aber richtig ist es trotzdem. Und da Journalisten nicht reich sind, sind sie auch nicht frei“, hatte Sethe 1965 postuliert. Die taz tritt – gar nicht mal so unfreiwillig – täglich den Gegenbeweis an. Was nur einen Schluss zulässt: Kalle Ruch ist einer der ganz großen deutschen Verleger. Auch wenn ihn das wahrscheinlich ein bisschen verlegen macht.
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