Geht‘s noch?: Hauptsache, die Kohle stimmt
Egal, wie schlecht die Argumente sind: Wenn sich Gewerkschaften und Industrie einig sind, können sie jeden Blödsinn durchsetzen
So gern hätte ich auf dieser Seite mal eine „Liebeserklärung“ an Sigmar Gabriel verfasst. Und beinahe hätte es ja auch geklappt: Die Abgabe für alte Kohlekraftwerke, die der SPD-Chef vorgeschlagen hatte, war ein ausgesprochen intelligentes Instrument, das zu minimalen gesellschaftlichen Kosten ein Maximum an Klimaschutz gebracht hätte.
Doch leider bleibt am Ende dieser Woche wieder nur Wut. Nicht nur, weil die gute Idee verhindert wurde. Sondern, weil es dafür kein einziges sinnvolles Argument gebraucht hat. Wenn sich Gewerkschaften und Industrie in einem Sektor einig sind, können sie in Deutschland noch immer jeden Blödsinn durchsetzen.
Dass die Beschlüsse zur Klimapolitik, die die Große Koalition in dieser Woche gefasst hat, Blödsinn sind, räumen selbst die Verantwortlichen mehr oder weniger offen ein. Statt also die Betreiber von Kohlekraftwerken mit einer neuen Abgabe dazu zu zwingen, den Ausstoß ihrer Uraltmeiler allmählich zu reduzieren, bekommen sie dafür nun jede Menge Geld. Und zwar genau von jenen Stromkunden, deren übermäßige Belastung dieselben Akteure sonst immer heftig bejammern, wenn es um den Ausbau der erneuerbaren Energien geht.
Auch ansonsten ist die Argumentation der Kohlefreunde so verlogen, dass es nur schwer erträglich ist. Die 100.000 Arbeitsplätze, die durch die Kohleabgabe angeblich gefährdet sind, konnten die Gewerkschaften nie belegen. Trotzdem hat Gabriel die Drohung ernst genommen und für den politischen Frieden den geforderten hohen Preis gezahlt.
Dass davon neben den Kohlekonzernen auch die Beschäftigten profitieren, ist übrigens nicht gesagt. Ihre Arbeitsplätze sind keineswegs sicherer, denn der Strukturwandel kommt durch die Abschaltprämie vermutlich sogar schneller als durch die langsam, aber berechenbar wirkende Kohleabgabe.
Doch die Wut nur gegen die Kohlelobby zu richten greift zu kurz. Denn möglich ist ihr Erfolg nur, weil die schweigende Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder und Unternehmen es akzeptiert, dass ihre Verbandsfunktionäre mit Fantasiezahlen die Politik erpressen. Wer diesen Schwachsinn hinnimmt, soll ruhig dafür zahlen.
Malte Kreutzfeldt
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