Theater ohne Worte: Ästhetische Fingerübung

Schillers „Räuber“ ohne Worte, dafür mit Pantomime, üppiger Ausstattung und Geräuschen: Dieses Experiment unternahm die Regisseurin Ruth Messing am Jungen Schauspiel Hannover. Das Ergebnis ist mager.

Gute Ausstattung, verlorener Inhalt: Schillers "Räuber" am Jungen Schauspiel Hannover. Bild: Katrin Ribbe

HANNOVER taz | Sprechen verboten: Seine Liebe erklärt Franz der Amalia mit kühn verklemmten Verrenkungen und eitlem Getue – prompt erntet er eine grimmige Zicken-Pantomime. Auch die schurkische Scharade für sein ethisches Prinzip des Eigennutzes gestaltet Franz wortlos mit Heuchlerblicken und ironisch zelebrierten Zuneigungsgesten.

Das Stück, das hier gegeben wird, ist „Die Räuber“ von Friedrich Schiller. Regisseurin Ruth Messing inszeniert das Stück am Jungen Schauspiel Hannover stumm, aber mit akustischer Untermalung durch einen Geräuschemacher. Entstanden ist eine Oper auf Orchesterentzug, ein von Sprechakten befreites Live-Hörspiel, ein Stummfilmtheater.

Karl zum Beispiel kämpft für das Gute, Wahre, Schöne, sagt aber ebenfalls nichts. Der alttestamentarische Bruderzwist zwischen ihm und Franz wird schweigend in die Stille hineingeformt. Wo auch der Vater tattergreisig schweigsam unter dem Intrigenspiel leidet und dann vollends verstummt, also: körpersprachlich stirbt.

Der Geräuschemacher begleitet das Geschehen mit perkussiv forciertem Geklimper, Geklöter, Getrommel, er lässt Backpfeifen knallen und Herzen pochen und erzeugt klangmalerisch Atmosphärewolken, vom impressionistischen Surren, Rauschen, Blubbern bis hin zu expressionistischem Hämmern, Schleifen, Schmirgeln, Kratzen.

Für Charaktere und Situationen werden zudem kleine melodische Motive vorgestellt, mit denen szenengerecht auf einem präparierten Klavier improvisiert wird. Damit ergibt sich eine chaotische Parade der Typen, wie man sie aus Herbert Fritschs Extremkomikinszenierungen kennt.

Wie auch die entzückenden Barockfantasien der Ausstattung: In Bällebädern und Praliné-Abteilungen gesammelte Kugeln sind zu Lockenperücken verarbeitet, Sackleinenfetzen zu Narrengewändern geschneidert und mit pittoresken Häkel und Strickapplikationen versehen.

Die Inszenierung klingt faszinierend und sieht auch hervorragend aus, aber sie skelettiert das komplexe Textgefüge auf wenige zentrale Szenen, mit denen Schiller dramatische Konventionen bediente. Alles genial Originäre des Werks bleibt außen vor. Regiehandwerk spielt lustvoll mit Dichterhandwerk. Wer das Stück nicht kennt, lernt es nicht kennen. Wer es kennt, muss auf Erkenntniszuwachs verzichten.

Als Ersatz prunken hübsche Regieeinfälle. Wenn sich beispielsweise Franz empört, warum das Leben seines Vaters seit Ewigkeiten nicht enden will, hört er auf zu spielen – und guckt eine gefühlte Ewigkeit untätig genervt ins Publikum.

Ein zentraler Aspekt

Inhaltlich bleibt immerhin ein zentraler Aspekt Schillers erhalten: Wie viel Freiheit ist dem Menschen zumutbar? Karl entdeckt in Schattenspielszenen Beispiele sozialer Ungerechtigkeit, schmeißt daraufhin all seine Studierbücher auf den Boden und wird Hauptmann einer Räuberbande.

Diese Jugendbewegung wurde auf deutschen Bühnen schon als RAF-Kommando, Neonazi-Truppe und Taliban-Verein inszeniert. Sie wurde schon ganz romantisch genutzt zur Illustration der Zuneigung des Wutbürgers zu allem Rebellischen oder zur Illustration der urmenschlichen Sehnsucht nach Führerfiguren.

An den norddeutschen Theatern kämpften in den letzten Jahren beispielsweise „Räuber“-Kids der Anarchoszene gegen die Alt-68er-Generation (Regie: Volker Lösch, Bremen), quietschfidel gegen Pubertät und die Schmerzen der Identitätssuche (Regie: Marc Becker, Oldenburg), gegen ihr aufgeblähtes Ich-Design (Regie: Eva Lange, Wilhelmshaven), gegen die Aufführungstradition des Stücks (Regie: Nicolas Stemann, Hamburg) und gegen die Vergnügungsindustrie (Regie: Felix Rothenhäusler, Bremen).

In Hannover beginnt das austobende Aufbegehren mit Lokalkolorit, nämlich mit dem Diebstahl des Leibnizkekses. Dann aber entbietet ein Räuber den Hitlergruß und die Kollegen sind als dumpfbackig herumballernde Waffennarren kenntlich: eine marodierende Schurkenbande, die endlos Säcke mit der Aufschrift „Beute“ davonschleppt. Als Karl im Tohuwabohu der Räuberpistole erkennt, das dabei auch Kinder umkommen, gibt er den einzigen menschlichen Laut der Aufführung von sich: ein Schreigeräusch.

Bitte nachdenken, soll das wohl heißen, Widerstand aus Freiheitsidealismus rechtfertigt nicht alle Mittel. Mehr Inhalt wird den Zuschauern nicht zugemutet. So sind Schillers „Räuber“ vor allem ein hochtourig beschleunigter Theatercomic nonverbaler Ausdrucksmittel. Sie werden imitiert, Gefühle werden nur grob visualisiert, also nie erspielt. Cool könnte das sein. Hektisch unterhaltsam ist diese ästhetische Fingerübung.

nächste Aufführungen: 30. 10., 7. 11. und 10. 11.
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