Geplantes 49-Euro-Ticket: Zu viel Gemecker
Ja, 49 Euro sind schwerer zu stemmen als 9 Euro. Trotzdem wäre mit einem 49-Euro-Ticket politisch schon sehr viel gewonnen.
D er Sommer 2022 – das war gelebte Utopie. Für 9 Euro einen Monat lang durchs ganze Land fahren zu können, kommt dem Traum vom kostenlosen ÖPNV schon ziemlich nah. Natürlich mutet es wie eine kalte Dusche an, wenn das sogenannte Nachfolgeticket nun 49 Euro kosten soll. Die Hürde, 9 Euro auszugeben, ist selbstredend viel, viel niedriger, als 49 Euro auf den Tisch zu legen. Schließlich würde eine vierköpfige Familie nach der geplanten Neuregelung 196 statt 36 Euro für monatliche Mobilität ausgeben müssen.
Dennoch ist das allgemeine Gemecker über das geplante 49-Euro-Ticket völlig übertrieben. Man muss sich nur einmal vor Augen führen, was die Fahrscheine jetzt wieder kosten. Um die 10 Euro für ein Tagesticket müssen in jeder Großstadt hingeblättert werden. Eine Monatskarte kostet fast überall beinahe das Doppelte des 49-Euro-Tickets und ist über die Stadtgrenzen hinaus nicht einmal gültig. Alles, was günstiger ist und überall gilt, hilft nicht nur im Kampf gegen den Klimawandel. Es trägt auch zu einer Demokratisierung von Mobilität bei. Die Bahn diente bisher vor allem denen, die es sich leisten konnten. Ein Verkehrsmittel der gehobenen Mittelschicht, das ärmere Menschen durch den Preis ausgeschlossen hat.
Das wichtigste Etappenziel eines gerechten ÖPNV ist eine 365-Euro-Jahreskarte, 1 Euro pro Tag, um die 30 Euro pro Monat. Ein 49-Euro-Ticket kommt diesem Ziel schon sehr nah. Noch im Wahlkampf vor einem Jahr hätten selbst die Grünen es nicht für möglich gehalten, bei dieser Forderung so schnell voranzukommen. Das eigentlich Bemerkenswerte ist deshalb, dass es nun gelungen ist, eine massive Preissenkung zu verstetigen.
Politisch ist damit viel gewonnen. Lagerübergreifend steht nicht nur die gesamte Ampel hinter der Nachfolgeregelung. Selbst die Konservativen wagen es nach der Popularität des 9-Euro-Tickets nun nicht mehr, gegen eine dauerhafte Preissenkung anzustänkern.
Das Glas ist deshalb nicht halb leer, sondern bereits zu drei Vierteln voll. Darüber kann man nach neun Monaten Rot-Gelb-Grün wirklich nicht meckern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland