Gegenarbeitsgesellschaft: Geld verbrennen nach Mitternacht
Auf dem dreitägigen Festival "9 to 5" im Radialsystem wird über andere Arbeits- und Lebensmodelle nachgedacht. Widersprüche inklusive.
"Ich bin nicht prekär, ich bin nur scheiße angezogen", steht auf dem T-Shirt des Hornbrillenträgers, der versonnen über sein Apple-Notebook hinweg auf die Spree blickt. Selbstironie steht hoch im Kurs bei den jungen Leuten, die das Sonnendeck des Radialsystems in der Holzmarktstraße bevölkern. Sie hängen in Liegestühlen, spielen Kicker und telefonieren. Eine junge Frau hat die Füße hochgelegt und prostet mit ihrem Bier zur Ver.di-Zentrale am gegenüberliegenden Ufer hinüber. Dort fragt ein Plakat verzagt: "Arm trotz Arbeit?" Ihr T-Shirt kontert selbstbewusst: "Ich nenne es Arbeit".
Kein Jammern, sondern spaßbetontes Herumbasteln an Medienprojekten und dem eigenen Lebensentwurf. Das ist das Credo der digitalen Boheme, die eben nicht von neun bis fünf im Büro, sondern überall und nirgends mit dem Laptop arbeitet. Das Festival "9 to 5" soll ihr Branchentreffen sein. Veranstaltet wird es von der "Zentralen Intelligenzagentur", das Programm liest sich wie eine Mischung aus Fachkongress und Ferienlager: Konzerte und Performances konkurrieren mit einem ambitionierten Theorieteil.
"Burning Money" heißt das Motto des Eröffnungsabends, der einen Bogen spannt zwischen 1968er-Gruppenexperimenten, Kunsthappenings und der Burn Rate der New Economy. Der Andrang ist groß, vor allem beim Vortrag des britischen Literaturwissenschaftlers Tom Hodgkinson, der als Papst des Müßiggangs gilt und über den Weg zur Freiheit spricht.
Hodgkinson, ein Dandy in hellem Anzug, erzählt von seinem Leben vor der Gründung des Müßiggang-Magazins The Idler: quälende Abgabefristen, kreative Blockaden, Schuldgefühle. Viele im Saal nicken begeistert. Doch im Lauf des Vortrags wird klar, dass der Weg zur Freiheit für den Briten ein anderer ist als für den Großteil des Publikums. Hodgkinson verdammt die industrielle Revolution und preist die mittelalterliche Zunftordnung als Hort des Antikapitalismus. Ein wenig rückwärtsgewandt für die Besucher, von denen kaum jemand unter vierzig ist. Als er dazu aufruft, aufs Land zu ziehen, Brot zu backen und Technik zu meiden, werden die Gesichter der laptopbegeisterten Medienarbeiter lang.
Der Eingangsvortrag offenbart nur einen der vielen Widersprüche, die sich im Lauf des Abends im Radialsystem auftun. Zum Beispiel die Sache mit dem Kapitalismus. Ein Sponsor sprang kurz vor Festivalbeginn ab, aus Angst vor der "antikapitalistischen Attitüde". Doch das muss ein Missverständnis gewesen sein. Mit der bestehenden Wirtschafts- und Weltordnung wollen weder die studentischen Gründer der Internet-Handy-Plattform "Aka-Aki" aufräumen noch die unverhohlen kommerzielle Designagentur Triad, die sich nebenan mit einem Bastelraum präsentiert.
Das Projekt von "Blitzpop" könnte man sogar turbokapitalistisch nennen. In einem Tag durchleben die elf Jungs aus Hamburg eine komplette Band-Geschichte, von der Gründung bis zum Konzert. Um acht Uhr morgens haben sie angefangen, die ersten Songs zu schreiben. Um 20 Uhr riecht es im Proberaum nach Bier und Schweiß, die Stimmung ist aufgedreht. Die CD mit 10 Stücken ist fast fertig, ein Song lief bereits im Radio, das Konzert kann beginnen - bevor sich die Band wieder auflöst. "Wir wollen den Produktionsprozess von Musik offenlegen", sagt Norman Kolodziej. Der Medientechniker aus Hamburg, der auch in der Band Tante Renate spielt, weiß, dass Marketing mindestens ebenso wichtig ist wie die Musik. Das schicke Bandlogo ziert T-Shirts, Buttons und Sticker, Poster im Haus garantieren, dass Publikum kommt. "Das lief super", sagt Kolodziej. Eigentlich würde er seine Idee mit der Turboband gerne Jugendzentren anbieten. Später in der Nacht will er sich auf die Suche nach jemandem machen, der "einen Plan von Antragsstellung" hat.
Die digitale Boheme läuft nachts zur Hochform auf. Das umgedrehte "9 to 5"-Prinzip - alle Veranstaltungen laufen zwischen 21 und fünf Uhr - scheint tatsächlich dem Arbeitsrhythmus vieler entgegenzukommen. Sie lassen sich in Workshops journalistisches Arbeiten und Datensicherheit im W-LAN erklären und gucken Filme. Die meisten zieht es allerdings doch zu den spektakulären Events.
In der Halle beispielsweise kann man der 80er-Jahre-Poplegende von KLF per Film dabei zuschauen, wie sie, ganz wörtlich, eine Million Pfund verbrennt. Die klandestin 1994 im englischen Wald durchgeführte Fuck-Capitalism-Aktion wurde von Gimpo, dem Roadie der Band, gefilmt. Die Band selbst spricht nicht darüber, aber der bullige Gimpo lässt sich teuer dafür bezahlen, mit dem Film anzureisen und Fragen des Nachwuchses zu beantworten.
Ob das nicht ein wenig paradox sei, fragt Moderator Holm Friebe vorsichtig. Gimpo, der von sich sagt, er arbeite prinzipiell so wenig wie möglich, lächelt nur. Von diesem Mann kann die digitale Boheme lernen, wie man sich innerhalb des bestehenden Systems schön kapitalismuskritisch einrichtet.
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