Genderforscherin über die Modestadt Berlin: "Weiblichkeit ist wieder in"
In Berlin tobte mal wieder die Fashion Week. Ein Gespräch mit der Kulturwissenschaftlerin Gertrud Lehnert über Gendervorstellungen und die Rückkehr zu konservativen Werten.
sonntaz: Frau Lehnert, können Sie einen Überblick von Berlin als Modestadt geben?
Gertrud Lehnert: Berlin wird zu Recht als unglaublich vielfältig gepriesen. JedeR kann und darf so sein, wie er/sie ist.
Ist das auch auf der Fashion Week sichtbar?
Ich finde entgegen allen Buhrufen schon. Es haben sich viele Kreative hier angesiedelt, und daraus ist viel Spannendes entstanden.
Und in der Mode?
Bei den Berliner Labels wird eine große Vielfalt sichtbar, aber die Geschlechterbilder bleiben auch hier durchaus klar erkennbar. Weiblichkeit hat mittlerweile ein so breites Spektrum, dass man zwischen minimalistischer Mode oder der mit den vielen Rüschen wählen kann.
Gertrud Lehnert ist Professorin für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaft an der Uni Potsdam. Lehnert forscht vor allem zur Modegeschichte und -theorie sowie zu Gender Studies. Sie ist Herausgeberin von "Räume der Mode" .
Mode und das Spiel mit Geschlechtern scheinen sich zu bedingen. Wo befinden wir uns gerade?
Mir scheint, die klassischen Geschlechterrollen verfestigen sich, aber sie differenzieren sich in sich aus. Weiblichkeit ist wieder "in": ganz klassisch mit Körperbetonung, langem Haar, Miniröcken; genauso gut kann sie sich auch in Jeans und T-Shirt darstellen.
Diesen Text finden Sie zusammen mit vielen weiteren spannenden Artikeln und Interviews in der aktuellen sonntaz vom 21./22. Januar 2012. Am Kiosk, eKiosk oder im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.
Gibt es dafür eine Erklärung?
Es gibt verschiedene Ansätze. Man könnte sagen, die Mode hat nie eine rationale Ursache, sondern sie entwickelt einfach immer neue Ideen. Das können einfach rein ästhetische Vorstellungen sein. Aber auch gesellschaftliche Entwicklungen spielen eine Rolle. Wir machen uns ja etwas vor, wenn wir glauben, dass alles anders geworden wäre, im Vergleich zu früher.
Was meinen Sie damit?
Natürlich gibt es noch Geschlechter, wir wissen aber inzwischen, dass es mehr als zwei gibt – aber in der öffentlichen Meinung sind es halt immer noch zwei. Und die machen sich gerade wieder geltend. Wir sind da in einer Art von Backlash, also eine Rückkehr zu konservativen Wertvorstellungen.
Propagieren uns die Designerinnen und Designer eine Aufsprengung von Geschlechterrollen?
Es gibt ja nach wie vor die Schauen für Männer- und Frauenmode. Das sind natürlich rein ökonomische Gründe und institutionelle Zwänge, die da gelten. Ich habe nicht den Eindruck, dass der große Trend auf die Vermischung der Geschlechtergrenzen geht. Das ist auch nicht unbedingt wünschenswert.
Wieso nicht?
Interessant wäre vielmehr eine Ausdifferenzierung von Geschlechterrollen und Geschlechterbildern. Das findet im gewissen Sinne natürlich statt, weil ständig neue Spiele, neue Formen kommen. Wir haben ja auch DesignerInnen, die schlichte und reduzierte Mode machen, und andere, die das Witzige oder auch das Pathos mit viel Stoff und Rüschen bevorzugen. Aber es ist immer identifizierbar als weiblich oder männlich – nach den Kategorien, die wir frühzeitig gelernt haben und die unsere Kultur immer noch dominieren.
Eine Ausdifferenzierung von Geschlechtergrenzen, was bedeutet das genau?
Man muss nicht alles angleichen. Wichtiger sind Vielfalt und mehr Sichtbarkeit der Vielfalt. Wenn es immer nur Weiblichkeit und Männlichkeit als traditionell definierte Pole gibt, gilt alles andere als abweichend. Die Zeit des intensiven Spiels mit Geschlechterrollen, auch mit dem Überschreiten von Geschlechterrollen, scheint mir zumindest im Moment vorbei zu sein.
Fördern auch Retroserien wie "Mad Men" eine Rückbesinnung zur Weiblichkeit? Zurück zu den Sechzigern?
Ich vermute, dass dies eine große Rolle spielt. Junge Frauen glauben, dass sie alle Möglichkeiten haben und sich frei entscheiden können. In vielerlei Hinsicht können sie das auch. Es scheint eine Selbstverständlichkeit erreicht zu sein in der Frauenrolle – und das ist großartig –, aber viele machen sich nicht mehr klar, dass es auch eine Falle sein kann, wenn man sich so klar in diese Bipolarität oder Heteronormativität – stark vereinfacht: Heterosexualität als Norm – begibt.
Warum herrscht dieser Wunsch zum Rückwärtsgewandten?
Für die jungen Menschen ist es eher so, dass sie tun können, was sie wollen. Im Moment scheint mir das der Trend zu sein. Ein Wort wie Feminismus ist für sie total out, und auch die Sache löst Gähnen aus und ist altmodisch. Kann ja jedeR sein, wie oder was sie/er will – so könnte man argumentieren. Und dann kann man tatsächlich sagen, dass es egal ist, was die Mode macht – aber nur, wenn das tatsächlich der Bewusstseinsstand wäre.
Wie sieht es denn bei der Männermode aus?
Es hat sich viel gelockert in den letzten zwei Jahrzehnten. Es existiert mehr Vielfalt. Stil und Eindruck haben sich aber nicht grundsätzlich geändert. Die Zeit der Metrosexualität ist ja auch vorbei, und insofern ist das Spektrum sehr eingeschränkt. Und da wird Mode dann wieder ganz klar zum Zeichen von Gender.
Und aus Modelsicht?
Denken Sie da an Andrej Pejic, der letztes Jahr so gehypt worden ist?
Ja, zum Beispiel. Pejic lief ja für Frauen- und Männerschauen.
Von ihm hört man gerade relativ wenig. Ich unterstelle ihm jetzt einfach, dass er auch ein wenig älter geworden ist und dieses wunderbar Androgyne sich natürlich rein biologisch verändert hat. Dieses Genderspiel, das so täuschend ist und Trompe-loeil-Effekte hervorbringen kann, funktioniert nur, wenn ein Mann noch sehr jung ist. Man hat zweimal hingucken müssen: Was sehe ich hier eigentlich? Die Provokation liegt in der ganz leichten Verschiebung.
Herrscht bei den Männer-Modeltypen im Vergleich zu den Frauen mehr Vielfalt?
Die Männertypen werden weniger vereinheitlicht als die jungen Frauen. Es findet eine größere Ausdifferenzierung statt.
Warum?
Da gibt es viele Ansätze: Einmal den kritischen, also die Frauen bleiben bei einem statischen Bild und die Männer nicht. Das ist dann wieder ein Dominanzverhältnis in einer männerorientierten Kultur. Es könnte aber auch sein, dass die Vielfalt bei den Frauen in den Kleidern und Kollektionen selber viel stärker vorliegt als in den Models. Dass da so ein Riesenspektrum von modischen Ideen existiert. Die Körpernormen sind auch ausgeprägter als bei Männern – also kulturell betrachtet. Es gibt da einfach viele Erklärungen, das ist ganz schwer eindeutig deutbar.
Warum hat sich der Männerrock nie in unserem Kulturkreis durchgesetzt?
Ganz klar, weil sich die Geschlechterrollen nicht so weit durchgesetzt haben. Der Männerrock wird immer von avantgardistischen DesignerInnen propagiert. Der Rock ist in unserem Kulturkreis strikt als weibliches Kleidungsstück codiert. Das ist die ganz alte Geschichte. Die alten Verkleidungskomödien, in denen Männer sich als Frauen verkleiden, waren komisch. Hingegen hatten Frauen, die sich als Männer verkleiden, immer einen ganz anderen Touch – da gelten klare Machtverhältnisse.
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