Gericht verhandelt Bestechlichkeit: Folgenschwere Freikarten
Im Prozess zur Vergabe von Freikarten für ein Rolling-Stones-Konzert im Hamburger Stadtpark sagen Beschuldigte, so etwas sei branchenüblich.
Das Konzert, zu dem an die 80.000 Besucher kamen, war der Auftakt zu einer Europa-Tournee der Rockband und mit der entsprechenden Publicity für die Stadt verbunden. Die zentrale Festwiese im Stadtpark war seit 1987 nicht mehr für Popkonzerte freigegeben worden.
Die Staatsanwaltschaft wirft Rösler und Oelrichs vor, für die Nutzung des Parks nur rund 200.000 Euro Gebühren verlangt zu haben, während 600.000 Euro angemessen gewesen wären. Somit wäre der Stadt ein Schaden in Höhe von 400.000 Euro entstanden.
„Rösler sollte sich für ein möglichst günstiges Nutzungsentgelt einsetzen“, trug die Staatsanwaltschaft vor. Im Gegenzug habe sich der Bezirksamtsleiter vom Veranstalter 100 Freikarten geben und 300 Kaufkarten reservieren lassen. Die Freikarten verteilte er unter Mitarbeitern seines Bezirksamtes, angeblich als Dank für geleistete und zukünftige Dienste. Die Kaufkarten soll er „Freunden des Hauses“ angeboten haben.
Zwei SPD-Staatsräte – so heißen in Hamburg die Staatssekretäre – nahmen das Angebot an. Sie bezahlten jeweils mehrere Hundert Euro für die Tickets und wandten ein Strafverfahren gegen sich mit der Zahlung von vierstelligen Geldbußen ab. Eine SPD-Staatsrätin, die zwar keine Tickets bezog, Röslers Aktion aber mit einer rückdatierten Genehmigung absegnete, musste eine Geldstrafe von mehr als 20.000 Euro bezahlen. Sie verlor ihr Amt.
Der inzwischen pensionierte Bezirksamtsleiter Rösler äußerte sich nicht zur Sache. Dafür wehrte sich sein damaliger Vertreter, der damalige Leiter des Dezernats „Steuerung und Service“, in einer 90-minütigen Einlassung gegen die Vorwürfe. Oelrichs hatte für sich, seine Frau und seine Tochter drei Freikarten angenommen. Rösler hatte dies genehmigt.
„Die Stones verfolgen mich und meine Familie seit vier Jahren“, sagte Oelrichs. „Es ist das erste Mal, dass ich mich verteidigen kann.“ Die Tickets habe er in Anspruch genommen, weil er an diesem Abend das Bezirksamt repräsentiert habe, verteidigte sich Oelrichs. Zudem sei er in seiner Funktion als Leiter des Krisenstabes dort gewesen, schließlich hätte die Massenveranstaltung ja auch aus dem Ruder laufen können.
Mit dem Konzert, das für das Bezirksamt eine Riesenaufgabe bedeutet hätte, sei er aufgrund seiner Arbeitsüberlastung nur wenige Stunden intensiv und unter Zeitdruck befasst gewesen. Das Annehmen und Weiterreichen der Tickets halte er nach wie vor für rechtlich in Ordnung. Die Vorwürfe seien unplausibel, schon weil es kein Motiv gebe. „Was hätte Rösler denn erreichen wollen?“, fragte Oelrichs.
Für ihn habe außer Zweifel gestanden, dass der Vertrag über die Stadtparknutzung schon geschlossen gewesen sei, als die Tickets angeboten wurden. Schließlich sei schon bundesweit über das Event berichtet worden, sodass der Senat schwerlich einen Rückzieher hätte machen können.
Zudem sei zweifelhaft, ob FKP-Scorpio überhaupt ein Vorteil gewährt worden sei. Rösler habe das Nutzungsentgelt im Rahmen seines Ermessens festgelegt – ein Entgelt, das im Übrigen vergleichsweise hoch gewesen sei, wie auch der Rechtsbeistand des Veranstalters bestätigte.
Freikarten wegen Repräsentationspflichten
Für eine „nackte Wiese“ ohne Infrastruktur habe Scorpio 255.000 Euro Entgelt bezahlt. Für ein vergleichbares Konzert auf der gut ausgestatteten Trabrennbahn seien 140.000 Euro fällig gewesen. Zudem habe Scorpio fast 500.000 Euro für die Beseitigung von Schäden am Park bezahlt.
Dass dem Vermieter ein Kartenkontingent, sogenannte „Venue Tickets“ zur Verfügung gestellt werden, sei im Übrigen üblich und in den städtischen Regularien vielfach vorgesehen, sagte Oelrichs. „Die Gewährung von Freikarten an Vermieter entspricht den allgemeinen Gepflogenheiten“, sagte auch Scorpio-Anwalt Oliver Pragal. Eine vergleichbare Praxis in der Elbphilharmonie werde ja auch nicht beanstandet. Die Einladung des Bezirksamtsleiters Rösler zum Konzert und zu einem Empfang sei dessen Repräsentationspflichten geschuldet gewesen.
Dessen Rechtsbeistand Leon Kruse sagte daraufhin, dass die Tickets nicht dem Bezirksamtsleiter persönlich übergeben worden seien, sondern dem Bezirksamt. Wenn also ein geldwerter Vorteil eingezogen werden müsste, sprich die von der Staatsanwaltschaft errechneten 400.000 Euro, dann bei der Stadt selbst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
AfD-Verbotsantrag im Bundestag
Wahlkampfgeschenk für die AfD