Geplanter Rutilabbau in Norwegen: Førdefjord soll Müllkippe werden
Die Nordic Mining will 250 Millionen Tonnen giftigen Grubenabfall aus der Rutilgewinnung ins Meer kippen. Die Genehmigungen hat sie. War es das?
Das Projekt wird seit 18 Jahren verfolgt, 2014 wurde es konkret – und genauso lange gibt es Proteste. 11 Tonnen Abraum pro Minute wird der Rutilabbau produzieren – und das für die kommenden 40 bis 50 Jahre. Insgesamt rund 250 Millionen Tonnen. Er wird unter anderem Schwefelsäure, Schwermetalle und Titan-Nanopartikel enthalten. Geplant ist, ihn in den relativ flachen und noch geschützten Førdefjord zu kippen. Das könnte nicht nur das Leben in diesem Fjord ersticken, die Giftstoffe könnten sich auch im Nordatlantik weiter ausbreiten und in der menschlichen Nahrungskette landen.
Das staatliche Meeresforschungsinstitut hat deshalb ausdrücklich vom Projekt abgeraten. Interessenvertretungen der Fischer und der Fisch verarbeitenden Industrie sind dagegen. Anne-Line Thingnes Førsund vom Naturschutzverband Naturvernforbundet warnt von einem „sehr gefährlichem Experiment“. Und der britische Meeresbiologe Callum Roberts glaubt sich „um 100 Jahre zurückversetzt“, als man das Meer noch als unermessliche Müllkippe behandelt habe. Er spricht von „Umweltverschmutzung im großen Stil“.
Die Mehrheit der NorwegerInnen sieht das auch so. Laut einer Umfrage aus dem Dezember lehnen 80 Prozent die Nutzung des Meers als Müllkippe ab, nur 9 Prozent sind für Fjorddeponien. Norwegen ist das einzige europäische Land, das noch Meeresdeponien für Grubenabfälle erlaubt. Und es gibt weltweit überhaupt nur noch ein weiteres: Papua-Neuguinea.
Abgeordnete sehen kein Problem
Doch im Parlament in Oslo segnete eine Mehrheit aus Sozialdemokraten, Konservativen und Rechtspopulisten das Projekt ab. Alle erforderlichen Genehmigungen sind erteilt. Im Herbst meldete das Grubenunternehmen Nordic Mining den Abschluss von Verträgen mit mehreren Bauunternehmen. Erste Bauarbeiten sollen in diesen Tagen beginnen.
VertreterInnen mehrerer Umweltschutz- und Parteijugendorganisationen wollen aktiven Widerstand leisten, wenn die Baumaschinen anrücken. Sie haben am Fjord ein Lager aufgebaut, unterstützt von internationalen UmweltaktivistInnen. Auch die deutsche Umweltschützerin Carola Rackete meldete sich per Twitter „von Norwegens sauberstem und für seinen Lachsbestand geschützten Fjord“. Die Naturschutzorganisation Natur og Ungdom erklärt, man werde Zufahrtswege blockieren und sich an die Baumaschinen anketten. „Wir unterstützen zivilen Ungehorsam“, sagt Lars Haltbrekken von den Linkssozialisten.
Letzte Chancen
Noch gibt es eine kleine Chance, dass die Pläne auf legalem Wege gestoppt werden können. Die ProjektgegnerInnen setzen auf die Wasserdirektive der EU. Im Rahmen des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) ist Norwegen verpflichtet, diese Direktive einzuhalten. Mehrere norwegische Umweltorganisationen haben das EWR-Überwachungsorgan ESA angerufen. Ende Februar teilte die ESA mit, sie werde die Klage behandeln – zumal Titandioxid, dem Rutil in seiner chemischen Zusammensetzung entspricht, seit einem Monat innerhalb des EWR als Zusatzstoff in Lebensmitteln verboten ist. Grund: Gesundheitsrisiken können nicht ausgeschlossen werden.
Einen Bezug zu Deutschland gibt es auch. Nordic Mining hat einen Rutil-Abnahmevertrag mit dem US-deutschen Titandioxid-Produzenten Kronos-International, dessen Europasitz in Leverkusen ist. Der Name Kronos steht in Deutschland für eine Zeit, als auch hier das Meer noch als Müllkippe verwendet wurde. Die damalige Kronos-Titan GmbH leitete bis in die 1980er Jahre täglich eine Schiffsladung mit Dünnsäure – ein Abfallprodukt der Titandioxid-Produktion – in der Nähe von Helgoland in die Nordsee. Wegen der verheerenden Auswirkungen auf die Meeresbiologie wurde das 1989 verboten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit