Gender Pay Gap in der IT-Branche: Wissen, was der Kollege verdient
Die IT-Firma „Tutao“ will ein transparentes Gehaltsmodell einführen, um die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen zu schließen.
Durch die Digitalisierung werden IT-Berufe zunehmend wichtiger, immer mehr Menschen arbeiten in dem Bereich – zu einem sehr großen Teil Männer. Der sogenannte unbereinigte Gender Pay Gap in IT-Berufen liegt bei sieben Prozent, der angepasste bei neun Prozent. Die unbereinigte Lohnlücke vergleicht das durchschnittliche Einkommen aller Beschäftigten. Der angepasste Gender Pay Gap misst den Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern im gleichen Alter mit vergleichbarer Tätigkeit, Arbeitszeit, Ausbildung und Erfahrung.
Transparente Gehälter findet man in der Regel dort, wo es Haustarif- oder Branchenverträge gibt. Laut der Verdienststrukturerhebung 2014 arbeiteten 64 Prozent aller Beschäftigten in IT-Berufen jedoch ohne Tarifvertrag. Transparente Löhne sind in der Digitalbranche also kein Standard. Gehälter müssen zudem fast immer individuell verhandelt werden.
Studien zeigen, dass Frauen oft niedrigere Löhne verhandeln als Männer. Wenn Löhne nicht transparent einsehbar seien, habe das einen Einfluss bei Gehaltsverhandlungen, sagt auch Aline Zucco von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Es sei allerdings schwer, diesen Effekt genau zu beziffern. Zucco forscht unter anderem zum Gender Pay Gap in IT-Berufen.
Grundgehalt, Loyalitätsbonus und Erfahrungsgehalt
„Fest steht: In Betrieben, in denen nach Tarifvertrag bezahlt wird, wo Löhne also nicht individuell verhandelt werden müssen, gibt es innerhalb der jeweiligen beruflichen Positionen kaum Gender Pay Gaps“, so Zucco. Sie befürwortet, dass Gehälter offengelegt werden, um Lohnunterschiede zu verringern.
„Allerdings ist es für Beschäftigte wichtig zu wissen, was alle verdienen – auch die am oberen Ende der Einkommensverteilung. Also nicht nur das Medianeinkommen zu kennen, wie es das Entgelttransparenzgesetz vorschreibt“, sagt Zucco. Das Medianeinkommen misst das Einkommen, das sich genau in der Mitte der nach Größe sortierten Einkommen befindet. Es verrät nicht, wie überdurchschnittlich hoch das Einkommen mancher Kolleg:innen ist.
Nach dem 2017 in Kraft getretenen Entgelttransparenzgesetz können Beschäftigte in Betrieben mit mehr als 200 Arbeitskräften erfragen, was Kolleg:innen des anderen Geschlechts in gleichwertiger Tätigkeit brutto im Monat verdienen. Vorausgesetzt, es gibt mindestens sechs Kolleg:innen im Unternehmen, deren Arbeit vergleichbar ist.
„Tutao“ hat jetzt drei Kriterien vorgestellt, die das Gehalt bestimmen sollen: das marktübliche Grundgehalt, ein Loyalitätsbonus, der die Jahre im Unternehmen belohnt – und ein Erfahrungsgehalt. Letzteres ist wohl der interessanteste Punkt. Das Erfahrungsgehalt soll nämlich „sowohl den Abschluss als auch die Berufserfahrung“ berücksichtigen. Das Besondere: Die Jahre der Berufserfahrung sollen auch dann als volle Jahre zählen, wenn die Person in Teilzeit gearbeitet hat oder in Elternzeit war.
Frauen leisten insgesamt mehr Sorgearbeit
Das ist wichtig, da Teilzeitarbeit ein Phänomen ist, das Frauen besonders betrifft. Im Bundesdurchschnitt arbeitet etwa jede zweite Frau und jeder zehnte Mann in Teilzeit. In den IT-Berufen ist der Anteil etwas geringer: 2014 haben 32 Prozent der Frauen und 8 Prozent der Männer in Teilzeit gearbeitet. Frauen unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit außerdem häufiger und länger als Männer, um Elternzeit zu nehmen.
Frauen leisten insgesamt mehr Sorgearbeit als Männer – und das kostet Zeit. All diese Zeit fehlt Frauen, um die notwendigen Jahre an Erfahrung zu sammeln, die sie für einen Aufstieg vorweisen müssen. Führungspositionen werden selten mit Teilzeitkräften besetzt. Teilzeit und Elternzeit „schaden“ dementsprechend vorwiegend weiblichen Karrieren. All das spiegelt sich auch in Zahlen wider: Der Gender Pay Gap in IT-Berufen steigt mit dem Alter stark an.
Zucco findet, dass es vordergründig nicht schlecht klinge, wenn „Tutao“ Teil- und Elternzeit im Erfahrungsgehalt berücksichtigen will. „Insbesondere, um Männer zu ermutigen, ihren Erwerbsumfang zu reduzieren und länger in Elternzeit zu gehen.“ Für sie schließen sich bei der Bewertung des transparenten Gehaltsmodells zwei wichtige Fragen an: Wie wahrscheinlich ist es, dass jemand in Teilzeit auch Aufstiegschancen hat? Und: Wie spiegelt sich der Aufstieg dann im Gehalt wider?
Transparente Gehälter können nur ein erster Schritt sein, um den Gender Pay Gap zu reduzieren, denn die Ursachen für die Lohnlücke sind vielschichtig. „Tutao“ leistet mit der Transparenz trotzdem einen nennenswerten Beitrag. Denn die Zahlen zeigen: Je kleiner der Betrieb, desto größer ist normalerweise der Gender Pay Gap in IT-Berufen. Bei „Tutao“ arbeiten gerade mal 14 Menschen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“