Gerechtigkeit nach 21 Jahren: Ein historisches Urteil

Ein Urteil verpflichtet den kolumbianischen Staat zur Wiedergutmachung von Gewalttaten. Damit werden auch Jour­na­lis­t:in­nen besser geschützt.

Portrait einer Frau mit einem Glas in der Hand hinter Mikrofonen

Jineth Bedoya im März auf einer Pressekonferenz in Bogota Foto: Carlos Ortega/EEE/imago images

Den Ort für das nationale Mahnmal für die Opfer sexueller Gewalt hat ­Jineth Bedoya schon lange im Kopf. Mit dem am vergangenen Montag veröffentlichten Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte könnte der Traum der 47-jährigen Journalistin Realität werden. Das „La Modelo“, Bogotás berüchtigte Justizvollzugsanstalt, zum Ort der Erinnerung und zum Mahnmal für die ­Opfer sexueller Gewalt werden zu lassen.

Dort hängen heute und hingen auch am 25. Mai 2.000 die Überwachungskameras am Eingang der chronisch überfüllten Haftanstalt. An jenem Tag im Mai wartete Jineth Bedoya auf Einlass, um ein Interview mit Paramilitärs über die Machtkämpfe hinter Gittern zu führen, und wurde unter den Augen des Wachpersonals entführt. Der Interviewtermin entpuppte sich als Falle der Paramilitärs, denen die akribisch recherchierende Journalistin des El Espectador zu nahe gekommen war. Bedoya wurde in ein Auto gezogen, bedroht, gefoltert, vergewaltigt und nach einem zehnstündigen Martyrium freigelassen.

Ziel war es, so die Richter in ihrem 92-seitigen Urteil, die Reporterin mundtot zu machen. Sexuelle Gewalt sei gezielt eingesetzt worden, um Bedoyas unbequeme Recherchen zu unterbinden, so steht es im Urteil. „Das hat historischen Charakter“, meint die Anwältin Viviana Krsticevic, Direktorin des Zentrum für Gerechtigkeit und Internationales Recht (CEJIL). Sie vertrat Bedoya, die unendlich viele Details rund um die an ihr begangenen Verbrechen selbst recherchierte, und dokumentierte den Fall gemeinsam mit den Experten der Stiftung für die Pressefreiheit (FLIP) aus Bogotá.

Ein Urteil mit Signalcharakter

Dort liefen alle Fäden zusammen und dort fand am vergangenen Dienstag auch die Pressekonferenz statt, nachdem die Richter ihr weitreichendes Urteil einen Tag zuvor in San José vorgestellt hatten. „Das Urteil gibt uns Instrumente in die Hand, denn es verpflichtet den kolumbianischen Staat Jour­na­lis­t*in­nen besser zu schützen, Straftaten gegen sie zu ermitteln und zu sanktionieren“, so FLIP-Direktor Jonathan Bock.

Er hatte mit einem positiven Urteil, das den kolumbianischen Staat sowohl für Ermittlungsfehler als auch für die Tatsache, dass die Auftraggeber für die an Jineth ­Bedoya verübten Straftaten, bis heute auf freiem Fuß sind, verantwortlich macht, gerechnet. Doch das Urteil geht darüber weit hinaus, denn es wertet die jahrelange Straflosigkeit als Folter der Opfer.

Das hat Signalcharakter. Für etliche Familien, deren Angehörige ermordet wurden, weil sie über den Bürgerkrieg, über die Verbindungen zwischen Armee und Paramilitärs oder die Rekrutierung von Minderjährigen durch Guerilla und Paramilitärs berichteten. Doch die Tragweite des Urteil geht noch weit darüber hinaus, so der ehemalige Chef von Jineth Bedoya, Jorge Cardona. Für den Redaktionsleiter des El Espectador ist das Urteil sowohl ein Sieg für den Journalismus als auch für die Frauen.

Ein Tag der in die Geschicht eingeht

Eine Einschätzung, die Jineth Bedoya teilt: „Der 18. Oktober 2021 wird als der Tag in die Geschichte eingehen, an dem ein Kampf, der mit einer Straftat an einer einzelnen Person begann, dazu führte, dass die Rechte von Tausenden von Frauen, die Opfer sexueller Gewalt wurden, verteidigt wurden“, erklärte Bedoya nach der Urteilsverkündung. Sie appellierte wenig später an die Ermittler der „Sonderjustiz für den Frieden“, sexuelle Gewalt zum Fall zu machen. Nun sei die goldene Gelegenheit für die JEP (Jurisdicción especial para la Paz, so viel wie Sonderjustiz für den Frieden, Anm. d. Red.) gekommen, zu demonstrieren, dass sexuelle Gewalt in Kolumbien endlich als Verbrechen geahndet wird.

Eine Etappe auf dem Weg dahin hat Bedoya bereits genommen. Die Richter des Interamerikanischen Gerichtshofs haben den kolumbianischen Staat dazu verurteilt, ein Zentrum der Erinnerung für die Opfer sexueller Gewalt zu errichten und zu finanzieren. Ob die von Tunneln unterhöhlte und veraltete Justizanstalt „La Modelo“ dafür wirklich geräumt wird, muss sich noch zeigen. Bedoya hat deshalb Präsident Iván Duque öffentlich um ein Gespräch gebeten – bisher ohne Resonanz.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.