Georgien: Machtkampf und Massenproteste
Nach Verhaftung des populistischen Exverteidigungsministers Okruaschwili demonstrieren in Georgiens Hauptstadt Tiflis Tausende für Neuwahlen.
MOSKAU taz Mehrere tausend Menschen sind gestern in Gorgiens Hauptstadt Tiflis vor das Parlament gezogen und haben vorgezogene Parlaments- und Präsidentschaftswahlen gefordert. Auslöser war die Verhaftung des ehemaligen Verteidigungsministers Irakli Okruaschwili. Dem früheren Weggefährten von Präsident Michail Saakaschwili werden von der Staatsanwaltschaft Korruption, Geldwäsche und Amtsmissbrauch zur Last gelegt.
Zwei Tage vor seiner Verhaftung hatte Okruaschwili im oppositionellen TV-Sender Imedi den Präsidenten schwer belastet. So behauptete der Exminister, von Saakaschwili mehrfach den Auftrag erhalten zu haben, politische Gegner aus dem Weg zu schaffen. Außerdem behindere er die Ermittlungen im Fall Schwania. Der in Georgien populäre Premierminister war 2005 auf mysteriöse Weise zu Tode gekommen. Saakaschwilis Regime sei für "Unterdrückung, Raub, Enteignung, Mord und Einschüchterung" verantwortlich, sagte Okruaschwili im Fernsehen und löste damit in der Kaukasusrepublik eine Welle des Entsetzens aus.
Mit der Kritik am Präsidenten steht er jedoch nicht allein. Bürgerrechtsgruppen werfen der georgischen Regierung seit längerem Menschenrechtsverletzungen und Willkür vor.
Okruaschwili gehörte dem Kabinett Saakaschwilis seit 2003 bis Ende letzten Jahres an, zunächst als Innen- und später als Verteidigungsminister. Er war im November 2003 ein führender Vertreter der "Rosenrevolution" gewesen, die nach Wahlfälschungen das korrupte Regime Eduard Schewardnadses mit Massenprotesten zu Fall gebracht und dann unter Saakaschwili einen überwältigenden Wahlsieg erzielt hatte. Als Minister eilte Okruaschwili der Ruf eines Falken voraus; er war ein Schreckgespenst für die Nachbarländer und Georgiens neue Schutzmacht USA. Wiederholt trat er mit populistischen Parolen an die Öffentlichkeit und verlangte, die sezessionistischen Republiken Süd-Ossetien und Abchasien, die von Russland unterstützt werden, mit Waffengewalt Georgien wieder einzuverleiben. Die USA sollen es gewesen sein, die im letzten Jahr seinen Rücktritt als Verteidigungsminister durchsetzten.
Seither versucht Irakli Okruaschwili, als Oppositionspolitiker Profil zu gewinnen. Er setzt auf die ultranationalistische Karte und hofft auf Wähler, die aus den separatistischen Republiken geflüchtet sind und bis heute ein erbärmliches Dasein in Georgien fristen. Im Frühjahr gründete er eine eigene Partei, deren Chancen jedoch derzeit als gering gelten. Dass die Unzufriedenheit mit der Regierung in dem kaukasischen Sonnenflecken jedoch wächst, davon zeugt die Masse der Demonstranten gestern auf dem Rustaweli-Boulevard in Tiflis.
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