piwik no script img

Geplatzte KoalitionsverhandlungenÖsterreichs mühsame Suche

Nach dem Scheitern der FPÖ-ÖVP-Gespräche skizziert Bundespräsident Van der Bellen vier Optionen. Eine rasche Lösung ist nicht in Sicht.

Alexander Van der Bellen ist ein Wanderer auf einsamen wie auch mühsamen Pfaden dieser Tage Foto: Georg Hochmuth/dpa

Wien taz | Der Bundespräsident war in seiner Fernsehansprache Mittwochabend sichtlich bemüht, Ruhe auszustrahlen, wie es eigentlich seine Art ist. Doch ganz konnte Alexander Van der Bellen seinen Unmut nicht verbergen. Immerhin ist mit dem Ende der Gespräche zwischen FPÖ und ÖVP nun schon der dritte Anlauf für eine Regierungsbildung in Österreich gescheitert.

Als Hauptursache sieht Van der Bellen die fehlende Bereitschaft zum Kompromiss: „Die politische Landschaft polarisiert sich und Menschen aus unterschiedlichen Parteien stehen einander immer unversöhnlicher gegenüber, statt eben gemeinsam Lösungen zu finden.“

Das ist durchaus als Anspielung auf die rechtsradikale FPÖ zu verstehen, der ihr Wahlsieg über den Kopf gewachsen ist. Sie ging mit ihren Maximalforderungen in die Gespräche und war kaum zu Zugeständnissen bereit. Doch auch ÖVP und SPÖ tragen Verantwortung für das Scheitern der bisherigen Anläufe.

Van de Bellen sieht vier Optionen

Dieses Fiasko fällt auch auf den Bundespräsidenten zurück. Van der Bellen war es, der anfänglich bewusst keinen Regierungsbildungsauftrag an den extrem rechten Wahlsieger Herbert Kickl vergeben hatte – um ihn nach fehlgeschlagenen Verhandlungen zwischen Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen dann doch damit zu beauftragen. Doch auch Kickl ist nun gescheitert.

Das sind prinzipiell gute Nachrichten für die große Mehrheit, die Österreich weiterhin als liberale Demokratie beibehalten will. Offen bleibt, wie es nun weitergeht. Im Wesentlichen gibt es vier Möglichkeiten, die der Bundespräsident kurz skizziert hat, ohne dabei eine Präferenz erkennen zu lassen.

Erstens Neuwahlen, vom Nationalrat beschlossen und frühestens im Juni möglich. Bis dahin würde die bestehende schwarz-grüne Regierung die Geschäfte weiterführen. Zweitens eine Minderheitsregierung unter Duldung der anderen Parteien. Diese Form hat im kompromissorientierten Österreich kaum Tradition. Ebenso unüblich wäre, drittens, eine Expertenregierung. Beides sind eher keine tragfähigen Lösungen.

Dynamik innerhalb der Parteien

Oder viertens die Möglichkeit, dass sich die im Herbst gewählten Parteien doch noch zu einer Regierung zusammenraufen. Angesichts der Ernüchterung unter den FPÖ-Sympathisanten innerhalb der ÖVP scheint eine Wiederaufnahme der Gespräche zwischen ÖVP und SPÖ denkbar. Leicht wird diese Lösung freilich nicht, da Konservative und Sozialdemokraten teils fundamental unterschiedliche Positionen vertreten. Zu den Kernforderungen des dezidiert linken SPÖ-Chefs Andreas Babler zählen etwa die Viertagewoche, eine Bankenabgabe sowie eine Vermögenssteuer, allesamt No-Gos für die wirtschaftsnahe ÖVP.

Da der Bundespräsident nun Gespräche mit allen Parteivorsitzenden führen will, könnte ein neuerlicher Anlauf von Schwarz-Rot sein Ziel sein. Damit ließe sich eine Neuwahl vermeiden, die einige Monate kosten und dabei die Machtverhältnisse wohl auch nicht fundamental neu ordnen würde. Dann begänne die mühsame Suche nach einem Kompromiss von Neuem.

Die Zeit jedenfalls drängt, das weiß auch Van der Bellen. Die Herausforderungen sind groß: die Rekordverschuldung, die Österreich ein EU-Defizitverfahren einbringen könnte. Das bereits dritte Jahr einer hartnäckigen Rezession, die immer mehr Betriebe dahinrafft. Der jahrzehntelange Reformstau etwa bei der Bildung und Gesundheit, der immer offener zutage tritt.

Die ersten Gespräche, mit den Parteichefs der liberalen Neos, der Grünen und der ÖVP, fanden bereits am Donnerstag statt. Fraglich ist, welche innerparteilichen Dynamiken nun zutage treten. Allen voran in der SPÖ, der die ÖVP bereits ausrichten ließ, sie solle auf Chef Andreas Babler verzichten. Dieser ist auch in der SPÖ umstritten, nicht zuletzt wegen mangelnden Erfolgs. Doch auch ÖVP-Chef Christian Stocker ist womöglich nicht gesetzt. Der frühere Generalsekretär ist kurzfristig in die Fußstapfen Nehammers gesprungen, aber eher kein Mann der ersten Reihe.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Welch eine Freude, dass diese Koalitionsverhandlungen geplatzt sind. Österreich bekommt eine neue Chance nicht zu weit nach rechts abzurutschen.

  • "...der ihr Wahlsieg über den Kopf gewachsen ist."



    ich glaube gemeint ist, dass der FPÖ ihr Wahlsieg "zu Kopf gestiegen", nicht so sehr "über den Kopf gewachsen" ist. Jedenfalls wirken sie auf mich nicht besonders überfordert, eher überheblich.

    • @Hein Sprüngerl:

      Kompromisse überfordern rechtsradikale Rechthaber.

  • Jetzt ist das FPÖ-Gespinst draußen, jetzt kann die ÖVP seriös werden - dass mal ihr Bonzenklientel auch mal zur Staatsfinanzierung stärker beitragen soll, kann sie ja nun auf die SPÖ schieben. Nach rechts hat sie ja nachgewiesen, dass Kickelic keine Option ist.