Geplantes Prostitutionsgesetz: Unantastbare Menschenwürde
Die große Koalition will Prostitution in die Schmuddelecke zurückdrängen. Damit geht sie von der Unmündigkeit der Einzelnen aus.
Mehr Hilfen für Zwangsprostituierte und eigenständiges Aufenthaltsrecht für Betroffene: Manches von dem, was in den Koalitionsverhandlungen erörtert wird, gebietet schon allein die Achtung vor der Menschenwürde. Es sollte Gesetz werden. Und trotzdem lösen Zwischentöne ein gewisses Unbehagen aus. Der Verdacht verstärkt sich, dass Prostitution insgesamt in die Schmuddelecke oder gar in die Kriminalität zurückgedrängt werden soll.
Die Debatte wird derzeit nicht nur in der institutionalisierten Politik geführt, sondern in der Gesamtgesellschaft. Zahlreiche Prominente haben einen Aufruf der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer unterschrieben, die ein generelles Verbot der Prostitution fordert. Auch in Frankreich schlagen die Wogen hoch. Dort ist ein Gesetz geplant, das alle Kunden von Huren mit Geldstrafe oder Haft bedroht.
Viele derjenigen, die Prostitution verbieten wollen, bestreiten nicht, dass es Männer und Frauen gibt, die ihr Gewerbe freiwillig ausüben. Sie argumentieren allerdings, das ändere nichts, da es langfristig zu einem Prozess der physischen oder psychischen Selbstzerstörung führe. Möglich. Und?
Das Recht auf Selbstzerstörung ist ein Merkmal freiheitlicher Gesellschaften – nicht einmal versuchter Freitod ist strafbar. In England beispielsweise war das noch bis 1961 anders: weil nämlich der Krone ein „Untertan“ verloren zu gehen drohte. Aufschlussreiche Formulierung.
Geltender Rechtsprechung zufolge schützt die Unantastbarkeit der Menschenwürde das Individuum auch davor, dass andere definieren, was unter seiner Menschenwürde zu verstehen ist. Anders ausgedrückt: Wer Huren, Stricher und Freier grundsätzlich vor sich selber schützen will, geht von der Unmündigkeit der Einzelnen aus. Dagegen sollten sich auch diejenigen wehren, die sich für das Thema Prostitution wenig interessieren.
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