piwik no script img

Geplatzter Vertrag von EU und SchweizDéjà-vu namens Schweixit

Die Schweiz beendet Verhandlungen mit der EU, vorgeblich weil die sich beim Binnenmarkt unnachgiebig zeigt. Das weckt Erinnerungen.

Nationale Sonderregeln, um Bürger und ihre sozialen Rechte zu schützen, das akzeptiert die EU nicht Foto: Vincent Isore/imago

Erst der Brexit, nun der Schwexit? Nein, sagen die EU-Politiker in Brüssel, ganz so schlimm wird es nicht kommen. Dass die Schweiz die Verhandlungen über den Rahmenvertrag mit Brüssel platzen ließ, werde nicht so dramatische Folgen haben wie der britische EU-Austritt. Der Abbruch der Gespräche sei zwar „ein wirklich heftiger Rückschlag“, erklärte Außenminister Heiko Maas (SPD). Damit würden „die Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz schwieriger werden“.

Doch einen radikalen Bruch wie mit Großbritannien werde es nicht geben. Denn die Eidgenossenschaft behält den wichtigen Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Der Handel geht genauso weiter wie der Personenverkehr. Ein Einbruch des Warenaustauschs – wie mit Großbritannien – ist ebenso wenig zu fürchten wie Chaos an den Grenzen.

Allerdings warnt die EU-Kommission vor Risiken und Nebenwirkungen. So werde die EU ab sofort nicht mehr automatisch Zertifizierungen für Medizinprodukte anerkennen. Hersteller aus der Schweiz, die in die EU exportieren, müssen künftig eine Zertifizierung beantragen.

Zudem sollen die Verhandlungen über einen Zutritt der Schweiz zum europäischen Strommarkt und über ein Gesundheitsabkommen mit der EU nicht fortgeführt werden. Auch beim Zugang zum europäischen Forschungsprogramm „Horizon“ könnte es Pro­ble­me geben.

Drohende Worte

Man schlage die Tür nicht zu, doch nun liege der Ball in Bern, sagte ein Sprecher der Brüsseler Behörde. Ähnlich klingen die Reaktionen aus dem Europaparlament. „Die Entscheidung des Schweizer Bundesrats richtet beträchtlichen Flurschaden an“, kommentiert Andreas Schwab, der die Schweiz-Delegation im Parlament leitet.

Der Zugang zum Binnenmarkt werde „immer schwieriger werden“, so der CDU-Politiker. Schließlich entwickle sich das EU-Recht fort. Und es gebe „keine Rechtssicherheit, weil uns ein funktionierender Streitschlichtungsmechanismus fehlt“. Mittelfristig könne dies zu Einschränkungen des Marktzugangs für Schweizer Unternehmen führen.

Sorgen macht sich auch der grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold: „Jetzt gilt es eine weitere Eskalation von gegenseitigen Sanktionen und Behinderungen zu verhindern.“ Das Scheitern der Verhandlungen müsse aufgearbeitet werden, fordert Giegold. Dazu gehöre auch, das „Festhalten der EU an erwartbar schwierigen Forderungen“ zu diskutieren.

Die Europäer hatten in den Verhandlungen unter anderem automatische Anpassungen bei aktualisierten EU-Richtlinien gefordert. Bei der Personenfreizügigkeit, dem Agrarhandel und dem Verkehr sollte sich die Schweiz „dynamisch“ den Regeln der Europäischen Union anpassen. Nur so, heißt es in Brüssel, lasse sich der Zugang zum Binnenmarkt sichern.

Das Dogma der EU

Dass es für einzelne Bereiche auch nationale Sonderregeln geben könnte, um Bürgerwünsche zu berücksichtigen und soziale Rechte zu schützen, kommt in der EU-Denke nicht vor. Ganz oder gar nicht!, lautet die Doktrin zum Binnenmarkt. An diesem harten Dogma hatte sich schon Großbritannien gestoßen, als es über den Austritt verhandelte.

Die Briten sind am Ende auch aus dem Binnenmarkt ausgeschieden, weil sie sich nicht an die Vorschriften aus Brüssel halten wollten. Die Schweizer wollen nicht so weit gehen. Doch wenn Brüssel sich stur stellt und Bern keine Kompromisse eingeht, könnte am Ende doch noch der Schweixit stehen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    "Ganz oder gar nicht!, lautet die Doktrin zum Binnenmarkt." Ja sonst funktioniert ein Binnemarkt nicht, das Problem ist nicht das die EU zuviel da bestimmt sondern zu wenig, auch Steuer und Außenpolitik müssten der EU übertragen werden weil auch die den Binnemarkt beeinflussen.

  • Ist es nachzuvollziehen, wenn man nur europäische Regeln kritisiert?

    In der gesamten wirtschaftlichen Hinsicht hat sich das Vorgehen der EU doch bewährt. Fordert der Autor etwa, dass die EU in Sachen Schweiz einseitig einknickt? Die einseitigen Vorteile für das ansonsten isolierte Binnenland Schweiz liegen auf der Hand. Ohne EU geht gar nichts.

    Es steht jeder Nation zu, sich selbst auch völlig unsinnige Regeln aufzulegen. Aber nach deren Auffassung hat sich die EU eben dann danach zu richten. Es geht um viele Bereiche, wo die Schweiz alleine profitieren will.

    Aber wahrscheinlich wird die EU und ihre Politiker wieder einknicken. Denn diese sind mit der Wirtschaft personell so stark verbunden, dass sie diesen Spießgesellen nicht ein paar Teuros zusätzlichen Gewinn vermiesen will.

  • Ganz wesentlich ist hier natürlich das meme vom "harten EU Dogma". Die anständige kleine tapfere Rebellen-Schwyz hat natürlich: *kein* Dogma. Und das großartige Brexitonistan mal sowieso nicht. Ja sischa dat...