Geplantes Freihandelsabkommen: Neuseeland will EU-Bauern beruhigen
Der Pazifikstaat ist größter Milchexporteur weltweit. Das Land könne die Produktion allerdings kaum noch steigern, sagt Handelsminister Parker.
Der Pazifikstaat stellt ein Drittel des Welthandels mit Milch, weil die Produktionskosten dort geringer sind als etwa in Europa. Das liegt zum Beispiel daran, dass die Neuseeländer die meisten Kühe wegen des milden Klimas ganzjährig auf der Weide halten und so billiger ernähren können als die Deutschen. In Neuseeland fressen die Tiere auch im Winter das Gras von der Weide, in der Bundesrepublik stehen sie überwiegend im Stall und müssen dort vergleichsweise aufwendig mit Futter versorgt werden.
Traditionell ist Milch das wichtigste Exportprodukt Neuseelands. Butter sowie Milch- und Molkenpulver, mit dem die Lebensmittelindustrie zum Beispiel Fitnessgetränke, Babynahrung oder Schokolade herstellt, lassen sich auch über weite Strecken transportieren.
Deshalb fürchten sowohl der Deutsche Bauernverband als auch die ökologisch orientierte Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft um die Existenz vieler Milchhöfe in Deutschland, wenn der Pazifikstaat mehr zollfreie Molkereiprodukte in Europa verkaufen darf als derzeit. Das dürfte besonders kleine Höfe treffen, die oft höhere Stückkosten haben. Bisher importiert die EU wenig Milchprodukte aus Neuseeland, weil sie sehr hohe Einfuhrsteuern erhebt.
Neuseeland könnte Milch von Asien nach Europa umlenken
Handelsminister Parker weist Bedenken gegen Zollsenkungen jedoch zurück: „In den vergangenen 20 Jahren gab es ein Problem mit steigenden Nitrat-Emissionen in unsere Umwelt und Flüsse.“ Eine der größten Quellen sind die Exkremente der Milchkühe. Die Regierung in Wellington wolle die Emissionen senken. So hätten die Behörden beispielsweise am größten See des Landes, dem Lake Taupo, den Nitrateintrag begrenzt. „Das wirkt wie eine Deckelung der Milchproduktion.“
„In den letzten Jahrzehnten wurde in Neuseeland häufig erklärt, dass dort die Milchproduktion nicht mehr ausgebaut werden könne. De facto sehen wir, dass sie doch weiter steigt“, sagte Ludwig Börger, Leiter des Referats Milch des Deutschen Bauernverbands. Der Pazifikstaat hat laut EU-Kommission im Landwirtschaftsjahr 2016/2017 rund 25 Prozent mehr Milch erzeugt als 7 Jahre zuvor. „Ich rechne damit, dass die neuseeländische Produktion weiter zunimmt, wenn der Handel liberalisiert wird“, so Börger. Derzeit sei die „Milchleistung“ in Neuseeland – also die Milchmenge pro Kuh – vergleichsweise gering. Aber durch mehr Kraftfutter ließe sie sich schnell steigern. Der wachsende Absatz würde die höheren Futterkosten ausgleichen.
Börger belegt seine These vor allem mit einer Analyse des bundeseigenen Thünen-Forschungsinstituts für Ländliche Räume. Es hat durchgerechnet, was auf dem Markt passieren würde, wenn die EU sämtliche Zölle auf Milchprodukte aus Neuseeland und Australien streichen würde. Auch mit Australien verhandelt Brüssel gerade über ein Abkommen. „Laut der Analyse lägen die Produktionsrückgänge in Deutschland bei einer vollständigen Liberalisierung mit Neuseeland und Australien rein rechnerisch zwischen minus 3,3 Prozent und minus 3,9 Prozent bei Rohmilch sowie minus 3,9 Prozent und minus 4,5 Prozent bei Milchprodukten“, antwortete das Agrarministerium 2017 auf eine Frage der Grünen im Bundestag.
Das Modell des Thünen-Instituts erlaubt es nicht, den Effekt nur für Neuseeland oder Australien zu berechnen. Aber Janine Pelikan, die zuständige Marktanalytikerin des Instituts, sagte der taz: „Wahrscheinlich würden die Produktionsrückgänge in Deutschland infolge einer völligen Liberalisierung des Handels mit beiden Staaten vor allem auf Importe aus Neuseeland zurückgehen.“ Denn die neuseeländischen Landwirte exportierten zurzeit ungefähr vier Mal so viel Milch wie die australischen.
Selbst, falls die Neuseeländer nicht ihre Produktion ausweiten würden, könnten sie mehr Milch nach Deutschland und in die EU verkaufen. „Wenn die EU ihre Importzölle aufheben sollte, wäre sie für Neuseeland als Absatzmarkt attraktiver als andere Weltregionen, in die sie derzeit Milch exportieren“, so Pelikan.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht