Georg Conradi über die Seebestattung: "Hat was von Baustelle"
Georg Conradi arbeitete neben seinem Architekturstudium im elterlichen Bestatter-Betrieb mit, bis er ihn aufgab. Heute verbindet er Beruf und Berufung miteinander.
taz: Herr Conradi, Sie haben da eine schöne Aussicht aus Ihrem Büro - Wiesen, Himmel, hübsche Uni-Gebäude. Aber was sind diese prähistorischen Mauerreste da unten im Hof?
Georg Conradi: Das sind keine prähistorischen Mauerreste! Das ist Teil unserer Baulabors hier am Institut für Bauen mit nachwachsenden Rohstoffen. Dort testen wir seit Ende der 90er-Jahre, wie lange sich nachwachsende Baustoffe wie Lehm, Holz oder Reet halten, wenn sie der Witterung ausgesetzt werden.
Mit welchem Ergebnis?
Sie sehen ja, es steht noch alles und ist nicht verrottet. Es ist also möglich, mit natürlichen Materialien kosten- und energiesparend zu bauen. Ich bin ein Materialmensch und experimentiere gern.
Was testen Sie denn sonst noch so?
Momentan mache ich Auflösungsversuche mit Seeurnen. Also die Urnen, in denen die Asche bei einer Seebestattung im Meer versenkt wird und die sich im Wasser auflösen sollen. Und die fallen sehr schlecht aus, die Auflösungszeit von zwei verschiedenen Herstellern dauert zu lange, genauere Untersuchungen laufen noch.
61, kommt aus Hannover, geht auch im Urlaub gern mal auf den Friedhof, ist Tischlermeister, Architekt und Seebestatter.
Mit Anfang 20 steigt er in die Tischlerei samt Bestattungsinstitut seiner Eltern ein, studiert in Hannover Architektur und in Hildesheim Innenarchitektur und gründet Anfang der 80er-Jahre sein eigenes Architekturbüro.
Seit 1995 hat er eine Professur an der Fachhochschule Lübeck. Er baut unter anderem Niedrigenergiehäuser, experimentiert mit Lehmbautechniken und entwickelt zeitgemäße Verwendung von Reet.
Conradi hat zwei Söhne und eine Tochter und lebt mit seiner Frau in einem umgebauten Fischerhaus in Gothmund zwischen Lübeck und Travemünde - direkt an einem Flussarm an der Tonne 32.
Wie kommt man als Tischlermeister und Architekt dazu, mit Urnen zu experimentieren?
Ich bin als Sohn eines Bestatters in dritter Generation aufgewachsen. Wenn Sie so wollen, war ich die längste Zeit meines Lebens als Bestatter tätig. Im Betrieb meiner Eltern habe ich mit Anfang 20 neben meinem Studium leitend mitgearbeitet.
Bestatter scheint mir kein Job, den man nebenher mitlaufen lässt.
Um Ihnen das kurz zu erklären: Ich komme aus Hannover Linden, und das ist so was wie das Kreuzberg von Hannover, ein alter Arbeiterstadtteil. Und wir hatten kein etabliertes Riesenbestattungsinstitut, sondern einen kleinen Laden und eine 58 Quadratmeter große Tischlereiwerkstatt. Später hatte ich mein eigenes Architekturbüro mit im Dachboden. Es gab also, räumlich betrachtet, schon immer eine ganz enge Verflechtung meiner beruflichen Tätigkeiten, und so konnte ich es gut miteinander vereinbaren.
Warum wollten Sie beides sein? Sie hätten ja auch nur als Architekt arbeiten können.
Es geht tatsächlich um Beruf und Berufung. Als ich 1995 den Ruf hier an die FH Lübeck bekam, habe ich versucht, es aufzugeben, und den Betrieb nach dem Tode meines Vaters an einen familiären Freund verpachtet. Aber als Eigentümer in dieser traditionsreichen Branche bleibt man dran am Geschehen, auch weil der Name mit dem Gewerbe verbunden ist.
Die meisten Menschen wollen sich nicht mit dem Tod auseinandersetzen. Sie schon. Warum?
Diese Frage hat sich für mich nie gestellt. Ich bin schon als Kind mitgefahren und fand das immer interessant. Es gehört ja auch die ganze Organisation dazu, wie bei einer Hochzeit. Von der Sargauswahl bis zur finanziellen Abwicklung und der Auswahl eines Redners, wenn der oder die Verstorbene keine Konfession hatte. Man sieht ja äußerlich nur pietätvoll den schwarzen Wagen vorbeifahren, aber dahinter steht ganz konkrete Arbeit.
Und einer muss die Arbeit machen?
Es ist eigentlich ganz einfach: Ich verbinde das, womit ich aufgewachsen bin, mit dem, was ich dazugelernt habe. Andere Leute fahren am Wochenende auf die Ostsee, um sich zu erholen, und ich fahre manchmal auf die Ostsee und begleite Verstorbene zu ihrer letzten Ruhe.
Wie oft machen Sie das?
Momentan etwa drei- bis viermal pro Jahr und nur mit Traditionssegelschiffen aus Holz.
Wer entscheidet sich für eine Seebestattung?
Ich organisiere das für die Angehörigen von Menschen, die eine besondere Beziehung zur traditionellen Seefahrt hatten. Denn bei den klassischen Seebestattungen wird mit dem Motorschiff rausgefahren.
Und wie läuft es ab? Man wird die Asche nicht einfach irgendwo in die Ostsee kippen dürfen.
Erlaubt ist das Versenken der Urne außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes, also außerhalb der sogenannten Drei-Meilen-Zone und dort auf den unreinen Gründen. Das sind Orte, an denen das Ankern und Fischen verboten ist. Friedliche Orte eigentlich, die oft auch Zufluchtsort für Fische sind. Insgesamt sind wir für eine Seebestattung etwa acht Stunden unterwegs.
Das ist aber lang im Vergleich zu einer herkömmlichen Trauerfeier. Was passiert da an Bord?
Beim Segeln ist es ja so, dass es immer wieder was zu tun gibt - wenn zum Beispiel die Segel gesetzt werden, muss mit angefasst werden. Das löst natürlich auch die Spannung und man lernt die Leute so kennen. Und sonst ist es wie bei jeder Trauerfeier so, dass sich viele oft lange nicht gesehen haben und die Zeit für Gespräche nutzen.
Und was passiert mit der Urne?
Ich fülle unter Deck die Asche aus der Transporturne, das ist eine etwa zweieinhalb Kilo schwere Blechkapsel, in die Seeurne um, die ist aus Pappmasche oder einem Tonmaterial. Sie wird am Mast auf Oberdeck aufgebahrt, was manchmal schwierig ist wegen Seegang und Wind. Man muss schauen, dass die Urne unversehrt zum Bestattungsort ankommt. Das ist handfeste Arbeit - Seemannschaft halt, und es hat ein bisschen was von Baustelle.
Würden Sie auch für sich eine Seebestattung wollen?
Ich würde das nicht machen.
Sondern?
Unsere hiesige Gemeinde, die St.-Jakobi-Kirche in Lübeck, hat seit Kurzem ein Columbarium eingerichtet, ein Gebäude also, in dem die Urnen mit der Asche aufbewahrt werden. Sie ist die einzige nationale Gedenkstätte für Schiffer, Seefahrer und Bootsleute - für die Opfer der zivilen Seefahrt. Dort unter dem Rettungsboot der Viermastbark "Pamir" stehen die Urnen mit oder ohne Namensschild in einem Fach, also in einer Art Regal in der Kirche. Ich habe in mein Testament geschrieben: Wenn ich sterbe, dann bringt mich bitte dorthin.
Wieso ausgerechnet dorthin?
Obwohl ich viel mit der Seefahrt zu tun habe, wünsche ich mir für die letzte Ruhe einen deutlichen Ort, zu dem meine Angehörigen jederzeit gelangen können. Außerdem bin ich ein Anhänger des gewachsenen historischen Bestattungskultes. Vor allem, weil wir aus den Bestattungsriten unserer Vorfahren ganz viel über die jeweiligen Kulturstufen erfahren. Wären in der Vergangenheit alle seebestattet worden, hätten wir keine Pyramiden, keine Hünengräber und keine Grabbeilagen.
Gibt es Berührungspunkte zwischen Ihrer Arbeit als Seebestatter und als Architekt?
Ich traue mich gerade zum ersten Mal, das Thema Bestattung auch hier in der Hochschule anzugehen. Es gibt einen bundesweiten Wettbewerb, der heißt "Trauer braucht Raum", der Studenten aufruft, ein Bestattungsinstitut neu zu entwerfen oder zu sanieren. Ich bin mit den Studierenden viel auf Friedhöfen und in Trauerräumen unterwegs. Es ist einfach wichtig, so viel wie möglich über die Bestattungsriten und den Umgang damit zu vermitteln, bevor es an die Entwurfszeichnungen geht.
Wieso ist Ihnen das wichtig?
In den vergangenen Jahren wurden viele ehemals hoheitliche Aufgaben wie die Benutzung der Kapelle für die Trauerfeier privatisiert. Es fing damit an, dass sich die Bestatter private Kühlhallen bauten, und es ging weiter mit den privaten Trauerhallen, die sind heute beinahe bei jedem Institut zu finden, während historische Kapellen leer stehen. Ich denke aber, dass das Ende des Lebens ein sakraler Vorgang ist, dessen Umgebung nicht total privatisiert werden sollte. Sonst gleitet das Ganze dann leicht ins Profane ab.
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