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John Kolya Reichart

Jahrgang 1982, arbeitet als Regisseur und Fotograf in Berlin. Ausgebildet wurde er an der Filmakademie in Ludwigsburg.

Gen Z im Porträt„Wir brauchen Visionen“

Der Fotograf John Kolya Reichart zeigt die vielen Gesichter der Gen Z. Wovon träumen junge Volljährige? Was fürchten sie?

w ochentaz: Herr Reichart, Sie haben 18-Jährige mit der Kamera porträtiert und zu ihrem Leben befragt. Wie kamen Sie auf die Idee?

John Kolya Reichart: Ich hatte zuvor ein Fotoprojekt in der Eisenacher Straße in Berlin gemacht, für das ich 100 Menschen zwischen 1 und 100 Jahren porträtiert habe. Bei den Gesprächen fand ich die Perspektive der jungen Erwachsenen besonders spannend – diese Umbruchphase, in der einerseits noch so eine kindliche Nai­vi­tät durchscheint, aber andererseits auch schon ganz viel da ist an Reife und Weitblick. So kam ich auf die Idee, eine Fotoarbeit mit der Fragestellung zu machen: Was bewegt die junge Generation in diesen Zeiten in unserem Land? Wie blicken sie auf die Welt?

Im Interview: John Kolya Reichart

Jahrgang 1982, arbeitet als Regisseur und Fotograf in Berlin. Ausgebildet wurde er an der Filmakademie in Ludwigsburg.

Sie meinen, in Zeiten der „Zeitenwende“?

Ja, genau. Vor vier, fünf Jahren habe ich selbst noch anders auf diese Welt geschaut. Ich glaube, dass wir damals mehr Antworten als Fragen hatten und sich dieses Verhältnis umgekehrt hat. Ich bin mit so einem Vertrauen in die Welt aufgewachsen, die Verunsicherung trifft mich heute als Erwachsener, mit Anfang 40. Wie muss es der Generation damit gehen, die gerade erwachsen wird?

„.achtzehn“

Im Jahr 2023 startete John Kolya Reichart mit dem Museum für Werte in Berlin das Projekt „.achtzehn“, für das er 35 damals 18-Jährige aus allen Bundesländern jeweils zweimal interviewt und fotografiert hat. Die Orte für die Treffen wählten sie selbst aus. Beim ersten Treffen ging es um die Frage, was sie in der Vergangenheit geprägt hat, die dabei entstandenen Bilder sind Schwarz-Weiß. Beim zweiten Treffen sprachen die jungen Erwachsenen über die Zukunft, die Bilder sind in Farbe. Die Ausstellung wird am 20. Juni im Berliner Zeiss-Großplanetarium eröffnet und läuft bis zum 1. August 2024.

Und welche Antwort haben Sie auf diese Frage gefunden?

Ich habe beobachtet, dass da insgesamt doch wenig Naivität war. Und auch wenig Zuversicht, wenn es in den Gesprächen um die Zukunft ging – ihre eigene oder die der Welt als Ganzes. Das Thema war oft mit Angst besetzt. Es war niemand dabei, der oder die gesagt hätte: Ich habe richtig Bock, in diese Welt zu gehen. Bestenfalls fielen so Aussagen wie: Das ist alles ganz schön schwierig, aber ich glaube schon auch, dass wir daran wachsen können.

Kürzlich ging die neue Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024“ durch die Presse. Gen Z, also alle 14- bis 29-Jährigen, seien unzufriedener mit den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen als in früheren Befragungen. Wie haben Sie das wahrgenommen?

Ja, die Unzufriedenheit hat sich in der pessimistischen oder ängstlichen Haltung gegenüber der Zukunft in den Interviews schon widergespiegelt. Ich denke, das hat viel mit der global angespannten Situation zu tun. Die Coronakrise, dann die Kriege, der Klimawandel sowieso, diese Umstände müssen sie in ihrem jungen erwachsenen Leben sehr prägen.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Ein weiteres Ergebnis der Studie besagt, die Angehörigen der Gen Z seien der AfD zugewandter. Teilen Sie diese Beobachtung aus Ihrem Projekt?

Nein, eine Zugewandtheit gegenüber der AfD habe ich in keinem Fall bemerkt. Ich habe zwar nicht explizit politische Einstellungen oder Parteipräferenzen abgefragt, aber ich hatte bei niemandem das Gefühl, dass er oder sie rechte oder rechtsextreme Einstellungen gehabt hätte, weder in West- noch in Ostdeutschland. Ihr Grad der Reflektiertheit und eine Zugewandtheit zur AfD gehen für mich auch nicht zusammen. Da haben mich die Ergebnisse der Studie wirklich überrascht.

Wer sind die jungen Menschen, die Sie getroffen haben? Wie haben Sie sie gefunden?

Ich habe in allen Bundesländern alle möglichen Stellen und Institutionen angeschrieben – Sportvereine, Jugendzentren, Schulen. Und ich habe teilweise auf Reisen auf der Straße junge Menschen angesprochen. Mir war es wichtig, keine Spre­che­r:in­nen ihrer Generation zu casten, also Jugendliche, die bereits eine Stimme haben, sondern vor allem denen Raum zu geben, die nicht so sichtbar sind.

Was war der größte Unterschied zu Ihrer Jugend?

Das hohe Maß an Reflexion, die Fähigkeit, über sich selbst nachzudenken und offen über Gefühle zu sprechen. Das hat mich beeindruckt. Einer zum Beispiel ist ohne Vater aufgewachsen und konnte sehr klar ausdrücken, wie ihn das geprägt hat. Eine andere leidet unter Anorexie und Depressionen und hat frei darüber gesprochen. Ein anderer hat in der Pubertät angefangen, Drogen zu konsumieren, und erklärte mir, inwiefern das für ihn mit seiner Rolle als „Goldjunge der Familie“ zusammenhängt. Das zog sich wirklich durch, unabhängig vom Schulabschluss oder familiären Hintergrund.

Was brauchen junge Menschen?

Ich denke, es ist wichtig, dass nicht nur über sie gesprochen wird, sondern mit ihnen. Dass ihnen zugehört wird, ihre Einstellungen und Bedürfnisse sichtbar werden. Und ich finde, dass es unserer Gesellschaft an einer übergeordneten Vision fehlt, einer Vorstellung davon, wie wir in Zukunft leben wollen. Ohne diese Vision verharren wir in dem statischen Gedanken: So wie es ist, kann es nicht weitergehen. Das macht es jungen Menschen besonders schwer, eine positive, handlungsorientierte Perspektive gegenüber ihrer Zukunft zu entwickeln. Sie brauchen etwas, woran sie glauben und woran sie sich orientieren und festhalten können, etwas, das über die nächsten paar Monate hinausgeht.

Interview: Nora Belghaus

Mia*, 20 Jahre, aus Rostock

Mia am Strand in Warnemünde. Hier am Meer kann sie gut entspannen Foto: John Kolya Reichart

Gerade mache ich Abitur und hoffe, dass ich das gut meistere. Die Schulzeit war nämlich gar nicht so einfach für mich. Als ich die vierte Klasse wiederholt habe, waren die jüngeren Kinder ganz schön fies zu mir.

Ein paar Jahre später, während der Coronapandemie, habe ich mich sehr zurückgezogen und drei Monate in meinem Zimmer verbracht. Da habe ich mich oft alleine gefühlt. Doch das ist zum Glück vorbei. Jetzt freue ich mich darauf, im Sommer bei meinen Eltern auszuziehen und mit meiner Freundin nach Leipzig zu gehen. Dort möchte ich Pädagogik studieren oder Soziale Arbeit oder eine Ausbildung zur Ergotherapeutin machen.

Da ich selber schon schwierige Phasen erlebt habe, könnte ich mir vorstellen, dass ich Menschen, denen es gerade selbst nicht so gut geht, vielleicht besser verstehen kann. In den Akutkliniken, in denen ich wegen meiner Essstörung und Depression war, hat es mir echt geholfen, mit anderen Betroffenen zu reden. Wir konnten uns gegenseitig Halt geben, weil wir gerade alle etwas Ähnliches durchmachten.

Für unsere Gesellschaft wünsche ich mir, dass mentale Gesundheit nicht mehr so ein Tabuthema ist. Wenn man sagt, ich habe Depressionen, wissen die meisten nicht, wie sie reagieren sollen. Ich finde, dass auch Lehrkräfte mehr Verständnis für Menschen mit besonderen Bedürfnissen zeigen und sie besser unterstützen sollten. Ich habe das Gefühl, dass sie sonst oft komplett untergehen. Schü­le­r:in­nen mit Depression schaffen es zum Beispiel vielleicht mal nicht, zwei Wochen am Stück in die Schule zu gehen. Das sollte als Teil der Krankheit angesehen und nicht als faul abgestempelt werden.

Natürlich darf man sich da nicht drauf ausruhen. Aber manchmal geht es einfach nicht. Niemand sollte sich für seine Krankheit rechtfertigen müssen. Allgemein wünsche ich mir mehr Akzeptanz untereinander, egal wo man herkommt, wie man aussieht, egal welche Krankheiten man hat oder welche Behinderung, egal wen man liebt.

Mia vor der Uniklinik Rostock. Ihr ging es eine Zeit lang nicht so gut. Das ist etwas, was sie gern hinter sich lassen würde Foto: John Kolya Reichart

Meine größte Angst ist, dass es mir irgendwann wieder schlecht geht. Mir fallen Veränderungen sehr schwer und deshalb habe ich auch ein bisschen Angst davor, bei meinen Eltern auszuziehen und selbstständig zu werden, eine Ausbildung zu finden, ein Leben aufzubauen. Da wird man nach der Schule schon ein bisschen ins kalte Wasser geworfen.

Ich beobachte in meiner Stadt, dass immer mehr Jugendliche rechts werden, es kommen immer mehr rechte Sprüche und Beleidigungen, und das macht mir extrem Angst. Weil ich selbst mit einer Frau zusammen bin, aber auch, weil ich mich frage, was das allgemein für unsere Gesellschaft bedeutet, besonders für all jene, die nicht in das Schema von Rechten passen.

Die Beziehung mit meiner Freundin gibt mir Zuversicht, ich freue mich auf unsere gemeinsame Zukunft. Auch, dass ich mittlerweile an einem Punkt bin, an dem ich für mich selber kämpfe und gesund werden will und nicht mehr der Anpassungsdruck der Gesellschaft der Antrieb dafür ist.

Ich bekomme gerade auch viel Unterstützung von meiner Familie und Freund:innen. Dafür bin ich dankbar, weil ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist. In meinem näheren Umfeld fühle ich mich zu hundert Prozent so akzeptiert, wie ich bin. Im öffentlichen Raum sieht das allerdings anders aus. Letzte Woche waren wir im Club, und meine Freundin wurde als Schwuchtel beleidigt, weil sie kurze Haare hat. Unsere Freundinnen haben uns sofort verteidigt und gesagt: Seid ihr homophob, oder was? Geht weg, lasst uns in Ruhe!

Auch wenn es eine echt beschissene Situation war, war es hinterher ein schönes Gefühl, dass die anderen so für uns da waren.

Protokoll: Katharina Höring

* Name auf Wunsch geändert

Marius, 20 Jahre, aus Anklam in Mecklenburg-Vorpommern

Marius engagiert sich in seinem Heimatort für ein tolerantes Miteinander. Hier sieht man ihn vor seiner alten Schule Foto: John Kolya Reichart

Geboren und aufgewachsen bin ich in Anklam und wohne hier auch jetzt noch. Das Leben in so einer Kleinstadt bedeutet, dass um Punkt neun die Bürgersteige hochgeklappt werden. In der gesamten Stadt ist dann Feierabend. Es gab mal einen Jugendclub, der wurde abgerissen. Eine Cocktailbar gibt es schon ewig nicht mehr. So findet vieles im Privaten statt. Ich würde das aber nicht als etwas grundsätzlich Negatives abtun. Es kann Freundeskreise auch enger zusammenschweißen.

Viele Freunde von mir sind nach der Schule nach Greifswald oder Berlin gezogen. Ich aber fühle mich in der Großstadt nicht wohl. Es sind zu viele Menschen, es passiert viel zu viel auf einmal. Momentan mache ich einen Bundesfreiwilligendienst im Rettungsdienst und suche einen Ausbildungsplatz zum Notfallsanitäter. Ich mag es, dass man in diesem Beruf in so kurzer Zeit auf so viele verschiedene Menschen trifft und ihnen direkt helfen kann.

Letztes Jahr habe ich mein Abitur gemacht und habe seitdem mehr Zeit für mein Ehrenamt. Ich engagiere mich seit drei Jahren bei der Hundestaffel des Deutschen Roten Kreuzes. Die wird eingesetzt, wenn jemand als vermisst gemeldet wird. Manchmal haben sich diese Menschen suizidiert oder sind ermordet worden. Es sind harte Schicksale, denen man da begegnet, deshalb prägen mich diese Einsätze sehr. Wenn wir eine demente Frau, die von ihrem Wohnort weggelaufen ist, wiederfinden und zu ihrer Familie zurückbringen, ist das das schönste Gefühl. Ich habe durch diese Arbeit gelernt, mein Leben mehr wertzuschätzen.

2018 bin ich über einen Freund zum Jugendparlament gekommen und gestalte Kommunalpolitik mit. Seither weiß ich, dass man für politische Veränderungen kämpfen muss. Und egal wie klein sie sind, oft lohnt es sich. Im selben Jahr bin ich durch einen Upcycling-Workshop auf das Jugend­zen­trum „Demokratiebahnhof“ gestoßen. Weil ich’s so schön mit den Leuten fand, bin ich wieder hingegangen. Mittlerweile bin ich Vorsitzender des Jugendclubs, wo wir unter dem Motto „Bunt statt braun“ Projekte und Veranstaltungen organisieren. Leider ist das alte Backsteingebäude des Demokratiebahnhofs aktuell wegen seines schlechten Zustands geschlossen.

Ich wünsche mir, dass Menschen nicht immer nur den Fokus aufs Negative richten, sondern auch mal ihre Privilegien checken. Ich frage mich manchmal, über was für Probleme wir hier eigentlich sprechen. Menschen in Deutschland haben alles. Die meisten haben keine Kriegserfahrung, reichlich Essen, Strom, fließend Wasser, Internet, genug Geld, um in den Urlaub zu fahren. Wir sind nun mal im Umbruch, das ist die ganze Welt. Man kann gern irgendwo hin auswandern, da wird es aber nicht anders sein. Die Menschen stellen sich ihrer Verantwortung für gesellschaftliche Veränderungen nicht, sondern schieben sie weg. Das soll jetzt gar nicht so mindsetcoach-mäßig klingen, aber ich finde, wir sollten mehr wertschätzen, was wir haben.

Der Rechtsruck in Deutschland beschäftigt mich sehr. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir dagegen noch etwas bewegen können. Ich erlebe immer wieder Leute, die Bock haben, was zu reißen. Wir haben hier Ende letzten Jahres zur kommenden Kommunalwahl am 9. Juni das Wählerbündnis gegründet, das die Linke, SPD und Mitglieder ohne Parteizugehörigkeit verbindet. Aktuell arbeiten wir an der Kampagne. Obwohl es sich oft so anfühlt, als sei es schon fast zu spät dafür, das Ruder noch mal rumzureißen, wuppt doch jeder irgendwie seinen Teil, um den Leuten gute alternative Ideen anzubieten.

Marius vor dem Werksgelände der Zuckerfabrik. Mit dem Ort verbindet er viele Erinnerungen Foto: John Kolya Reichart

Die Kraft der Gemeinschaft motiviert mich, und doch macht mir die politische Entwicklung in Deutschland Angst. Angst, dass wir an einen Punkt kommen, an dem man den eigenen Nachbarn nicht mehr in die ­Augen gucken kann, weil die politischen Ansichten zu sehr auseinanderdriften. Ich glaube, wir müssen auch lernen, für das Gemeinwohl und den gesellschaftlichen Zusammenhalt so manche eigene Forderung etwas zurückzustellen, damit ein gemeinsamer Nenner gefunden werden kann. Zum Beispiel beim Gendern.

Obwohl ich ein großer Verfechter vom Gendern bin, verstehe ich auch diejenigen, die es nicht okay finden, wenn einem an der Uni das Nichtgendern rot angestrichen wird. Zumal es genug Menschen gibt, die schon mit dem einfachem Satzbau Pro­ble­me haben. Dass für sie Sprache durch Gendern nicht einfacher wird, verstehe ich.

Protokoll: Maria Disman

Maaradji, 18 Jahre, aus Kaiserslautern

Maaradji hat sich vor dem Rathaus in Kaiserslautern fotografieren lassen. Nach dem Abi soll es in eine andere Stadt gehen Foto: John Kolya Reichart

Ich bin zusammen mit meinen zwei jüngeren Geschwistern bei meinem Vater in Kaiserslautern aufgewachsen. Meine Eltern stammen aus Algerien. An meine Mutter habe ich allerdings kaum Erinnerungen, die beiden haben sich getrennt, als ich vier Jahre alt war. Mein Vater war daraufhin alleinerziehend. Wir haben zwischenzeitlich eineinhalb Jahre in Oran an der Küste Algeriens gelebt, dann in Stuttgart, dann wieder in Kaiserslautern.

Armut ist eine grundlegende Erfahrung meiner Kindheit. Mein Papa war zeitweise arbeitslos, wir haben Hartz IV bezogen. Manchmal hat er auch Arbeit gefunden, meistens als Reinigungskraft. Wenn man arm ist, geht es nicht „nur“ darum, dass man sich keine coolen Klamotten leisten kann. Es ist grundlegender. Ich konnte zum Beispiel keine Kindergeburtstage feiern wie andere. Ich bekam keine Nachhilfe in Fächern, in denen ich nicht so gut war – das war zu teuer. Dabei war schulischer Erfolg sehr wichtig für mich. In der Schule konnte ich mich beweisen.

Ich bin eher pessimistisch, wenn ich an die Zukunft denke. Vor allem macht mir der Rechtsruck Sorge, den wir in vielen Nationen in Europa sehen. Marginalisierte Gruppen haben es dort immer schwerer. Ich wünsche mir, dass sich dieser Trend umkehrt und dass deren Rechte geachtet werden. Auch der Klimawandel macht mir Angst; ich hoffe, dass wir das irgendwie geregelt bekommen.

Positiv sehe ich den technischen Fortschritt, vor allem in der Medizin. Was K.I. angeht, bin ich etwas skeptischer, vor allem in der Kunst zerstört sie meines Erachtens die Originalität. Ich wünsche mir am meisten, dass Kinderarmut bekämpft wird und abnimmt.

Maaradji war in der Kindheit und Jugend oft und gern in der Bibliothek. Sie war ein Zufluchtsort Foto: John Kolya Reichart

Mut machen mir die vielen Menschen, die sich aktiv beteiligen, um die Situation zu verbessern. Ich selbst besuche Demonstrationen, engagiere mich bei der Antifa. Und ich werde wählen gehen, zum ersten Mal im Juni.

Zunächst will ich mein Abitur machen und danach studieren, Sozialwissenschaften oder Soziologie. Ich könnte mir vorstellen, auf eine Professur hinzuarbeiten oder Jour­na­lis­t*in zu werden. Eine längere Beziehung habe ich noch nicht gehabt, aber irgendwann wünsche ich mir auch eine Partnerschaft. Auf jeden Fall will ich weggehen von hier. Ich möchte in einer größeren Stadt leben, am liebsten in Berlin.

Protokoll: Jens Uthoff

* Maaradji möchte nur beim Nachnamen genannt werden

Fee*, 19 Jahre, aus Berlin, lebt heute in Eberswalde

Fee vor einem ökologischen Selbst­versorger-Bauernhof mit Perma­kultur. Sie kann sich gut vorstellen, an so einem Ort zu leben Foto: John Kolya Reichart

Ich denke in Farben, Formen oder Texturen. Schon seit meiner Kindheit. Ich male viel, spiele Gitarre und drücke so meine Gedanken und Gefühle aus. Durch Kunst adressiere ich das, was in meinem Kopf vor sich geht, Träume, Wünsche. Ich wünsche mir eine Welt, in der wir weniger konsumieren und nicht irgendwelchen Idealen hinterherlaufen, ohne sie zu hinterfragen.

Ich komme aus Berlin, aber schon seit meiner Kindheit fühle ich mich zu einem Leben auf dem Land hingezogen. In der Großstadt kommen mir die Menschen von der Natur entfremdet vor. Konsum kann zwar Spaß machen, aber eben auch viel zerstören. Mein Aufwachsen in Berlin hat mir gezeigt, dass unser Wirtschaftssystem mit Nachhaltigkeit nur schwer zu vereinbaren ist. Es wird immer noch immer mehr produziert, dabei sind die Ressourcen unseres Planeten doch endlich. Wir sollten Umweltschutz viel ganzheitlicher denken.

Das hat mich auch zu meinem aktuellen Studium inspiriert. Nach meinem Abi habe ich mir ein Jahr Zeit genommen, um erst mal zu jobben und in Ruhe herauszufinden, was ich im Leben machen möchte. Letztes Jahr bin ich dann für mein Studium des Holzingenieurwesens nach Eberswalde gezogen. Ich möchte einen Beitrag dazu leisten, dass die Natur nicht ausgemerzt wird, dass Wirtschaftlichkeit und Natur bestmöglich in Einklang gebracht werden. Ich würde später gerne Tiny-Häuser bauen oder ein kleines Unternehmen aufbauen, das nachhaltig mit Holz baut.

Und ich träume davon, mit meiner Arbeit später öffentliche, gemeinschaftliche Räume zu schaffen. Ich habe bemerkt, dass im öffentlichen Raum, insbesondere in der Stadt, zu wenige Räume existieren, in denen man sich auf das Zwischenmenschliche fokussieren kann, außer man konsumiert etwas im Café. Wenn es mehr andere Räume gäbe, würden sich Menschen aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten begegnen, statt so isoliert in ihren Bubbles zu leben.

Ich stelle mir die Gesellschaft der Zukunft als eine große Gemeinschaft vor. Ich bin der festen Überzeugung, wenn sich Menschen mit verschiedenen Biografien gegenseitig besser kennenlernen würden, hätten sie viel weniger Vorurteile. Dann würden sie auch verstehen, warum unterschiedliche gesellschaftliche Schichten unterschiedliche Konsumverhalten haben.

Als Vergangenheitsort hat sich Fee ein Berliner Einkaufszentrum ausgesucht. Früher hat sie gerne dort eingekauft, heute nicht mehr Foto: John Kolya Reichart

Nur in der Gemeinschaft kann man für Probleme, die sich aus solchen Unterschieden ergeben, eine Lösung finden. Angst macht mir das Thema Künstliche Intelligenz. Ich habe das Gefühl, dass Menschen es sich immer bequemer machen. KI-Anwendungen werden uns in Zukunft immer mehr Aufgaben abnehmen. Ich habe Angst vor der Entmündigung der Menschen, davor, dass uns irgendwann sogar das Denken abgenommen wird.

Wenn ich mir die Welt anschaue und mal wieder meine Zweifel daran habe, dass wir es noch hinkriegen, die Menschen vor dem Verlust ihrer Zuhause zu bewahren, weil der Meeresspiegel immer mehr steigt oder die Dürren zunehmen, gibt mir mein soziales Umfeld Halt und Zuversicht.

Protokoll: Maria Disman

* Name auf Wunsch geändert

Fatima, 19 Jahre, aus Halver in Nordrhein-Westfalen

Fatima in ihrem Lieblingswald. Dort hat sie schon als Kind viel Zeit verbracht Foto: John Kolya Reichart

Seitdem ich 15 Jahre alt bin, bin ich als In­fluen­ce­rin auf Instagram und Tiktok unterwegs. Dort schauen mir viele Menschen beim Leben zu, ungefähr 21.000 Follower, mit einigen bin ich früher zur Schule gegangen. Wenn man unter 18 ist, Fashion-Content dreht und etwas macht, was die anderen nicht machen, dann reden die anderen Schüler über einen. Das habe ich oft auch mitbekommen, und nicht alles, was die geredet haben, stimmte.

Die meisten Urteile waren eher negativ als positiv. Manchmal fühlte ich mich von ihnen gemobbt. Das hat mich stark geprägt. Ich glaube, viele waren oder sind neidisch auf mich, weil ich mache, was mir Spaß macht. Schon mit fünf wusste ich, dass ich mal etwas mit Mode machen wollte. Es ist also wirklich eine Leidenschaft von mir. Ich glaube, das spüren die anderen.

Influencerin sein gibt mir Glücksgefühle und ist auch eine Art Empowerment für mich als Frau. Ich kann mich dort zeigen, wie ich möchte. Mein Vater findet, dass es too much ist, wie ich mich kleide, zu freizügig, aber ich lass mir da nichts sagen. Mit meinen Videos und Fotos möchte ich den Menschen zeigen, dass man alles anziehen kann, was man will.

Für mich bedeutet Fashion nicht einfach nur Klamotten. Da steckt viel mehr dahinter. Es ist auch Ausdruck der Persönlichkeit, der eigenen Ästhetik und Selbstverwirklichung. Manchmal kommentieren auch Follower, ich würde mich zu freizügig anziehen oder wie ein Junge stylen, wenn meine Klamotten mal sehr weit sind. Mit der Zeit habe ich gelernt, bei Hate-Kommentaren gilt: in das eine Ohr rein und aus dem anderen wieder raus. Ich werde ihre Meinung über mich eh nicht ändern können, und es allen recht zu machen, funktioniert auch nicht.

Ihre alte Schule ist für Fatima ein Ort, den sie gerne hinter sich lässt Foto: John Kolya Reichart

Ich wünschte, die Menschen würden einander mehr akzeptieren, statt ständig zu judgen, nur weil andere vielleicht andere Träume haben als man selbst. Als ich noch in der Schule war und die Lehrer gefragt haben, was unsere Ziele sind, und ich mit Social Media und Fashion antwortete, fühlte ich mich nie ernst genommen, so als wäre mein Traum „nichts Richtiges“. Das hat mich manchmal ganz schön demotiviert. Ich hoffe, dass wir uns als Gesellschaft irgendwann gegenseitig supporten, egal wie unterschiedlich unsere Träume sind.

Seitdem ich zwölf bin, habe ich immer so ein Skizzenbuch dabei, wo ich Outfits reinmale. Ich hoffe, in einigen Jahren eine eigene Fashion-Brand zu haben, die anderen Mädchen und Frauen das Gefühl gibt, dass man als Frau alles schaffen kann. Momentan shoote ich für ein Lookbook, also ein Portfolio für meine Stylingjobs, damit ich richtige Stylistin werden kann. Ich bin überzeugt, wenn man motiviert ist, die eigenen Ziele zu erreichen, dann wird es auch klappen, egal was andere sagen. Deshalb bin ich zuversichtlich, habe keine Zukunftsängste und auch keinen Plan B. Egal wie viele Hate-Nachrichten ich auch kriege, ich konzentriere mich auf das Positive und auf meinen Traum, Stylistin zu werden.

Protokoll: Maria Disman

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