Geheimdienste in Großbritannien: Zwei Jahrzehnte lang bespitzelt
Die Literatur-Nobelpreisträgerin Doris Lessing wurde lückenlos überwacht – wegen ihrer kommunistischen Ansichten. Sie war nicht die Einzige.
Lessing wurde 1919 im Iran geboren und wuchs in Südrhodesien, dem heutigen Simbabwe, auf. Dort traf sie Anfang der vierziger Jahre den deutschen Kommunisten Gottfried Lessing. Die beiden heirateten 1944. Die Hochzeit sei ihre „revolutionäre Pflicht“ gewesen, sagte sie.
Die Ehe wurde fünf Jahre später geschieden, aber Doris Lessing, geborene Tayler, behielt den Nachnamen ihres Ex-Mannes bei. Der zog 1949 nach Großbritannien, ließ sich aber ein Jahr später in Ost-Berlin nieder und trat der SED bei. Lessing, ein Onkel Gregor Gysis, starb 1979 bei den Aufständen gegen Idi Amin in Uganda, wo er als Botschafter der DDR tätig war.
Doris Lessing zog 1949 ebenfalls nach Großbritannien. Der MI5 hatte damals das Büro der Kommunistischen Partei Großbritanniens im Covent Garden verwanzt. Dabei kam den Spitzeln der Name Lacey zu Ohren. Es dauerte eine Weile, bis sie merkten, dass sie sich verhört hatten: Gemeint war Doris Lessing. Von diesem Zeitpunkt ab wurde ihr Telefon abgehört, ihre Post geöffnet, ihre öffentlichen Auftritte und Reden protokolliert.
Überwachung in Moskau
Der Auslandsgeheimdienst MI6 sprang den Kollegen vom Inlandsdienst zur Seite und überwachte Lessing sowie andere Schriftsteller 1952 bei einem Besuch in Moskau. „Koloniale Ausbeutung ist ihr Lieblingsthema“, schrieb der MI6, „und sie ist in ihren Äußerungen fast so verantwortungslos wie (Name geschwärzt), denn sie sagt, alles Schwarze sei wundervoll, während alle weißen Menschen und Dinge bösartig seien.“
Der Verfassungsschutz unterrichtete den MI5 1956, dass Lessing, „eine Frau von rundlicher Figur“, in die Warwick Street umgezogen sei. „Die Wohnung wird oft von Personen unterschiedlichster Nationalität besucht, darunter Amerikaner, Inder, Chinesen und Neger“, steht in dem Bericht. „Es ist möglich, dass die Wohnung für unmoralische Zwecke benutzt wird.“
Die britischen Schnüffler teilten ihre Erkenntnisse mit den Kollegen in Südafrika und Rhodesien, so dass Lessing 1956 in beiden Ländern Einreiseverbot erhielt. Im selben Jahr trat sie aus Protest gegen die Niederschlagung des ungarischen Aufstands aus der Kommunistischen Partei aus.
Die Überwachung aber ging weiter. So notierten die Agenten 1960 besorgt, dass Lessing an der Gründungsversammlung der ersten britischen Friedensbewegung, dem Committee of 100 des Literatur-Nobelpreisträgers Bertrand Russell, teilgenommen habe.
Gesetz für Informationsfreiheit gilt nicht
Neben Lessing bespitzelten die Geheimdienstler auch den Schriftsteller JB Priestley, den Musiker Benjamin Britten und den Schauspieler Michael Redgrave, der gemeinsam mit den späteren KGB-Spionen Guy Burgess und Anthony Blunt in Cambridge studiert hatte. Die Agenten waren hellhörig geworden, als sich Redgrave nach einer Hamlet-Aufführung in Moskau mit Burgess getroffen hatte, wie aus den jetzt veröffentlichten Papieren hervorgeht.
Die Akten wurden zuvor vom MI5 durchkämmt, manche Passagen wurden entfernt oder geschwärzt. Es gibt keine Richtlinien, wie lange Geheimakten unter Verschluss bleiben müssen. MI5 und MI6 unterliegen nicht dem Gesetz für Informationsfreiheit. Der MI5 überstellt hin und wieder Papiere ans Nationalarchiv, der MI6 hat seit seiner Gründung 1909 keine einzige Akte freigegeben.
Im November 1962 heißt es in Doris Lessings Akte: „Man weiß, dass sie ihre linksextremen Ansichten beibehalten hat und dass sie als ausgesprochene Gegnerin rassischer Diskriminierung an afrikanischen Angelegenheiten interessiert ist. In jüngster Zeit hat sie sich der Kampagne für Atomabrüstung angeschlossen.“
Das war der letzte Eintrag in ihrer Akte. Bis zu ihrem Tod 51 Jahre später wurde sie vom MI5 nicht mehr behelligt. 2007 erhielt sie den Literaturnobelpreis. Doris Lessing starb 2013 im Alter von 94 Jahren in London.
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