Gescheiterte Aufklärung des VW-Skandals: Die Autokratie
Diese Woche enden die Befragungen im VW-Untersuchungsauschuss. Entscheidende Fragen wurden dort erst gar nicht gestellt.
Am 19. Januar um kurz nach zehn morgens ist klar: Die Revolution fällt mal wieder aus. In Raum 3101 des Bundestags-Bürogebäudes am Spreeufer in Berlin sitzt Herbert Behrens, Sozialist, Gewerkschafter und Linken-Abgeordneter, vor dem Klassenfeind. Vor einem Mann, der einmal Herr über 600.000 Angestellte war, 17 Millionen Euro im Jahr verdiente und auf Wunsch Termine bei Ministern bekam. Martin Winterkorn hat Deutschlands größtes Unternehmen VW an den Rand des Abgrunds geführt. VW hat aus Profitgier Gesetze gebrochen, muss 20 Milliarden Euro Strafe zahlen und hat 30.000 Jobs gestrichen.
An diesem Tag sagt Winterkorn im Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Abgasaffäre aus. Herbert Behrens, der Ausschussvorsitzende, kann ihn zur Rede stellen. Und seine erste Frage lautet: „Hatte man sich in Ihrem Konzern vor Aufdeckung des Skandals eine Meinung gebildet zur Reichweite der EU-Verordnung 715/2017?“
Eigentlich sollte es der Tag der Abrechnung sein. Behrens, helles Hemd zum dunklen Wollsakko, als Inquisitor. Fünf Meter vor ihm, geschützt von einem untadeligen Anzug und zwei Anwälten, der ehemalige Gigant des globalen Kapitalismus. Aber was folgt, ist keine Anklage, sondern ein ruhiges Expertengespräch. Winterkorn sagt: „Ich wurde nicht informiert.“ Und die Volksvertreter sind froh, dass er überhaupt zu ihnen spricht.
Ulrich Lange, CDU-Obmann: „Wir versuchen mal, wie weit wir hier kommen mit der Aufklärung.“
Winterkorn: „Aber Sie verstehen mich schon, dass mir …“
Lange: „Ich verstehe Sie sehr wohl. Aber Sie verstehen auch unsere Rolle.“
Winterkorn: „Natürlich, natürlich.“
Enge Verflechtungen
Das gegenseitige Verständnis zwischen Fragenden und Befragten in diesem Ausschuss ist oft groß. Seit Herbst verhören 16 Parlamentarier Behördenchefs, Politiker, Techniker und Angestellte aus den Ministerien. Sie sollen klären, was die Bundesregierung vom Abgasbetrug wusste und was sie dagegen tat. Aber die Gespräche und Akten zeigen etwas Darunterliegendes: wie eng in Deutschland Politik, Behörden und Autoindustrie verflochten sind.
12. Sitzung, 10. November 2016.
Ausschussmitglied Christian Müller, CDU: „Das Problem ist ja: Wir müssen hier etwas aufklären. Wir stehen sehr im Licht der Öffentlichkeit.“
Untersuchungsausschüsse sind die schärfste Waffe des Parlaments. Sie können Akten anfordern, interne Mails lesen, Zeugen vorladen. Sie haben allein in dieser Legislaturperiode ans Licht gebracht, wen der Geheimdienst BND bespitzelt und wie der Verfassungsschutz bei der Suche nach NSU-Rechtsterroristen versagt hat.
Der Abgas-Ausschuss zeigt: Deutschland ist eine Autokratie.
Zeuge nach Zeuge belegt eine Symbiose von Autobauern, Behörden und Politik. Die Behörden wussten sehr früh, dass die Abgaswerte der Autobauer nicht in Ordnung waren; sie wurden gewarnt und hatten eigene Zweifel. Aber sie wurden nicht selbst aktiv und wimmelten lästige Fragesteller ab. Fast alle Aussagen lassen sich so zusammenfassen: Alle haben vermutet, dass betrogen wurde. Aber keiner wollte es so genau wissen. Manchmal bis heute nicht.
„Organisiertes Staatsversagen“
Die Opposition im Ausschuss erkennt man einfach: Sie trägt keinen Schlips. Oliver Krischer, grüner Verkehrsexperte („Ich fahre seit Jahrzehnten VW Passat“) spricht von „organisiertem Staatsversagen“ und schimpft auf die Industrie. Herbert Behrens, ein schlaksiger Mann mit ernstem Gesicht und weißen Haaren, sorgt sich vor allem um die Arbeitsplätze bei VW und Co. Wo sonst gibt es noch so viele gut bezahlte, tariflich abgesicherte Stellen? Die Autobetriebe sind die Machtbasis der IG Metall. Bei VW geht ohne oder gegen den Betriebsrat gar nichts. Deshalb war Behrens’ Fraktion anfangs auch nicht begeistert. Der Ausschuss verursacht viel Arbeit und schadet vielleicht den Kollegen in den Betriebsräten.
Die Untersuchung solle „das vorbildliche mitbestimmte Unternehmen VW“ nicht angreifen, versichert Behrens vor Beginn.
ULRICH LANGE, CDU-OBMANN
Trotz dieser Zerrissenheit startet er mit hohen Erwartungen: „Wir wollen hier Beeinflussungsstrukturen offenlegen“, sagt Behrens Anfang September in einem kargen holzgetäfelten Besprechungszimmer des Bundestags, als die Arbeit losgeht. Er hat gerade die ersten paar hundert der insgesamt 2.000 Aktenordner aus den Ministerien bekommen. Viele sind wegen angeblicher Betriebsgeheimnisse geschwärzt. Oft dokumentieren die Akten nur das gewollte Wegsehen.
Aktennotiz des Umweltministeriums, 20. März 2008:
„Die moderne Fahrzeugelektronik ermöglicht es, die Fahrzeuge mit Einrichtungen auszustatten, die den Betrieb im NEFZ auf dem Rollenprüfstand (die vorgeschriebenen Abgastests in der Garage, Anmerkung der Redaktion) erkennen, so dass auf ein für die Abgas- und/oder Verbrauchsmessung optimiertes Motorkennfeld umgeschaltet wird, das vom normalen Betrieb abweicht (sog. cycle-beating). Die Überprüfung, ob derartige Einrichtungen vorhanden sind, ist bisher (…) nicht vorgesehen.“
Das Umweltministerium ahnte also 2008 konkret, dass und wie der Betrug funktionierte. Sigmar Gabriel war damals SPD-Umweltminister.
18. Sitzung, 15. Dezember 2016.
Sigmar Gabriel: „Niemand war damals in der Lage, Beweise für diesen Verdacht zu liefern, auch weil es die technischen Möglichkeiten nicht gab.“
Nur Fragen direkt zur Sache
Auf Herbert Behrens’ große Erwartungen folgt bald die Ernüchterung. Der Ausschuss darf nur den Zeitraum 2007 bis 2016 untersuchen, erlaubt sind ausschließlich Fragen direkt zur Sache. Die Arbeit muss nach einem halben Jahr fertig sein. Gegen die Behörden zu klagen, wenn sie Dokumente schwärzen, ist praktisch aussichtslos: Ein Urteil käme viel zu spät. Und: Die Große Koalition hält sechs von acht Sitzen im Ausschuss. Union und SPD sollen also gegen eigene Parteifreunde in Behörden und Ministerien ermitteln.
Raum E 700 im Berliner Paul-Löbe-Haus neben dem Reichstag. Der Ausschuss tagt. Die Luft ist stickig, stundenlang sitzen die Abgeordneten über ihren Fragen und Notizen. Manche Treffen dauern 14 Stunden, draußen gibt es Käsebrötchen und Kaffee, unterbrochen wird nur kurz. Untersuchungsausschüsse sind kein Spaß, sie kosten viel Zeit und Nerven. Behrens leitet den Ausschuss und muss sich gleichzeitig auch noch auf seine eigenen Fragen konzentrieren.
Sigmar Gabriel, Wirtschaftsminister
Von den Wänden blicken ernst die Fotos ehemaliger Politiker aus den Ausschüssen für Petitionsrecht und Umweltschutz. Der Abgasskandal hat beide Anliegen ramponiert. Stickoxide aus Automotoren führen in Deutschland nach statistischen Berechnungen jedes Jahr zu 10.000 zusätzlichen Toten. Warum haben die Behörden nicht eingegriffen?
23. Sitzung, 13. Februar 2017.
Referatsleiter A., Verkehrsministerium: „Wir kamen zu dem Ergebnis, dass eine konkrete Gefahr nicht besteht.“
Kampf um die Deutungshoheit
Je öfter der Ausschuss tagt, desto größer wird die Kluft zwischen Opposition und Koalition. Behrens und sein Kollege von den Grünen sehen immer mehr Belege für das Nichthandeln der Behörden. Unions-Obmann Ulrich Lange nennt den Ausschuss „sehr viel Aufwand mit sehr wenig Ertrag“. SPD-Politikerin Kirsten Lühmann weiß schon „etwa sechs Wochen nach Beginn, dass da nichts mehr kommt“. Alle Zeugen hätten bestätigt, dass die Behörden damals bei VW nichts hätten finden können und dass die Abschalteinrichtungen der anderen Hersteller legal seien. „In einem Rechtsstaat kann eine Behörde nicht einfach auf Zuruf irgendetwas machen“, sagt Lühmann, im Zivilberuf Polizistin. Allerdings wurden in diesem Rechtsstaat die Gesetze zu Umwelt- und Gesundheitsschutz jahrelang gebrochen. Das interessiert im Ausschuss nur am Rande.
Welche Abgeordneten hier sitzen, ist kein Zufall. Viele kümmern sich in ihren Fraktionen um Verkehrspolitik. Und damit um die Autokonzerne in ihrer Heimatregion.
Rechts vom Vorsitzenden sitzt die Union: Obmann Ulrich Lange kommt aus Nördlingen, wo Hunderte von Leuten jeden Tag nach Ingolstadt pendeln: zum Stammsitz von Audi, 43.000 Jobs.
Der Skandal: Im September 2015 gibt VW auf Druck der US-Umweltbehörde EPA zu, per Software die Abgastests seiner Diesel-Pkws zu manipulieren: Autos erkennen Tests und senken den Ausstoß von giftigem Stickoxid. Schadenersatz und Strafen zahlt VW bisher nur in den USA: mindestens 20 Milliarden Euro. Autos in Europa werden umgerüstet. Im Frühjahr 2016 kommt heraus, dass auch viele andere Hersteller den Ausstoß ihrer Dieselautos kleinrechnen. Ob das legal ist, ist bislang unklar.
Der Ausschuss: Am 7. Juli 2016 setzt der Bundestag dazu den VW-Untersuchungsausschuss ein. Das Gremium aus acht Abgeordneten mit je einem Stellvertreter soll untersuchen, inwieweit die Regierung von Abweichungen zwischen Messungen und Emissionen wusste „und ob es Hinweise auf Ursachen hierfür gab“, lautet die Aufgabe. Außerdem, ob die Regierung „Kenntnis über die Auswirkungen dieses Umstandes auf Bevölkerung und Umwelt hatte und was gegebenenfalls zur Abhilfe veranlasst wurde“. Im Juni soll der Abschlussbericht vorliegen.
Neben ihm: Carsten Müller, Braunschweig, wo VW mit 6.600 Jobs der größte Industriebetrieb ist. Müller leitet den „Parlamentskreis Automobiles Kulturgut“ für Oldtimer-Fans.
Neben ihm: Uwe Lagosky, Salzgitter, wo VW seine Motoren bauen lässt, 6.500 Jobs.
Neben ihm: Veronika Bellmann, Wahlkreis Mittelsachsen, wo gleich nebenan in Chemnitz und Zwickau 10.000 Menschen bei VW arbeiten.
Links von Behrens: die SPD. Obfrau Kirsten Lühmann kommt aus Celle, 50 Kilometer von Wolfsburg. Im VW-Land hängt jeder dritte Industriejob an VW.
Die Stellvertreter: Thomas Viesehon, CDU, stammt aus Kassel, wo das VW-Getriebewerk 13.300 Jobs garantiert.
Steffen Bilger, CDU, aus Ludwigsburg. Direkte Nachbarschaft: VW-Tochter Porsche, fast 10.000 Stellen.
Johann Saathoff, SPD, Wahlkreis Emden. Im VW-Werk gibt es 9.500 Jobs.
SPD-Umweltpolitikerin Ulli Nissen stammt aus Frankfurt. Nebenan in Rüsselsheim beschäftigt Opel mehr als 14.000 Menschen.
Autokonzerne sind wichtige Parteispender
Neun von zwölf Abgeordneten und Stellvertretern der Großen Koalition im Ausschuss kommen aus Regionen, wo die Menschen von der Autoindustrie leben. Die Branche gibt an, direkt und indirekt jeden siebten deutschen Job zu sichern. Unabhängige Studien fehlen.
Die Autokonzerne sind wichtige Parteispender. Und 2017 ist ein großes Wahljahr. Vor der letzten Bundestagswahl 2013 flossen von den Kfz-Bauern und ihren Zulieferern laut Lobbycontrol 3,5 Millionen Euro an die Parteien: 1,9 Millionen an die CDU, 870.000 an die CSU, 270.000 an die SPD und 180.000 an die Grünen. Das waren etwa 2 Prozent aller Spenden bei der SPD, 4 Prozent bei den Grünen, 6 Prozent bei der Union. Nur die Linke ging leer aus.
Herbert Behrens sitzt in seinem Büro hinter dem Reichstag. Auf dem Tisch ein Kaffeeservice „125 Jahre Arbeiter-Samariter-Bund“, an den Wänden Karten vom Fernstraßennetz und Nachtzuglinien. Behrens ist Arbeiterkind aus dem Bremer Umland, Schriftsetzer, Sozialwissenschaftler auf dem zweiten Bildungsweg, Gewerkschafter. Auch bei ihm zu Hause steht ein großes Mercedes-Werk mit 12.000 Jobs. Im Studium hat Behrens dort in den neunziger Jahren zwei Jahre lang am Band gearbeitet, „Wir haben im drei-Schichten-Betrieb die C-Klasse gebaut, nach der Nachtschicht war dir alles egal.“
Auf dem Flur vor seinem Büro hängt eine Comic-Grafik. Da wird „Kommunismus“ mit vielen Pfeilen erklärt, von „klassenloser Gesellschaft“ bis „Machtfrage“. Behrens war bis 1989 in der DKP. Heute tut er sich schwer mit der Bezeichnung Kommunist. „Sozialist trifft es besser.“ In der marxistischen Theorie gibt es den Begriff „Stamokap“ – „Staatsmonopolkapitalismus“, in dem Wirtschaft und Staat verschmelzen. Trifft das für ihn bei der Autoindustrie in Deutschland zu? „Ja, durchaus“, sagt Behrens, „das muss man so sehen.“
Es geht um den Standort
In seinem Ausschuss sind scharfe Debatten nicht gefragt. Die stundenlangen Fragerunden schläfern Frager und Beobachter ein. Man muss nicht an die Stamokap-These glauben, aber der Abgas-Ausschuss zeigt: Unternehmen schließen mit Behörden und Politik die Reihen, wenn es um den Standort geht. Die Deutschland AG auf Rädern.
Greenpeace hat 2016 ein „Schwarzbuch Autolobby“ veröffentlicht. Inhalt: 33 Porträts von Politikern und Lobbyisten. „Mitunter verwischt die Grenze zwischen Lobbyist und Politiker“, schreibt der Umweltverband. Es sind bekannte Namen, die als Kanzler, Minister oder Ministerpräsident die Industrie fördern – aber auch frühere Abgeordnete, die noch im Staatsdienst von ihrem früheren Auto-Arbeitgeber ein Gehalt bezogen oder schlicht die Seiten wechselten.
Für den VW-Ausschuss bedeutet das, dass die meisten Beamten und Politiker derselben Erzählung folgen, „ihr Drehbuch“, nennt Herbert Behrens es. Es geht so: Die Behörden hatten keinerlei Verdacht. Und haben sich nur an die Regeln gehalten.
24. Sitzung, 16. Februar 2017.
Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU): „Ohne Erkenntnis über illegale Abschalteinrichtungen gibt es auch keinen Grund, sie zu suchen.“
22. Sitzung, 26. Januar 2017.
Referatsleiter A., Verkehrministerium: „Es gab keinen Zweifel, es gab keine Hinweise auf Betrug. Als ich das von VW gehört habe, bin ich fast vom Stuhl gefallen.“
Erst war es nur ein Verdacht
Schon Jahre zuvor war allerdings im Verkehrs- und Umweltministerium die Deutsche Umwelthilfe, kurz: DUH, aufgetaucht, um vom Verdacht zu berichten, die Autobauer nutzten illegale Abschalteinrichtungen. Immer wieder wies der Geschäftsführer Jürgen Resch öffentlich auf die Messergebnisse und ihren Verdacht hin.
Notiz Umweltministerium, 24/25. April 2012:
„Resch warf der Industrie (…) planmäßige ‚Cycle Beating‘-Maßnahmen vor. Ein zweiter konkreter Vorwurf war, dass die Hersteller NEFZ-Erkennungsprogramme (Programme, die erkennen, dass das Auto gerade getestet wird, Anmerkung der Redaktion) eingebaut habe, die die Motorsteuerung ändern, wenn ein NEFZ gefahren wird.“
Was hätten die Behörden gebraucht, um selbst zu prüfen? Am besten rechtskräftige Beweise der Kritiker, sagen die Zeugen. Messergebnisse und Vermutungen haben nicht gereicht, damit das Kraftfahrtbundesamt ermittelte.
18. Sitzung, 15. Dezember 2016.
Peter Altmaier, CDU, ehemaliger Umweltminister: „Es gab keinerlei rechtlich verwertbare Hinweise von der DUH, keinerlei konkrete Unterlagen, keinerlei Beweismittel von Herrn Resch.“
16. Sitzung, 1. Dezember 2016.
Jürgen Resch, DUH-Geschäftsführer: „Das ist die Linie, die durchgehalten wird. Man sagt: Alle Hinweise, alle Abweichungen, so klar die auch illegal sind, blieben irrelevant, solange der Beweis nicht da ist. Wir haben an Deutlichkeit eigentlich nichts ausgelassen. Aber danach wollte man es meines Erachtens eben nicht mehr hören.“
In dieser Sitzung geht CDU-Obmann Lange den Zeugen DUH-Chef Resch so frontal an, wie kein Behördenmitarbeiter oder Politiker im Ausschuss sonst angegriffen wird.
Lange: „Wenn Sie vorsätzlich rechtswidriges, kriminelles Verhalten vorwerfen, dann müssen Sie das Ganze der Staatsanwaltschaft melden und zur Anzeige bringen. Bei welcher Staatsanwaltschaft haben Sie konkret welches Mitglied der Bundesregierung zur Anzeige gebracht?“
Resch: „Bei keiner.“
Lange: „Dann frage ich Sie nochmal: Halten Sie an der Aussage ‚vorsätzlich rechtswidriges kriminelles Verhalten‘ fest? (…)„
Resch: „Nach meinem Rechtsverständnis ist das ein strafbares Verhalten (…). Ich bleibe bei meiner Aussage.“
Lange: „(…) Wenn Sie solche Dinge in den Raum stellen und sie dann nicht zur Anzeige bringen, dann habe ich schon ein gewisses Problem mit Ihrer Aussage. (…) ich glaube nicht, dass (…) das der Beweisführung hier in diesem Untersuchungsausschuss in irgendeiner Form dienlich ist. Ich kann nämlich nicht erkennen, welchen Beweiswert Ihre Ausführung haben soll, außer einer polemischen Bewertung und dem in einem Rechtsstaat nicht nachvollziehbaren Hinweis auf eine, ich sage das ganz offen – unserem Grundgesetz widersprechende Beweislastumkehr.“
Stephan Kühn (Grüne): „Das hat meines Erachtens nichts mit dem Untersuchungsausschuss zu tun, diese Frage.“
Lange: „War ja keine Frage!“
Der Skandal bleibt aus
Für die Abgeordneten der Großen Koalition ist also bald klar: Hier gibt es keinen Skandal.
18. Sitzung, 15. Dezember 2016.
Frage des Grünen-Abgeordneten Krischer an Bundesumweltministerin Barbara Hendricks, SPD: „Sie kennen doch sicher das Handbuch für Emissionsfaktoren aus dem Umweltbundesamt, Ihrer nachgeordneten Behörde. Da kann man nachlesen, (…) dass die Emissionen steigen, obwohl eigentlich die Grenzwerte immer niedriger sind. Stellt man sich da nicht die Frage: Da stimmt doch irgendwas nicht?“
Hendricks: „Ehrlich gesagt, ich kenne das Handbuch nicht.“
Krischer: „Ach so, Sie kennen das nicht.“
Hendricks: „Nein, ich finde auch nicht, dass ich das kennen muss.“
Ein Minister im Aufsichtsrat
SPD und Union halten sich mit peinlichen Fragen an ihr eigenes Spitzenpersonal zurück. Der SPD-Politiker Stephan Weil ist Ministerpräsident von Niedersachsen, einem Land, das 20 Prozent der Aktien des Autobauers hält und das ihn in den VW-Aufsichtsrat geschickt hat. „Vom VW-Skandal habe ich aus der Tagesschau erfahren“, sagt er den Abgeordneten. Niemand fragt ihn, ob so die Aufsicht eines Aufsichtsrats aussieht.
Manche Fragen bleiben nicht nur unbeantwortet, sondern vor allem ungestellt. So behauptet der Verkehrsexperte und frühe Warner Axel Friedrich, der lange am Umweltbundesamt arbeitete, er habe bei einem Treffen im Februar 2011 den Abteilungsleiter A. aus dem Verkehrsministerium auf die Indizien für die Abschalteinrichtung hingewiesen. Zehn Wochen später vernimmt der Ausschuss ebendiesen Beamten – und fragt ihn nicht nach diesem Vorwurf.
Die ehemaligen Umweltminister Gabriel und Altmaier erzählen von einer geplanten „Feldüberwachung“, in der Autos unter realen Bedingungen getestet werden sollten. Dabei wäre die VW-Lüge wahrscheinlich aufgeflogen. Aber nichts geschah, weil die Entscheidung darüber nach Gabriels und vor Altmaiers Amtszeit fiel. Damals im Amt: Umweltminister Norbert Röttgen, CDU. Der aber steht gar nicht auf der Zeugenliste. Ebenso wenig wie Thomas Steg, der 2002 bis 2009 Sprecher der Bundesregierung war und jetzt Cheflobbyist von VW ist.
Kommt in ein paar Jahren der nächste Skandal?
18. Sitzung, 15. Dezember 2016.
Sigmar Gabriel, Wirtschaftsminister: „Besondere Beziehungen zur Auto-Industrie? Na klar habe ich das; deshalb bin ich Wirtschaftsminister. Bei mir in der Region leben die Leute davon, und es gäbe übrigens die DUH vermutlich nicht, wenn nicht dieses Land in der Lage wäre, ökonomisch solche Erfolge zu haben, um Umweltschutz finanzieren zu können.“
Am Mittwoch wird Angela Merkel als letzte Zeugin vor dem Ausschuss sprechen. Die Abgeordneten werden versuchen herauszufinden, wann die Kanzlerin informiert wurde. Danach schreiben sie ihren Abschlussbericht. Dabei werden sie darum kämpfen, welche Deutung des Abgasskandals sich offiziell durchsetzt: Staatsversagen oder kriminelle Einzelfälle? Ein Standardwerk zur deutschen Autokratie wird der Bericht in jedem Fall.
Fragt man Behrens nach einem Ausweg aus dieser Verflechtung, sagt er: Transparenz. Bei den Behörden, aber auch durch „öffentliches Mitspracherecht bei Unternehmensentscheidungen“. Soll heißen: Mehr Macht für Gewerkschaften. Weil die aber Teil der Autokratie sind, müssten sie sich ganz neu aufstellen. „Aufsichtsräte könnten viel aufmüpfiger sein. Sonst haben wir in ein paar Jahren den nächsten Skandal.“
Potenzial dafür gibt es genug. Nach wie vor weiß niemand, wie Dieselmotoren jemals die Grenzwerte für Stickoxid einhalten sollen, also: ob der Diesel überhaupt eine Zukunft hat. Auch bei Spritverbrauch und CO2-Werten dieser Wagen wird viel getrickst. Die gesamte Autoindustrie steht wegen der Elektromobilität vor einem gigantischen Umbruch.
Die Krise hat es nicht geschafft, den Konsens zwischen Politik und Industrie zu schwächen. Eher rücken die Bedrängten enger zusammen. Ab Herbst 2017, zwei Jahre nach Bekanntwerden des VW-Skandals, sollten die Grenzwerte für Stickoxide bei Dieselwagen eigentlich sinken. Ein Vorstoß der EU. Aber weil kaum ein Auto diese Grenzen einhält, reagierte die ganz große Koalition aus Industrie und Politik wie gewohnt. Sie verbesserte nicht die Motoren. Sie verwässerte das Gesetz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind