Gentrifizierung: Karmareinigung für Entscheider
Spaßguerilla attackiert Immobilien-Symposium mit Sprach-Bombe. In St. Pauli prallen unterschiedliche Vorstellungen von Stadtentwicklung und verschiedene Weltbilder aufeinander.
Die Warnung kommt von irgendwo in der Hotellobby: "Achtung, Achtung! In wenigen Minuten werden die Menschen in diesem Gebäude einer psychokinetischen Behandlung unterzogen", tönt es durch den zweiten Stock des Empire Riverside-Hotels in Hamburg-St. Pauli. Die Hostessen des "Immobilien-Symposiums Hamburg 2010" sind irritiert. "Wir fordern alle Teilnehmer des Symposiums auf, das Gebäude umgehend zu verlassen", tönt es wieder. Die Quelle des Lärms entdeckt: eine schwarze Damenhandtasche, in der das rote Lämpchen eines Abspielgeräts leuchtet.
Bündnis gegen Ökonomisierung
Die Propaganda-Zeitbombe ist von einer Spaßguerilla platziert worden, die draußen auf der Straße ein Happening veranstaltet. Es sind Leute vom "Aktionsnetzwerk gegen Gentrification", Teil eines Bündnisses von sehr unterschiedlichen Bürgerinitiativen, das sich seit dem vergangene Frühjahr gegen die Ökonomisierung Hamburgs wehrt: dagegen, dass Quartiere aufgewertet und deren angestammte BewohnerInnen verdrängt werden; gegen Bürogebäude und für Grünanlagen; dagegen, dass Kulturschaffende für die "Marke Hamburg" vereinnahmt werden.
Der Ort der Auseinandersetzung hätte symbolträchtiger nicht sein können: Mitten auf dem Kiez, den Straßenstrich zu Füßen, die Hafenstraßen-Häuser einen Steinwurf entfernt und ein umstrittenes Sanierungsprojekt in Sichtweite, tagt das Symposium in einem Hotel des internationalen Star-Architekten David Chipperfield. Während hinter der kupfernen Fassade "die Macher, Denker und Entscheider" Tacheles sprechen sollen, fordert draußen vor der Tür die Spaßguerilla das "Recht auf Stadt" ein. Draußen und drinnen wird die Welt ganz verschieden gedeutet.
Drinnen spricht ein Mitglied der Chefredaktion des Hamburger Abendblatts als Mitveranstalter davon, dass die Hamburger ja besonders an Fragen der Stadtentwicklung interessiert seien: an der immer teurer werdenden Elbphilharmonie, am verfallenden Einkaufszentrum Frappant, das durch ein Ikea-Haus mitten in der Stadt ersetzt werden soll, und am Gängeviertel, direkt neben dem Springer-Verlag. Den Kampf für dessen Erhaltung hat das Abendblatt positiv begleitet und auch den Versuch der kämpfenden Künstler, sich gegen ihre Vereinnahmung zu wehren. Jetzt fragt er, wie Hamburg im Wettbewerb der Metropolen nach vorne kommen kann.
Weniger Profit als in London
Finanzsenator Michael Freytag (CDU) verkündet, dass die Stadt im vergangenen Jahr schon wieder um 10.000 Einwohner gewachsen sei. Es komme jetzt darauf an, "attraktive Angebote zu machen, ohne die Schönheit des Standorts zu gefährden". Die dünne Besiedlung biete reichlich Spielraum. Wer hier in Immobilien investiere könne "hohe Erträge mit niedrigem Risiko" erwarten. "Schießt der Hamburger Immobilienmarkt vom Mittelfeld in den Olymp?", fragt der nächste Redner und bedauert, dass sich in Hamburg mit Immobilien viel weniger Geld machen lasse als in Stockholm oder gar London.
Die Gentrifizierungskritiker hören solche Sätze mit Grausen. "Wir sind an einem Punkt, an dem die Gesellschaft darüber nachdenken muss, welches Urbanisierungsmodell es geben kann, das die Bälle aufnimmt, die ihr von den vielen Bewegungen in der Stadt zugespielt werden", sagt einer von denen, die auf der Straße protestieren, "nämlich Partizipation, Selbstorganisation und Neudefinition von kulturellen Räumen."
Der Titel des folgenden Themenblocks kann sie nicht froher stimmen: "Hamburg zwischen C(r)ash-Creativity und internationaler Standortliga". Vier Wirtschaftsvertreter diskutieren, wie wichtig Bildung, Wissenschaft und der Hafen - nebst Harley-Days und Elbphilharmonie - für den Standort seien.
Verhältnisse "wie in Berlin"
"Was hier stattfindet, ist der Versuch, sich mit an dem Modell, welches in die Krise geführt hat und wieder in die Krise rasen wird, festzukrallen", kommentiert ein Gentrifizierungskritiker. Mindestens 50 Mitstreiter in orangeroten Ponchos recken zu Bongo-Trommeln die Arme in die Höhe und wedeln mit den Händen. "Hier wehren sich Bürger gegen ein negatives Karma in ihrer Nachbarschaft", sagt einer.
Ein Tagungsteilnehmer findet die Aktion "wenigstens originell". Die Tagungshostessen haben die plärrende Handtasche samt dem daran fest geschlossenen Tisch ins "Backoffice" verfrachtet. Zwei Polizisten vernehmen eine Frau, die ein Bombenattentat fürchtet. "Das ist ja fast wie in Berlin", sagt Veranstalter Matthias Brodrück. Glücklich klingt er nicht.
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