piwik no script img

Geplante Schulöffnungen in BerlinEine Debatte wie aus dem Lehrbuch

Berlin öffnet ab Montag schrittweise die Schulen. Das wird viel kritisiert. Ergänzt wird die Debatte um die Frage: Wie umgehen mit den Kitas?

Ab Montag beginnt in Berlin die Schule wieder – ein bisschen zumindest Foto: dpa

Berlin taz | Für den Senat war es ein Kompromiss; für viele Betroffene handelt es sich bei der beschlossenen Teilöffnung von Schulen hingegen um riskante Inkonsequenz angesichts der Corona-Infektionslage. Deswegen haben fünf Neuköllner Gymnasien laut einem RBB-Bericht an die Bildungsverwaltung appelliert, das Homeschooling mindestens bis zum 18. Januar zu verlängern, besser sogar bis Ende des Monats.

Auch LandesschülerInnensprecher Richard Gamp forderte im Gespräch mit der taz, „am Homeschooling festzuhalten, bis die Corona-Infektionen deutlich zurückgegangen sind“. Zudem hätten die Schulleitungen und LehrerInnen gar nicht die Möglichkeit gehabt, einen sicheren Präsenzunterricht zu organisieren. „Die Schulen wurden da mal wieder ins kalte Wasser geworfen. Insgesamt ist die Kommunikation einfach furchtbar schlecht.“

Ab Montag sollen zunächst die abschlussrelevanten Jahrgänge Wechselunterricht erhalten, also die Kombination aus Unterricht in der Schule und zu Hause. Dabei sollen die Lerngruppen maximal halb so groß sein wie üblich. Eine Woche später sollen nach diesem Modell dann die Erst- bis Drittklässler, ab 25. Januar auch die anderen drei Grundschulklassen unterrichtet werden.

Im Berliner Abgeordnetenhaus unterschieden sich dazu am Donnerstag bei einer Sondersitzung die Meinungen deutlich – auch innerhalb der rot-rot-grünen Koalition. Die Debatte setzte sich am Freitag mit Vehemenz fort, besonders in den sozialen Medien.

Es meldeten sich aber auch Befürworter der Regelung, etwa der Bildungsdirektor der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Andreas Schleicher. „Gerade in den ersten Schul- und Lebensjahren ist der Präsenzunterricht einfach nicht ersetzbar“, sagte er im RBB. „Insofern ist der Ansatz in Berlin, wenn das die Gesundheitslage zulässt, sehr vernünftig.“

In Brandenburg wurde hingegen die Schulschließungen bis zum 22. Januar verlängert – was prompt Kritik des Landeselternrats hervorrief. „Wir hangeln uns von einem Provisorium ins nächste“, sagte deren Vorsitzender Renè Mertens am Freitag der dpa. Die Verlängerung der Schließungen sei zu spät bekanntgegeben worden, so Mertens. Er kritisierte, das Schulungen für die Lern-Cloud jetzt erst anliefen. Nur 500 von 900 Schulen seien in der Cloud.

Bei Wechselunterricht bleibt das Betreuungsproblem

Mit Blick auf den Stufenplan für schrittweise Öffnungen forderte er, dass die Grundschulen nach dem 22. Januar ohne Wechselunterricht zurückkehren sollen. Bei Wechselunterricht bleibe das Betreuungsproblem. „Das hilft weder den Schülern noch den Eltern“, kritisierte Mertens. Der Elternrat befürchtet, dass durch die Schließungen der Bildungsrückstand immer größer werde.

Am Freitag rückte in Berlin der Umgang mit den Kitas in den Fokus. Elternvertreter und Verbände forderten deren verlässliche Öffnung. Seit dem 16. Dezember wird dort lediglich eine Notbetreuung für wenige Kinder angeboten, deren Eltern keine andere Möglichkeit haben.

Mindestens fünf Stunden Kita am Tag

„Die Kita als wichtige Bildungsmöglichkeit muss für alle Kinder zugänglich bleiben“, erklärte die Vorsitzende des Landeselternausschusses Kindertagesstätten, Corinna Balkow. Viele Eltern hätten nur die Wahl zwischen ihrer Arbeitstätigkeit und der Gesundheit ihrer Familie. „Daher unterstützen wir eine Betreuungsmöglichkeit, die sich am Bedarf der Familien und dem erforderlichen Gesundheitsschutz orientiert.“ Neben finanziellem Ausgleich und arbeitsrechtlicher Absicherung für alle Familien müsse die Perspektive eines Kita-Besuchs für alle Kinder bestehen. Als Untergrenze beim Betreuungsumfang nannte Balkow fünf Stunden am Tag.

Ähnlich äußerten sich die Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege (Liga Berlin) und der Dachverband Berliner Kinder- und Schülerläden (DaKS). Alle Kinder, deren Eltern dies wünschten, müssten in den Kitas in stabilen Kleingruppen betreut werden, forderte die Vorsitzende des Liga/DaKS-Fachausschusses Kindertagesbetreuung, Dorothee Thielen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Andreas Schleicher. „Gerade in den ersten Schul- und Lebensjahren ist der Präsenzunterricht einfach nicht ersetzbar“, sagte er im RBB. „Insofern ist der Ansatz in Berlin, wenn das die Gesundheitslage zulässt, sehr vernünftig.“



    Aber die Gesundheitslage lässt es nicht zu. Solange die Kultusminister keinen gesicherten Präsenzunterricht gewährleisten können, und das können sie aufgrund der Versäumnisse der zurückliegenden Jahrzehnte nicht, solange muss Schule eben ausfallen. Kompromisse sind hier nicht angebracht, da diese nur zu einer Verlängerung der Pandemie führen. Das ist doch die klare Erkenntnis aus den zurückliegenden Monaten. Zudem gilt gleiches Recht für Alle, also auch ein Lockdown für Schulen und Arbeitsplätze mit Ausnahme von homeoffice. Nehmt Euch ein Beispiel an Australien - die haben Erfahrung wie damit umzugehen ist.

  • Ungeheuerlich. Fast jeden Tag 1000 Tote, immer mehr Infizierte, die Krankenhäuser am Anschlag, und die Schulsenatorin macht sich Sorgen um Kinder aus sozialschwachen Familien. Komisch, dass die existentiellen Sorgen der Gastronomie und Kultur und anderer Unternehmen keine Rolle spielen, wenn es um Lockdown geht.

  • Es ist ein bisschen erstaunlich, das gerade jetzt sich die Politik auf einmal um Kinder aus unterprivilegierten Familien kümmert.

    Großartig. Setzt langfristige Verbessereungen um. Tut endlich was, um Ungleichheit abzubauen. Ermöglicht gezielte Förderungen. Gebt den Kindern Laptops. Macht Schulbücher kostenlos. Organisiert Ganztagsbetreuung. Macht das, was Sozialpolitiker seit Jahrzehnten verlangen. Streicht die herabsetzenden Sanktionen beim ALG II. Und lasst es nicht bei Verprechungen, liebe Politiker, macht da langfristige Programme draus mit gezielter Finanzierung, keine blossen Verprechungen. Helft Leuten mit Familie und wenig Geld. Finanziert bezahlbare, menschenwürdige Wohnungen. Wenn die Räume gross genug sind, steckt man sich da auch nicht so leicht an. Am besten mit Garten und großzügigen Spielplätzen. Bezahlt Kassiererinnen FFP2 Masken. Erhöht verdammt noch mal die Löhnung for Altenpflege und Pflege. Baut pekäre Jobs und Scheinselbständigkeit ab.

    Aber löst nicht das Cashflow Problem der Wirtschaft, indem ihr die Kinder womöglich zu Waisen macht. Und erzählt nicht, dass eine sehr absehbare Verschlimmerung der Pandemie irgendwen schlimmer treffen wird als die Leute, die sowieso schon schlechter dran sind.