Gehörlose US-Künstlerin Sun Kim: „Ich spüre meine Stimme“
Die gehörlose US-Künstlerin Christine Sun Kim über das Arbeiten mit Klang, ihre ungebrochene Liebe zu Musik auf Vinyl und eine eigene Form von Notation.
taz: Frau Sun Kim, wie kam es zu Ihrer Beschäftigung mit Klangkunst?
Christine Sun Kim: Im Sommer 2008 bin ich nach Berlin gefahren. Ein Freund von mir hatte dort gerade ein Stipendium und ich besuchte ihn. Ich ging in einige Galerien, die – was mir nicht bewusst war – Klangkunst ausstellten. Mir war unklar, was dort vor sich ging. Schließlich erklärte man mir, sie seien mit Klang gefüllt.
Es war wie eine Erleuchtung. Mir gefiel es, das Konzept hinter den Projekten zu begreifen. Es war schön zu spüren, wie mich das Bedürfnis überkam, Klänge zu erfahren. Die Beschäftigung mit Klang gab mir enorm viel Raum, meine Neugierde und Vorstellungskraft zu entwickeln
Sie sprechen in einem Interview von der Materialisierung von Klängen als einer künstlerischen Strategie. Warum?
Da ich nicht hören kann, muss ich andere Wege einschlagen, um mir Klänge begreifbar zu machen. In meinem frühen Werk habe ich in Tinte getauchte Nägel und Pigmentpulver auf Papierbögen gelegt und sie Schallwellen ausgesetzt – eine sehr wörtliche Art, Klänge in Material zu übersetzen. Solche Art künstlerischer Praxis interessiert mich heute nicht mehr. Momentan denke ich darüber nach, auf welche Weise man Klänge durch reines Material repräsentieren könnte.
wurde 1980 im kalifornischen Orange County geboren. Sie ist von Geburt an fast vollständig gehörlos. Sun Kim lebt und arbeitet als Künstlerin in New York. Ihre Arbeiten werden noch bis zum 3. November in der Gruppenausstellung „Soundings. A Contemporary Score“ im Museum of Modern Art in New York gezeigt.
Im Augenblick sind in New York abstrakte Zeichnungen von Ihnen in roter und schwarzer Zeichenkohle zu sehen. Sie erinnern an Notationen von Noten. Sind es denn auch welche?
Ja, es sind Notationen dessen, wie ich die Welt wahrnehme. Sie sind dokumentarisch oder instruktiv. Deshalb bezeichne ich sie als Partituren oder Übersetzungszeichnungen.
Auf welche Phänomene beziehen sich diese Notationszeichnungen?
Jede Zeichnung ist vollkommen verschieden – die eine könnte eine Geschichte sein, verkleidet als Partitur, die andere ein süßes, gestisches Missverständnis, eine Form von Wahrheit oder eben eine Klangentwicklung. Es ist ein Versuch, meine Stimme zu legitimieren.
Was heißt das, Ihre „Stimme zu legitimieren“?
„Stimme“ ist hier wörtlich, aber auch im übertragenen Sinne zu verstehen. Bei meinen Verständigungsdifferenzen verwende ich meine Stimme nur selten. Meine „Stimme“, die American Sign Language, ist weder vokal noch verbal. Gesellschaftlich erscheint sie ein wenig kompromittiert. Kunst verleiht meiner Stimme eine weit größere Bedeutung. Und ich kann sie in Sounds einspeisen
Wie kann man sich das vorstellen?
Für Performances nehme ich meine Stimme über ein für mich entworfenes Programm auf. Ich spiele meine Stimme in Loops ab und jage sie durch Umwandler, die mit Klaviersaitendrähten verbunden sind. Ich spüre, wie meine Stimme hinausströmt. So wird ihre Existenz und damit auch meine eigene bestätigt.
Trifft es zu, dass Sie kürzlich auch eine Single aufgenommen haben?
Das war letztes Jahr, als ich in Berlin im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien an der Gruppenausstellung „Gebärde, Zeichen, Kunst“ teilgenommen habe. Ich bin immer noch total begeistert davon, meine erste eigene Platte aufgenommen zu haben. Es gab die Idee, zwei Schallplatten gleichzeitig zu spielen: Platte A sollte bei niedriger Lautstärke laufen, während Platte B etwas lauter eine Reihe von Loops spielen würde. Man müsste dann immer den Tonarm bewegen, um zum nächsten Loop zu gelangen. Das hat mit meiner Erfahrung, der verzögerten Wahrnehmung, zu tun.
Ist das zu vergleichen mit dem, was Sie mit Hörapparaten wahrnehmen?
Ja, mit dem rechten Ohr kann ich – undeutlich – hören. In meiner Vorstellung war die Platte A mit meinem linken Ohr verknüpft, sie spielte leise, ohne Unterbrechung. Platte B hingegen hing mit dem rechten Ohr zusammen. Ein klarer Klang, verbunden mit Arbeit, weil ich den Tonarm immer bewegen müsste, um weiter hören zu können.
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