Geräumte Häuser in Milwaukee: Deutsche Bank "nicht zuständig"
Schon vor der Krise konnten viele in Milwaukee die Raten für ihre Häuser nicht zahlen. Die Deutsche Bank hat dort den größten Bestand an zwangsgeräumten Häusern. Die verfallen jetzt.
"Spezialangebot für Investor" steht auf dem handbeschrifteten gelben Pappkarton: "Discount-Preise für ein und zweistöckige Häuser". Solche Kartons sind alle paar hundert Meter auf dem Mittelstreifen der Fond du Lac Avenue aufgestellt, die vom Zentrum von Milwaukee zu den Vororten im Nordosten führt. Wer die Telefonnummer wählt, erfährt, dass die Häuser zwischen 10.000 und 25.000 Dollar kosten sollen. "Manche sind in einem ziemlich guten Zustand", sagt der Immobilienhändler. "Wir möchten sie schnell loswerden, um neue zu kaufen."
Die 23. Straße ist interessant für Investoren. Die Holzbungalows, ein jedes in einer anderen Farbe und mit einem Stück Rasen rundum, stammen aus dem späten 19. Jahrhundert, als dies das Herz des deutschen Milwaukee war. Die kleine rote Backsteinkirche der Emmaus-Gemeinde, ein paar Meter weiter, sieht aus, als wäre sie gerade aus Preußen eingeflogen worden. Und auch die stillgelegten Bierbrauereien in der Nähe könnten irgendwo in Deutschland stehen.
Heute wohnen hier vor allem Afroamerikaner. Und die Hälfte der Häuser ist überhaupt nicht mehr bewohnt. In ihrem Inneren sind die Heizkörper, Rohre und Kabel aus den Wänden gerissen. Es regnet durch Dächer in obere Geschosse. Über Haustüren und zerschlagene Fenster sind grüne Holzplatten genagelt. Und in den Vorgärten wuchern kniehoch Gras und Pusteblumen.
Zumeist verloren die Bewohner ihre Häuser, als sie die Raten für ihre Kredite nicht mehr zahlen konnten. Die neuen Besitzer sind Banken, die Hypothekendarlehen gekauft haben und durch Zwangsräumungen zu Hausbesitzern wurden. In Milwaukee sind dies vor allem Wells Fargo, US Bank sowie eine aus Frankfurt am Main.
Die Deutsche Bank hat den größten Bestand an zwangsgeräumten Häusern in der Stadt. Die Manager sagen, die Deutsche Bank sei "Treuhänderin". Für das operative Geschäft sei nicht sie verantwortlich, sondern "rund 20 Dienstleister", die die Häuser verwalteten und auch über Räumungsklagen entschieden. Maria Prioletta, die Leiterin der Abteilung für Stadtentwicklung in Milwaukee, hat 145 zwangsgeräumte Häuser erfasst, bei denen die Deutschen Bank derzeit Treuhänderin ist. Bei weiteren 657 Häusern wurden Zwangsräumungen angestrengt.
Banker nicht zu sprechen
Auch das Haus Nummer 2733 an der 23. Straße gehört zum Bestand der Deutschen Bank. Im Februar verurteilte ein Gericht die Bank zu 2.375 Dollar Strafe wegen unterlassener Instandhaltung. Die Stadtverwaltung, die immer höhere Instandhaltungskosten hat, bemüht sich seit Monaten um direkte Gespräche mit der Deutschen Bank. Erfolglos. Ratsherr Michael Murphy, zuständig für die Finanzen, hat bereits US-Finanzminister Timothy Geithner um Hilfe bei der Vermittlung eines Treffens gebeten. "Die Gesundheit vieler Quartiere in Milwaukee ist durch die Räumungsklagen bedroht", sagt er und fügt hinzu: "Sie behandeln uns wie lästige Fliegen. Wir haben keine Bedeutung für sie."
James Exum wohnt auf der gegenüberliegenden Straßenseite bei seiner Mutter. Er hat erlebt, wie sich ein Nachbar nach dem anderen Hypotheken aufschwatzen ließ. Um ein neues Auto zu kaufen. Oder eine Hochzeit zu finanzieren. Auch bei seiner Mutter klopften die Kreditmakler an. "Sie brauchen kein eigenes Einkommen", sagten sie der alten Dame, "Ihr Haus reicht völlig als Bürgschaft. Stellen Sie Sich bloß vor, was Sie alles kaufen können." Exums Mutter lehnte ab. Als die Nachbarn ihre Häuser an Banken verloren, konnte sie bleiben. Aber auch ihr Leben ist schwieriger geworden. Nicht nur, weil ihr eigenes Haus mit jeder neuen Räumung an Wert verliert. Sondern auch wegen der Dealer, die in leerstehende Nachbarhäuser eingezogen sind.
Am stärksten von der Immobilienkrise betroffen sind die von Schwarzen bewohnten Stadtteile. "Prozentual haben Afroamerikaner viermal häufiger überteuerte Raubkredite bekommen als Weiße", erzählt Bethany Sanchez. Auf dem Schreibtisch der Direktorin des "Fair Lending"-Programms von Milwaukee landen viele Dossiers von Zwangsgeräumten. Häufig findet sie darin variable Zinssätze, die bis zum Vielfachen der Marktzinsen reichen - obwohl die Betroffenen Anspruch auf Kredite zu niedrigen Zinssätzen gehabt hätten.
Jamilah und John Thomas gehen im April 2003 in die Falle. Ihr Traum ist ein Vierzimmerhaus in der 42. Straße. Gekauft zu 100 Prozent auf Kredit. Anfangs sind die monatlichen Ratenzahlungen von 430 Dollar gerade noch erträglich. Als sie auf 782 Dollar steigen, versucht das Paar eine Umschuldung. 2007, da betragen die monatlichen Ratenzahlungen bereits 1.100 Dollar, hat John Thomas einen Unfall und kann mehrere Wochen nicht seinen Job als Fahrer ausüben. Das Paar verliert das Haus.
Längst treffen die Zwangsräumungen auch schicke Mittelschichtssiedlungen. In River Hills, wo die Gärten aussehen wie Golfplätze, lebt Maureen Uy mit ihrem Mann Mark in einem Fünfzimmerhaus. Die Besitzerin einer Werbeagentur gerät in Zahlungsschwierigkeiten, als sie 2008 mehrere große Kunden verliert. Sie reagiert, wie sie es im Studium gelernt hat: Sie informiert ihren Kreditgeber, kündigt eine vorübergehende Krise an und bittet um eine Neuverhandlung ihrer Schulden. Als Reaktion bekommt sie Strafgebühren für Zahlungssäumnisse. Seither hat sie Dutzende Briefe geschrieben und Telefonate geführt. Aber das gewünschte Gespräch mit einem Vertreter der Deutschen Bank kam nicht zustande.
Angesichts ihrer drohenden Räumung sagt Maureen Uy: "Wenn ich die Bank wäre, würde ich als Erstes den Wert des Hauses schätzen lassen. Dann würde ich überlegen, was sinnvoller wäre: eine neue Regelung mit den jetzigen Bewohnern zu finden oder das Objekt auf den Immobilienmarkt zu stellen, wo ich weiß, dass es im Augenblick keine Käufer finden wird?"
Zusammen mit Kommunalpolitikern und Sozialarbeitern greift auch eine Bürgerinitiative in Milwaukee ein. "Common Ground" hat ein Dreipunkteprogramm entwickelt. Unter Punkt eins schlägt die Bürgerinitiative "verantwortungsbewusste Räumungen" vor. Wann immer möglich, sollen die Bewohner in ihren Häusern bleiben, andernfalls zu anderen Nutzer, aber nicht zu Spekulanten gehen. Zudem sollen Banken - und nicht etwa die Stadtverwaltung - bezahlen, wenn Häuser in ihrem Besitz abgerissen werden müssen.
Schließlich soll ein Wohnungsfonds Neubau geschaffen werden. Darin sollen die drei großen Banken, die zwangsgeräumte Häuser in Milwaukee besitzen, jeweils 25 Millionen Dollar einzahlen. "Wir sind nicht gegen die Banken", sagt Susan Giamo von Common Ground, "wir wollen das Leben in unseren Vierteln verbessern."
Wells Fargo und US Bank haben sich bereits mit Common Ground getroffen. Die Deutsche Bank, die in Milwaukee keine eigene Niederlassung hat, nicht. Ihre Manager haben lediglich Briefe geschrieben sowie eine Telefonkonferenz vorgeschlagen und erklärt, dass sie als Treuhänder nicht zuständig seien. Damit will Common Ground sich nicht abfinden. Die Bürgerinitiative hat zwei Mitglieder nach Frankfurt geschickt. Dort wollen sie bei der Hauptversammlung sprechen und daran erinnern, dass Hausbesitz etwas mit Verantwortung zu tun hat.
Als die taz die Vertretung der Deutschen Bank in den USA um Informationen über ihre Immobilien in Milwaukee bittet, organisiert der Pressesprecher eine Telefonkonferenz. Er schaltet zwei Manager - einen aus Kalifornien und einen aus Frankfurt - sowie einen Anwalt aus New York in die Leitung. Der Anwalt soll nicht namentlich zitiert werden, Zitate der Manager will man nur "nach Vorlage" gestatten.
Ohnehin gibt es nichts zu zitieren. Keiner der Herren hat Antworten auf einfache Fragen. Im Gegensatz zur Stadtverwaltung will die Deutsche Bank nicht einmal die Zahl ihrer Immobilien in Milwaukee nennen. Präzise sind die Manager nur in einem Punkt: Die Deutsche Bank ist nicht zuständig. Die geräumten Häuser in Milwaukee gehörten den Investoren, Anlegern in Pensionsfonds. Über deren Eigentum dürfe die Bank nicht verfügen. Von Rechts wegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Umwälzungen in Syrien
Aufstieg und Fall der Familie Assad