Gentrifizierung in Berlin-Neukölln: „Unser Block“ wird aufgeteilt
Im Neuköllner Reuterkiez kauft sich ein Investor in eine Erbengemeinschaft ein. Doch die Übernahme des gesamten Häuserblocks scheitert.
Die Immobilienfirma Dr. Hintze & Co ist mit ihrem Plan, einen aus 14 Häusern bestehenden Block im Reuterkiez in Gänze zu übernehmen, gescheitert. Stattdessen wird der Komplex in der Fram-, Pannier- und Nansenstraße, der sich seit dem Bau 1926 im Privatbesitz der Berliner Familie Lindow befand, aufgeteilt. Die Häuser in der Framstraße 3–9 und der Nansenstraße 11 verbleiben im Nachlass einer Lindow-Erbin, wie deren Nachlassverwalter Christian Derpa der taz bestätigte. Nach der so genannten Realteilung fällt der Hintze-Gruppe um ihren Geschäftsführer Florian Hintze der Rest der Häuser zu.
Hintze hatte sich vor zwei Jahren in die Erbengemeinschaft des Framblocks eingekauft und wollte über den Weg der Zwangsversteigerung auch den letzten Teil übernehmen. Anfang der Woche wurden die bereits angesetzten Termine am Neuköllner Amtsgericht jedoch abgesagt. Wie die taz berichtete, hatten sich für die erste Versteigerung bereits vier Bieter angemeldet. Hintze habe „einen völlig unkontrollierbaren Verlauf befürchtet“, so Derpa – und daraufhin das zuvor abgelehnte Angebot zur Aufteilung der Grundstücke doch angenommen.
Die Mieter hatten sich nach Bekanntwerden der geplanten Versteigerungen in der Initiative „Unser Block bleibt“ zusammengeschlossen, da sie befürchten, von einem neuen Eigentümer verdrängt zu werden. Noch zahlen sie im Durchschnitt 4,20 Euro pro Quadratmeter, ein Drittel unter dem Mietspiegel. Die Bewohnern der Häuser, die Derpa nun übernimmt, können hoffen, dass ihre schlimmsten Befürchtungen nicht eintreten. Die Hausverwaltung bleibe dieselbe, sagte Derpa, auch werde es „keine Modernisierungskündigungen“ geben.
Für die Mieter der anderen Häuser besteht dagegen Anlass zur Sorge: Nach ihren eigenen Recherchen steht hinter Hintze ein weit verzweigtes Firmengeflecht. Beteiligt daran sind unter anderem die Samwer-Brüder, die mit ihrem Internetunternehmen für Startups – etwa der Schuhfirma Zalando –, ein Vermögen gemacht haben. Welche Maßnahmen nun auf die Mieter zukommen ist ungewiss.
Der Immobilienunternehmer wollte alles
Klar ist dagegen, dass für den Block eine neue Zeitrechnung beginnt. Jahrzehntelang gingen die Häuser von Generation zu Generation über. Bis vor zwei Jahren waren drei Nachkommen der Lindow-Familie, die einst eine Berliner Baufirma besaß, die gemeinsamen Besitzer. Doch mit dem Tod einer Erbin vor zwei Jahren sollte sich alles verändern.
Der Anteil der Verstorbenen landete nicht bei Derpa, der sich mit seiner Mandantin seit 30 Jahren um die Häuser kümmert und auch nicht beim kaufbereiten dritten Erben Peter Lindow. Stattdessen kaufte sich Hintze ein. Er erwarb nicht einzelne Häuser, sondern „einen Anteil an jedem Stein“, wie Peter Lindow sagt. In der Überzeugung, dass der Block nicht aufgeteilt werden könne, da er eine „wirtschaftliche Gesamteinheit“ darstelle, verkaufte auch Lindow an Hintze.
Nur das letzte Drittel blieb Hintze verwehrt. Im Weg stand Derpa, dessen Mandantin mittlerweile auch verstorben war und ihn dauerhaft mit der Verwaltung ihres Nachlasses beauftragt hatte. Derpa verkaufte nicht und erfüllte damit den Wunsch seiner Mandantin, die in der Nansenstraße 11 aufgewachsen war. Stattdessen bot er eine Aufteilung des Blocks an – die Hintze ablehnte. Denn der Immobilienunternehmer wollte alles. Im Zuge einer von ihm mit herbeigeführten Zwangsversteigerung zur Auflösung der Besitzergemeinschaft wollte er erklärtermaßen alle 14 Häuser ersteigern. Gezahlt hätte er ein Drittel der Kaufsumme an Derpa, die anderen zwei Drittel an sich selbst. Bis er es angesichts der vielen Interessenten wohl mit der Angst zu tun bekam.
Verloren hat Hintze dennoch nicht. Relativ günstig ist er in den Besitz mehrere Häuser gekommen. Der Stadtsoziologe Andrej Holm sieht das Einkaufen in Erbengemeinschaften als „Trick“, um an Immobilien zu gelangen, die nicht auf dem Markt sind.
Bekanntes Geschäftsmodell auf Wohnungsmarkt übertragen
Ins Grundbuch eintragen lassen hat Florian Hintze nicht die Firma Hintze & CO, sondern drei Gesellschaften. An zwei dieser Firmen, Lido Investment GmbH und CAD Investment GmbH, ist neben Florian Hintze auch dessen Bruder Dr. Martin Hintze beteiligt, ein führender Manager der Investmentbank Goldman Sachs.
Wohnhauseigentümer können sich fortan auch die Samwer-Brüder nennen. Sie sind über die dritte Gesellschaft, der Verus GmbH, an dem Objekt beteiligt. An einer weiteren GmbH, die über 80 Prozent an Verus hält, halten die drei Brüder je 33 Prozent. Bislang war von den Samwers lediglich bekannt, dass sie ihr Privatvermögen – geschätzte 1,7 Milliarden Dollar pro Person –, in Gewerbeimmobilien, wie dem Ullsteinhaus investieren.
Holm urteilt: „Letztendlich wird also das Geschäftsmodell von Rocket Internet auf den Wohnungsmarkt übertragen: Günstiger Erwerb von Anteilen in Projekten mit einem hohen Entwicklungspotential.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut