Generaldebatte im Abgeordnetenhaus: Den Wald vor lauter Bäumen
In der Generaldebatte über den Haushalt bleibt die Opposition blass. Rot-Rot-Grün lobt sich unter anderem für die eigene Ökopolitik.
Mein Freund, der Baum – er lebt. Zumindest im Berliner Abgeordnetenhaus an diesem Donnerstag. So intensiv wie selten zuvor beschäftigen sich die Abgeordneten mit diesem Symbol für Leben und Überleben. Dabei ist eigentlich die zentrale Haushaltsdebatte angesetzt, die stets zur Generalabrechnung der Opposition mit der Politik der Regierung genutzt wird.
Eingepackt in das 63 Milliarden Euro schwere Doppelhaushaltspaket ist auch das „mutigste Öko-Paket aller Zeiten“, wie Antje Kapek, die grüne Fraktionschefin, in ihrer Rede betont. Das Budget pro Straßenbaum werde verdoppelt, von 40 auf 80 Euro, damit sie „erstmals“ so gepflegt werden können, dass sie nach Rekordhitze und Stürmen „nicht sofort gefällt werden müssen“.
Zuvor hat sich schon CDU-Fraktionschef Burkard Dregger um die Stadtbäume gesorgt – deren Bestand habe sich unter Rot-Rot-Grün „dramatisch reduziert“. Und sein Ebenpart bei der FDP, Sebastian Czaja, beginnt gar seine Rede mit den Bäumen.
Nun könnte man sagen: Ist doch super, dass sich selbst konservative Parteien so um die Natur in Berlin sorgen. Man sollte aber auch fragen: Gibt es nichts wichtigeres in dieser immer wieder als mögliche „Sternstunde des Parlaments“ angekündigten Debatte?
Tatsächlich wird das anfängliche Diktum von SPD-Fraktionschef Raed Saleh, die Opposition befinde sich seit drei Jahren im Tiefschlaf, im Laufe der zweieinhalbstündigen Runde im Abgeordnetenhaus intensivst bestätigt. Lediglich einige alte weiße Männer auf den Oppositionsbänken fallen zu Beginn der Debatte noch mit feisten Schenkelklopfern wie aus den 1950er Jahren negativ auf. Ansonsten rührt sich auf der von vorne (und inhaltlich) gesehen rechten Seite wenig.
Dregger verheddert sich in Widersprüche, als er dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) einerseits vorwirft, beim Mietendeckel würde dieser sehenden Auges in eine juristische Niederlage laufen; andererseits Müller vorwirft, Judenhasser am Al-Quds-Tag laufen zu lassen, weil er dagegen nicht juristisch vorgehe. „Zugucken ist schlimmer, als mal von einem Gericht korrigiert zu werden.“
Der Doppelhaushalt sieht Ausgaben von 31 Milliarden Euro im nächsten und von 32,3 Milliarden Euro im übernächsten Jahr vor. Größter Posten dabei sind die Personalausgaben, die 2020 und 2021 allein mit 10 Milliarden beziehungsweise 10,6 Milliarden Euro zu Buche schlagen. (dpa)
FDP-Redner Czaja versucht sich erfolglos an einer intellektuellen Analyse, die jede Leidenschaft vermissen lässt. Und AfD-Chef Georg Pazderski malt tatsächlich eine DDR 2.0 als Schreckensszenario auf und spricht menschenverachtend von einer Koalition, die sich „dem Wahn eines 16-jährigen schwedischen Mädchens“ unterwerfen würde.
Und so kann Rot-Rot-Grün weitgehend unwidersprochen mal vom Dreiklang der Ziele aus „Solidarische Stadt, nachhaltige Stadt und bezahlbare Stadt“ (Saleh) sprechen, mal von vier Offensiven, nämlich der „Verkehrsoffensive, Schulbauoffensive, Wohnungsbauoffensive und Klimaoffensive“ (Kapek).
Linken-Fraktionschef Udo Wolf betont die sozialen Anstrengungen der Koalition unter anderem mit dem Mietendeckel, dem Kampf gegen Obdachlosigkeit und für faire Bezahlung der Landesangestellten, etwa bei der Charité.
Michael Müller schließlich, der zum Abschluss ans Rednerpult tritt, kann so noch mal die rund 5.000 zusätzlichen Stellen feiern, die mit dem Doppelhaushalt auf Landes- und Bezirksebene geschaffen werden. „Der Vorwurf, die Verwaltung funktioniere nicht, ist unerträglich“, sagt Müller. Bäume hingegen erwähnt er nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!