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Geräuschemacher Martin LangenbachNachts, wenn die Handschuhe fliegen

Braucht ein Filmemacher einen bestimmten Sound, kriegt er den in einer Datenbank. Oder er geht in ein Hamburger Industriegebiet.

Klappern, kratzen, streicheln: Martin Langenbach bei der Arbeit Foto: Miguel Ferraz

Hamburg taz | Wenn man bewusst seine Arbeit hört, ist sie eigentlich schon missraten. Mit diesem Dilemma muss Martin Langenbach leben: Als Geräuschemacher hat er die Aufgabe, Klänge zu erzeugen – un d die müssen sich so echt anhören, als wären sie eben nicht im Studio entstanden. Zusammen mit der Musik und den Effekten des Sounddesigners bilden sie den akustischen Hintergrund.

Dass im Filmgeschäft – das auf allen Ebenen so durchdigitalisiert ist wie kaum eine andere Branche – immer noch ganz altmodisch mit Requisiten in einem Tonstudio Geräusche produziert werden – verwunderlich. Denn es gibt inzwischen riesige Datenbänke, in denen denen sich fast jedes existierende Geräusch finden und dann weiterbenutzen lässt.

Langenbach stellt die Gegenrechnung auf: Die Suche nach dem Geräusch, das dann ja auch synchron sein muss, wäre so zeitaufwendig, dass es mehr Sinn haben kann, es doch gleich selbst zu erzeugen. In einem Kammerspiel mit nur drei handelnden Personen kämen leicht um die 1000 Schritte zusammen, rechnet er vor, die sowohl zeitlich wie atmosphärisch genau passen müssen.

Auch sei Regen beispielsweise nicht gleich Regen: Es gebe ja „starken oder Nieselregen, dicke Tropfen, dünne Tropfen, Regen auf Blechdach, auf Autodach, auf Blätter, eine Wiese oder einen See“. All diese Klänge kann Langenbach in seinem Studio viel schneller und pointierter produzieren als es mit den Originaltönen oder Material aus einem Archiv möglich wäre und so scheint das Geräuschemachen noch lange die letzte analoge Nische in der Filmproduktion zu bleiben.

In einem industriell geprägten Teil des Hamburger Stadtteils Wilhelmsburg hat sich der 1972 in der Schweiz geborene Langenbach sein Studio eingerichtet. Der Aufnahmeraum und einige Nebenzimmer sind voller Requisiten, die er sich über die Jahre zusammengesammelt hat, und mit denen er häufig nur jeweils einen ganz besonderen Ton erzeugen kann.

Ist dieses Objekt da nun ein Einrichtungsgegenstand, jenes ein Möbelstück – oder eben doch ein Klangkörper? Bei den Plastikkästen mit Geröll, der kleinen Wasserwanne, den verschiedenen Bodenbelägen oder den vielen Schuhen ist dies noch recht eindeutig zu erkennen. Aber die Kleidungstücke auf einer Garderobenstange? Langenbach zeigt auf eine Flanell-Schlafanzughose, die bei den Aufnahmen seine eigene Arbeitskleidung ist – weil sie selbst so gut wie keine Geräusche macht.

Man erkennt sie an den Schritten

Für das Kriegsdrama Unter dem Sand bekam er echte Landminen zugesandt

Aus dem Sound, den Kleidungsstücke bei Bewegung erzeugen, besteht tatsächlich ein großer Teil der Arbeit von Langenbach. Noch wichtiger sind aber die erwähnten Schritte: Schritte auf unterschiedlichen Untergründen, zögernde, eilende, traurige oder fröhliche. „An seinen Schritten kann man einen guten Geräuschemacher erkennen“, das ist ein Spruch von Joern Poetzl, dem alten Meister des Geräuschemachens, bei dem Langenbach in den 90er-Jahren für einige Zeit lang als Assistent arbeitete.

Aber wie wird man eigentlich Geräuschemacher? Ein Traumberuf ist das eher nicht, obwohl sich inzwischen junge Leute bei Langenbach melden, die gerne bei ihm lernen würden. Ihn verwundert das: Er selbst wollte damals Filme machen, hatte sich nach Abitur und Zivildienst bei einer Filmhochschule beworben und dafür war ein Praktikum erforderlich gewesen. Den Platz bekam er in einem Tonstudio, und als dort einmal, klar, Schritte auf einer Tonspur fehlten, sollte er – zuständig für alles und nichts – sie erzeugen.

Das bekam er hin, und das so gut, dass das Studio danach auch Sounddesign-Aufträge annahm und Langenbach irgendwann sogar seinen eigenen Studioanbau dafür erhielt. In den 90er-Jaren arbeitete er zunächst als Sounddesigner, war also verantwortlich für die gesamte Mischung der Geräusche auf der Tonspur. Dann spezialisierte er sich auf die Produktion der Geräusche.

Komplexere Arbeit

Der Grund? Sounddesigner werden zwar besser bezahlt, arbeiten aber auch Wochen lang an einem einzigen Film. Dagegen wird die Arbeit des Geräuschemachers in Tagen gemessen. Die International Movie Data Base führt Langenbach als „foley artist“ – nach Hollywoods erstem Geräuschemacher Jack Donovan Foley – mit rund 350 Filmen. Der früheste ist „Die Mediocren“ von 1995, einer der jüngsten war die Komödie „Toni Erdmann“. Aber es fehlen viele Dokumentationen Kurzfilme, Werbespots und Hörspiele – Langenbach macht Geräusche für all diese Formate.

Bei seiner Arbeit versuche er stets „Natürlichkeit zu produzieren“, sagt Langenbach. Und diese Arbeit ist komplexer geworden, seit er damals noch mit den sieben Tonspuren gearbeitet hat, wie sie im Studio üblich waren. Inzwischen sitzt der Tonmeister, mit dem der Geräuschemacher stets im Team arbeitet, vor einem Mischpult, mittels dessen die Geräusche für einzelne Szenen aus vielen einzelnen Elementen zusammengesetzt werden.

Bei einem Sturz in die Tiefe klöttern da Dutzende von Wagenteilen und Gepäckstücken. Und beim Einbrechen in einen gefrorenen See werden das Brechen des Eises, das Knarren der Schuhe, das Knistern der gefrorenen Gräser und das Plätschern des Wassers einzeln aufgenommen und dann gemischt. Kommt ein Gewitter heute auch bei Langenbach aus dem Archiv, erhielt er andererseits für das Kriegsdrama „Unter dem Sand“ tatsächlich die Landminen zugesandt, mit denen im Film die deutschen Kriegsgefangenen hantieren.

Am häufigsten tritt er aber mit unterschiedlichem Schuhwerk auf verschiedenen Unterlagen herum, reibt und scheuert an Dingen aus seinem Arsenal, klappert, kratzt, schlägt, streichelt und plätschert. Die Kunst des Geräuschemachers besteht darin, sich in diesem Kosmos so gut auszukennen, dass er mit seinen Tönen sowohl die Dramaturgie wie auch die Stimmung ein Films unterstützt. Und es gibt diese geglückten Momente: Wenn sich die Atmosphäre eines morastigen Sees mit einem simplen Waschlappen erzeugen lässt. Oder er mit zwei Handschuhen das Vorbeifliegen einer Fledermaus hinbekommt – und keiner hat es gemerkt.

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