piwik no script img

Gepfändet Unser Autor hat Steuerschulden. Ziemlich hohe. Jetzt muss er jeden Monat viel Geld zurück zahlen. Er lässt sich einiges einfallen365 Tage Spar-samkeit

Text Philipp MaußhardtIllustration Stephanie F. Scholz

Wenn die staatlichen Geldeintreiber zuschlagen, dann richtig. Mein Bankkonto war gepfändet und alle mit mir in Verbindung stehenden Banken hatten vom Finanzamt Tübingen einen Brief erhalten. Sogar Banken, bei denen ich schon jahrelang kein Konto mehr besaß. Dem Brief war eine Auflistung aller Steuerschulden beigefügt, die ich dem Land Baden-Württemberg bis zu diesem Tag schuldete: 31.864,84 Euro. Es war der 17. Januar 2016, und eines war mir klar: Dieses neue Jahr würde anders werden als alle anderen. Ich hatte keine Ersparnisse, kein Haus zu verkaufen, und das Auto, das ich fuhr, war nur geleast. Meine alte Mutter anpumpen? Kam nicht infrage. Freunde um einen Kredit bitten? Nicht, wenn man schon Mitte 50 ist. Der Vollstreckungsbeamte beim Finanzamt klang am Telefon sehr entschieden: Die Steuerschuld müsse spätestens in einem Jahr beglichen sein. Auf-wieder-hören.

Eine erste Rate von 10.000 Euro konnte ich noch zusammenkratzen. Doch schon im nächsten Monat erwartete das Finanzamt die zweite Rate. Zwölfmal je 1.900 Euro im Monat muss ich überweisen. Das ist mehr, als die meisten meiner Bekannten für die Miete bezahlen. Als selbstständiger Journalist muss ich dafür lange arbeiten. Sehr lange.

Einige Tage nach dem Deal mit dem Finanzamt schlich sich Panik in mein Leben. Ich hatte bis dahin nie Schlafprobleme gehabt. Auf einmal wachte ich mitten in der Nacht auf und dachte nur noch an Geld. Wie sollte ich das je schaffen? Ich ging alle Einnahmen und Ausgaben im Kopf durch. Keine Kneipenbesuche mehr, Rauchen sofort aufhören, kein Urlaub und keine Anschaffungen. Es könnte klappen, rechnete ich mir aus, wenn nichts Unvorhergesehenes geschieht und meine Disziplin mich nicht verlässt. Die Panik wich in den folgenden Tagen erst einer Art Trotz (“Den Räubern zeig ich’s!“), dann einer Gelassenheit (“Sieh es als Chance!“). Vielleicht würde es ein gutes Jahr werden, redete ich mir ein. Vielleicht wird es ein Jahr, in dem du, zurückgeworfen auf das Wesentliche, mehr siehst, spürst, erlebstals in den Jahren, in denen du oft besinnungslos dein Geld zum Fenster hinausgeworfen hast.

Ich war bis auf wenige Monate meines Lebens nie fest angestellt. Den Angestellten zieht der Staat die Steuer direkt vom Gehalt ab, Selbstständigen wie mir schenkt er dagegen eine Zeit lang die Illusion, das Geld, das sie verdienen, gehöre ihnen. Umsatz gleich Verdienst, diesen Irrglauben teile ich mit Gastwirten und Taxifahrern, die am Ende des Tages einen dicken Geldbeutel haben und glauben, der Inhalt gehöre ihnen. Spätestens bei der nächsten Einkommensteuererklärung ist diese schöne Vorstellung dann wieder vorbei. Im vergangenen Sommer hatte sich eine freundliche Frau vom Finanzamt bei mir gemeldet, die eine Betriebsprüfung ankündigte. Ich hatte das nicht sonderlich ernst genommen und ihr meine Schuhkartons mit Quittungen und Belegen der letzten sechs Jahre einfach in die Hand gedrückt. Zwei Monate später hatte sie alles durchgesehen und teilte mir mit, dass sie viele Ungereimtheiten gefunden hätte. Sie würde einen Bericht schreiben und ich müsse mit Nachforderungen rechnen. Das hörte sich nicht gut an, deshalb machte ich die Post vom Finanzamt nicht mehr auf. Die Briefe lagerte ich am äußersten Rand meines Schreibtisches in der Hoffnung, sie würden sich in Luft auflösen. Erst als ein Fahrkartenautomat der Berliner Verkehrsbetriebe im Januar mir kein Ticket ausspuckte und meine EC-Karte in einem mexikanischen Restaurant nicht funktionierte, ahnte ich, dass das mit den ungeöffneten Briefen zu tun haben könnte.

„Pfand“ war bis dahin immer ein schönes Wort gewesen. „Was soll das Pfand in meiner Hand, was soll derjenige tun?“ Wir haben es auf Kindergeburtstagen oft gespielt. Pfändung dagegen ist hässlich. Meine Bank reagierte umgehend: „Leider müssen wir Ihren Dispokredit auf 0 setzen.“ Leider, leider.

Sie werdengepfändet, Herr Maußhardt? „Pfand“ war bis dahin immer ein schönes Wort für mich gewesen. „Was soll das Pfand in meiner Hand, was soll derjenige tun?“ Pfändung dagegen ist hässlich.

Mein Umgang mit Geld war seit jeher eher locker. Ich gab erst aus und schaute dann, ob die Einnahmen auch reichten. Wenn nicht, holte ich mir bei Freunden oder Verwandten einen kleinen Kredit und zahlte zurück, sobald es mit den Honoraren wieder besser lief. Sechsmal im Jahr in Urlaub fahren in der Toskana mit einem dicken SUV, ein Motorboot kaufen, obwohl man gar keine Zeit dafür hat: Ja, ich mach mein Ding, egal was die andern sagen. Genau, Udo, hast du schön gesungen und nicht auf die Schwachmaten hören. In den Kneipen zahlte ich oft für alle. Großzügigkeit ist keine Frage des Geldbeutels, es ist eine Haltung. Ich schaute oft wochenlang nicht auf meinen Kontostand. Bei Aldi oder Lidl einzukaufen war mir aus gutem Grund zuwider. Seit März ist alles anders.

Wenn ich jemandem erzähle, dass ich etwa 5.000 Euro Honorar im Monat bekomme, mir aber nichts leisten kann, schaue ich in ungläubige Gesichter. 1.500 Euro lege ich für die kommende Steuer zurück. Die Miete macht 450 Euro, die Krankenkasse 370. Das Auto­leasing frisst 300 Euro, meinem Neffen überweise ich 100 Euro für sein Studium. Jetzt nochdie monatliche Steuerrückzahlung gerechnet (1.900 Euro), bleiben mir zum Leben noch 380 Euro übrig. Das sind genau 24 Euro unter dem Hartz-IV-Satz.

Ich habe kürzlich meine Wohnung gekündigt und ziehe zurück zu meiner Mutter. Ich habe meine Motorboot bei Ebay zum Verkauf angeboten, und ein Freund hat mir ein Fahrrad geschenkt. In meiner Stammkneipe habe ich Wein aus meinem eigenen Weinberg de­poniert, um nicht vor einem leeren Glas zu sitzen. Wir schaffen das.

Wie es weitergeht, lesen Sie künftig einmal im Monat in einer Kolumne von Philipp Mausshardt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen