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Gegen den Gleichtakt der Zeit

■ Der Rotbuch Verlag hat Paul Schallücks Roman „Engelbert Reineke“über Erinnerungsarbeit und Zivilcourage neu aufgelegt.

Auf der goldenen Uhr des Vaters verweigert sich die Zeit ihren Machthabern. Sie steht still, angehalten durch des Vaters Weigerung, sie dem dumpfen Schritt der Gleichschaltung anzupassen. Jahre später – der Zweite Weltkrieg ist vorbei und der Sohn zurückgekehrt – zeigt die Uhr noch immer ihren eigenen Zeigerstand. Diesmal, um den Sohn an ihre aufbewahrte Zeit zu erinnern; und daran, daß es sein Vergessen-Wollen ist, das ihn handlungsunfähig hat werden lassen. Engelbert Reineke, so wie sein Vater Lehrer am kleinstädtischen Gymnasium, tritt sie daraufhin an, wenngleich ängstlich und zögerlich: die Arbeit der Erinnerung.

Engelbert Reineke, ein Roman des Kölner Schriftstellers Paul Schallück aus dem Jahr 1959, den der Rotbuch-Verlag jetzt neu aufgelegt hat, erzählt die Geschichte eines väterlichen Vorbilds. Und er erzählt, wie „Normalität“funktioniert – während nationalsozialistischer Herrschaft und auch danach, mit denselben Honoratioren und in allerschäbigster Selbstverständlichkeit: „Es klappt. Und das ist die Hauptsache.“

Auf engstem Raum in deutscher Provinz läßt Schallück seinen Ich-Erzähler gegen dieses Ordnungsverständnis anlaufen. Entfernungen und radikale Distanzen sind dabei nicht die Sache des Romans. Engelbert Reineke wird bleiben und das Erbe des Vaters antreten, in der eigentlich unerträglichen Nähe zu genau jenen Nachbarn, die den Vater an die Gestapo ausgeliefert und damit ins Konzentrationslager gebracht haben. Mehr noch, Engelbert wird die Tochter dieser Sondermanns heiraten. Und mit ihr darauf bestehen, der Gemeinde eine Gedächtnisstütze zu sein.

Das Widerständige, von dem dieser Roman erzählt, ist also etwas anderes als der oft beschriebene Widerstand gegen die Vätergeneration. Schallück verwehrt seinem Ich-Erzähler diese Auseinandersetzung. Oder anders, er gönnt ihm einen anderen Vater, einen, mit dem sich gut leben läßt. Vielleicht ist es diese Nähe zum Vater und das Bild der guten Eltern, das die Erinnerungsarbeit des Sohnes vor allem als einen Akt der Treue und der Anständigkeit erscheinen läßt. Eine Perspektive, welche die Trauer und das Entsetzen möglicherweise einen Moment zu früh verschluckt.

Elisabeth Wagner

Paul Schallück: „Engelbert Reineke“, Rotbuch Verlag, Hamburg 1997, 271 Seiten, 38 Mark

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