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Geiselnahme in AlgerienTote bei Befreiungsversuch

Während der französische Premier den algerischen Behörden noch sein Vertrauen ausspricht, greifen diese das Erdgasfeld an. Dabei werden Geiseln getötet.

In Amenas: Schauplatz eines blutigen Versuchs der Geiselbefreiung. Bild: dpa

ALGIER/Paris afp/dpa/rtr | Die algerische Armee hat am Donnerstag nach Angaben der islamistischen Geiselnehmer, die am Vortag ein Gasfeld im Osten Algeriens überfallen hatten, die Anlage mit Kampfhubschraubern angegriffen. Das meldete die mauretanische Informationswebseite ANI unter Berufung auf eine Quelle innerhalb der islamistischen Gruppe.

Die Zahl der Todesopfer des Angriffs ist bislang nicht klar. Die Nachrichtenagentur Reuters erfuhr von einem lokalen Informanten, sechs ausländische Geiseln und acht Islamisten seien getötet worden. 180 algerische Geiseln sollen entkommen sein.

Nach Informationen des französischen Rundfunks hingegen sind bei dem Angriff 34 Geiseln ums Leben gekommen. Weitere 26 der Verschleppten seien während der Attacke auf die islamistischen Geiselnehmer befreit worden, berichtete der Sender France Info am Donnerstag weiter. „Wir werden alle Geiseln töten, sollte die algerische Armee versuchen, sie mit Gewalt zu befreien“, hatte ein Sprecher der Geiselnehmer der Nachrichtenagentur ANI gesagt.

Eine offizielle Bestätigung für den Angriff gab es zunächst nicht. Jedoch ist die norwegische Regierung von Algerien offiziell über eine derzeit laufende Militäraktion informiert worden. Das sagte ein Regierungssprecher in Oslo dem Sender TV2. Nach Informationen des algerischen Fernsehsenders Ennahar gelang 15 Ausländern die Flucht, darunter einem französischen Paar. Ihnen sei es gelungen, zusammen mit rund 30 Algeriern aus der Gewalt der Islamisten zu entkommen.

Am Mittwoch hatte das islamistische Kommando die Anlage überfallen und neben zahlreichen Algeriern auch mehrere Dutzend westliche Ausländer als Geiseln genommen, darunter Briten, Norweger, US-Bürger und Japaner. Algerische Medien berichteten am Donnerstag, zahlreichen Geiseln sei bereits die Flucht gelungen.

Die Geiselnehmer erlaubten am Morgen offenbar einigen der Gefangenen Kontakte zu Medien, um die algerische Regierung davon abzuhalten, die besetzte Förderanlage zu stürmen. Einige der Geiseln müssten Sprengstoffgürtel tragen, berichtete einer. Die Entführer seien schwer bewaffnet und drohten damit, die Einrichtungen an dem Gasfeld in die Luft zu sprengen, wenn das algerische Militär einen Befreiungsversuch starte, sagte eine der Geiseln dem Sender France 24.

Zwei von ihnen, ein Brite und ein Ire, riefen im Fernsehsender Al-Dschasira die algerischen Streitkräfte auf, sich zurückzuziehen, um Opfer zu vermeiden. „Wir werden von den Kidnappern gut behandelt“, sagte der Brite. Man versuche sie zu überzeugen, dass Verhandlungen die beste Lösung seien, um Opfer zu vermeiden.

Einer der Geiselnehmer, der sich mit dem Pseudonym Abu al-Baraa vorstellte, sagte dem katarischen Fernsehsender Al-Dschasira, die Gruppe fordere den Rückzug der algerischen Armee als Vorbedingung für Verhandlungen. Algerische Soldaten hatten das Gasfeld umstellt.

In der Gasanlage halten sich auch Franzosen auf. Das gab Frankreichs Präsident François Hollande am Donnerstag in Paris bekannt. Angesichts der „konfusen Situation“ am Ort der Geiselnahme wolle er möglichst wenig sagen, sagte Hollande. Er denke aber an die französischen Landsleute vor Ort und fügte hinzu: „Es gab dort welche, es gibt welche auf dem Gelände.“ Bisher hatte Frankreich nicht bestätigt, dass unter den Geiseln auch mehrere Franzosen sind, wie Medien zuvor berichtet hatten.

Frankreichs Staatschef hob zugleich hervor, dass er „völliges Vertrauen in die algerischen Behörden“ habe. Algerische Soldaten haben die Gasanlage umstellt. Verhandlungen mit den islamistischen Geiselnehmern, die unter anderem die Freilassung von Gesinnungsgenossen und ein Ende des französischen Militäreinsatzes in Mali verlangen, lehnt die algerische Regierung ab.

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5 Kommentare

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  • Z
    zombie1969

    Geiselbefreiung mit Beschuss durch Kampfhelikopter. Scheint eine besonders tolle Befreiungsstrategie zu sein in Algerien. Da sind offenbar noch einige Nachilfestunden z.B. bei der GSG9 zu nehmen.

  • TH
    Thomas H

    Das war kein "Befreiungsversuch" des algerischen Militärs, sondern ein vorsätzlicher Massenmord an Geiseln wie Geiselnehmern, seitens der algerischen Machthaber, die zumindest bislang die wichtigsten regionalen Unterstützer der dschihadistischen Aggression gegen Malis Souveränität gewesen sind!

     

    Hier hat Algeriens Regime schlicht und ergreifend sein zynisch-verlogenes Doppelspiel gegen Mali, Frankreich und den Westen auf die blutige Spitze getrieben, indem es sich einem mutmaßlich außer Kontrolle geratenen bisherigen Verbündeten und seiner Mörderbande brutalstmöglich entledigt hat, unter willentlicher Inkaufnahme des Todes aller westlichen Geiseln!

     

    Es geht hier also um gemeinschaftlich begangenen vorsätzlichen Geiselmord, verübt von Algeriens Militär und seinen terroristischen Proxis/Zauberlehrlingen!

  • D
    D.J.

    Es scheint, dass hier nationale Eitelkeiten ("wir schaffen das selbst") viele Menschenleben gefordert haben. Aber: Auch wenn das in der Situation zynisch klingt - es ist beruhigend, dass man offenbar mehr und mehr von dem Irrsinn abrückt, diesen Menschenhassern Lösegelder in den Rachen zu schieben. Längerfristig wird das Menschenleben schonen.

    Grundproblem bleibt: Das traditionelle islamische Recht sieht auch Zivilisten unter bestimmten Umständen (z.B. "illegitimer" Aufenthalt in der dar al-Islam) als völlig legitimes Ziel solcher Aktionen an; ein absolutes Tötungsverbot gilt nur für Kinder vor der Pubertät (es sei denn als Kollateralschäden).

  • MT
    Major Tom

    Geiselnahme und Lösegeldforderung sind in unserem Kulturkreis etwas in Verruch gekommen. Auch gibt es mittlerweile Gesetze, die beides verbieten. Und weil die Freiheit des Einzelnen ein so hohes Gut geworden ist, setzt es auch empfindliche Strafen, wenn man andere kidnappt.

     

    Das ist nicht überall auf der Welt so. Im mohammedanischen Kulturkreis kommt es beim Kidnapping ganz darauf an, wen es trifft. Sind es die Ungläubigen, dann darf man sich auf Allah berufen. Ich zitiere aus dem Koran:

     

    Sure 47, Vers 4:

    "Wenn ihr (auf einem Feldzug) mit den Ungläubigen zusammentrefft, dann haut (ihnen mit dem Schwert) auf den Nacken! Wenn ihr sie schließlich vollständig niedergekämpft habt (athkhantumuuhum), dann legt (sie) in Fesseln, (um sie) später entweder auf dem Gnadenweg (mannan) oder gegen Lösegeld (freizugeben)!"

     

    Das schlechte Gewissen der Geiselnehmer von Algerien dürfte deshalb begrenzt sein. Es sei denn, auch Algerier gehören zu den Gefangenen - aber die konnten sich ja schon selbst befreien. Welch ein Wunder.

  • U
    Ute

    Übles Ergebnis!

     

    Aber wie konnten die Geiselnehmer überhaupt erst dort hingelangen?