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Germanistin über Kochbuchklassiker„Ein Projekt der Emanzipation“

Seit über 100 Jahren gibt es das „Bayerische Kochbuch“. Regina Frisch hat seine Geschichte aufgeschrieben. Ein Gespräch über frühe Flexitarier und Eintopfnazis.

Knödel dürfen niemals fehlen: Die Cover der Auflage von 1992 und 2007 Foto: Birken-Verlag
Jörn Kabisch
Interview von Jörn Kabisch

taz.am wochenende: Frau Frisch, wir sprechen heute über einen Bestseller und Klassiker der deutschen Literatur.

Regina Frisch: Die Zahlen sprechen für sich. Das „Bayerische Kochbuch“ ist in 56 Auflagen erschienen, 1,6 Millionen Bücher sind davon verkauft worden, die meisten sicher in Bayern. Und weil die Anfänge bis 1910 zurückreichen, ist es wie ein Zeitzeuge, der eine Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts erzählen kann.

Die neueste Auflage ist 2007 erschienen. Welche Bedeutung hat das Buch heute?

Es ist ein Standardkochbuch, ein Nachschlagewerk. Es dokumentiert mit 1.749 Rezeptnummern sehr viele – nicht nur bayerische – Rezepte des 20. Jahrhunderts.

Was ist das Erfolgsgeheimnis des Kochbuchs?

Eines ist sicher, dass das Buch wegen seines Ursprungs in einer einfachen, leicht verständlichen Sprache gefasst wurde. Als Lehrbuch hatte und hat es eine große Verbreitung.

Für wen war denn das „Bayerische Kochbuch“ ursprünglich gedacht?

Die meisten Kochbücher des 19. Jahrhunderts wurden für den bürgerlichen Haushalt geschrieben. Im Gegensatz dazu richtet sich das „Bayerische Kochbuch“ in seinen Anfängen an einfache Frauen auf dem Land und in den Fabriken.

Sie schreiben, es war das Projekt einer frühen Emanzipationsbewegung.

Genau, das sieht man diesem etwas altbackenen Buch heute gar nicht mehr an. Ab 1890 nahm die Emanzipation in Deutschland Fahrt auf – in ganz unterschiedlichen Ausrichtungen. Es gab eine Gruppe von landadligen Frauen, die ambitioniert und bildungshungrig waren. Sie entwickelten ein damals sehr fortschrittliches Bildungskonzept für sogenannte Wirtschaftliche Frauenschulen. In diesen Schulen konnten sich großbürgerliche junge Frauen, die einen Beruf ergreifen wollten, zur Fachlehrerin ausbilden lassen. Und diese Lehrerinnen unterrichteten in Wanderkochkursen die einfache Landbevölkerung und Arbeiterinnen. Dafür entstand das „Bayerische Kochbuch“, es sollte den Frauen, die Mühe des Mitschreibens während des Unterrichts ersparen.

privat
Im Interview: Regina Frisch

Die promovierte Germanistin wurde 1961 geboren. Ihr Interesse für das „Bayerische Kochbuch“ erwachte, als ihr Exemplar auseinanderfiel und sie im nachgekauften auf einige Änderungen stieß. Ihr Buch „Biografie eines Kochbuchs“ ist im Verlag Friedrich Pustet erschienen. Mehr über ihre Arbeit findet sich auf ihrer Webseite Resteferwertung

Konnten Bäuerinnen damals denn nicht kochen?

Sie haben ja romantische Vorstellungen. Nein, auf dem Land gab es damals viele Einheitsgerichte. Wenig Gemüse. Oft kam noch Getreidebrei und Brotsuppe auf den Tisch, also so etwas wie Porridge. Die Münchner Schriftstellerin Carry Brachvogel meinte um 1910, mit den Wanderkochkursen würde die bayerische Küche ihren „bekannt schlechten Ruf“ verlieren.

Es gibt eine Mutter des Erfolgs: Maria Hofmann.

Sie hat ab 1933 als Autorin das „Bayerische Kochbuch“ übernommen, es wurde für sie zum Lebensprojekt. Sie war ledig und arbeitete als Dozentin für Lebensmittelchemie, ihre Freizeit widmete sie fast vollständig dem Kochbuch, und das mit großer Sorgfalt. Seit 1971 ist ihr Neffe Helmut Lydtin Koautor.

Wie muss man sich diese Frau vorstellen? Ging es ihr darum, den Geschmack der Bayern zu verfeinern.

Auf jeden Fall. Sie war eine emanzipierte Frau mit konservativem Hintergrund, als Lehrerin auch streng und diszipliniert und ganz sicher nicht die gemütliche Kochbuchautorin, die man sich heute vielleicht vorstellt. Und obwohl sie die regionale Küche propagierte, war sie immer offen für Neues. Deshalb findet man schon früh ita­lienische Rezepte: beispielsweise Pasta asciut­ta.

Das Buch war also nie so deutsch, wie es sich gab?

Mailänder Reis und Polenta standen schon 1910 im Kochbuch. Interessant ist die rigorose Sprachreinigung im Ersten Weltkrieg: Da sollte das Kochbuch deutsch werden. In der Auflage von 1916 wurden sämtliche französischen Wörter gestrichen. Aus „Kartoffelpüree“ wurde „Kartoffelbrei“, aus „Apfelsinengelee“ wurde „Apfelsinensulz“ und die „Sauce“ wird nun „Soße“ geschrieben. Aber die Rezepte selbst blieben unverändert.

Und im Nationalsozialismus?

Auch hier spiegelt das Buch den Zeitgeist. Besonders bemerkenswert finde ich, dass ein ganzes Kapitel umbenannt wurde: Aus „Zusammengekochte Gerichte“ wurden „Eintopfgerichte“.

Interessant ist die rigorose Sprachreinigung im Ersten Weltkrieg: Da sollte das Kochbuch deutsch werden. In der Auflage von 1916 wurden sämtliche französischen Wörter gestrichen

Regina Frisch

Die Nazis machten aus dem „Bratensonntag“ den „Eintopfsonntag“.

Der Eintopf war im Nationalsozialismus ideologisch aufgeladen. An jedem ersten Sonntag im Monat sollte Eintopf gegessen werden. Das wurde von Blockwarten kontrolliert. Der Hintergrund: Das Geld, das am Braten gespart wurde, sollte als Spende dem Winterhilfswerk zugutekommen.

In der Zeit wurde auch mehr Vegetarismus gepredigt.

Im „Bayerischen Kochbuch“ beginnt das viel früher. Es war keine moralische, sondern eine Gesundheitsbewegung, die auf Mäßigung setzte. Schlägt man unter „Vegetarismus“ in Meyers Großem Konversationslexikon von 1908 nach, erfährt man, dass nur für „Außenstehende“ fleischlose Ernährung das wichtigste Merkmal des Vegetarismus sei. Vegetarismus bedeutete eher fleischarm zu essen.

Fast wie heute die Flexitarier.

Unter den Autorinnen des „Bayerischen Kochbuchs“ gab es einige Anhängerinnen von Mikkel Hindhede, dem Erfinder des Hindhede-Salats aus gekochtem Gemüse. Das war ein dänischer Arzt aus armen Verhältnissen. Er musste im Studium sehr sparen und entwickelte dabei eine gesunde Arme-Leute-Küche. Er sagte, man brauche kein Fleisch für eine gesunde Ernährung. Zum Ärger der offiziellen Ernährungslehre.

Wie färbte die NS-Zeit noch auf das Kochbuch ab?

Vor allem in den Vorworten. Das von 1938 liest sich wie ein nationalsozialistisches Pamphlet. Da „ringt das deutsche Volk um Nahrungsfreiheit“ und „an vorderster Front steht die deutsche Frau von Land und Stadt“. Diese solle „Nahrungsmittel bevorzugen, die der deutsche Boden bietet“.

Und nach dem Krieg?

1947 geht es darum, aus dem bisschen, was man hat, das Beste zu machen. Januar 1949 heißt es schon, „die wirtschaftlichen Verhältnisse in Westdeutschland haben sich im Allgemeinen verbessert“. Und 1952 wird Maria Hofmann poetisch. Sie schreibt: „Das Kochen ist zur Kunst geworden“, und zitiert, um zu Ihrer Eingangsfrage zurückzukommen, den bayrischen Essayisten Josef Hofmiller: „Kochbücher gehören zum wertvollsten literarischen Besitz der Nationen.“

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