Gegen Störerhaftung, für freies WLAN: Piraten vor Gericht
Gerichtsverfahren in München und Berlin sollen endlich die Frage klären: Muss ein WLAN-Besitzer für die über seinen Anschluss übermittelten Daten haften?
MÜNCHEN taz | Wer haftet, wenn ein Nutzer über einen Internetanschluss etwas Illegales tut? Was bislang noch eine rechtliche Grauzone in Deutschland ist, das soll jetzt durch mehrere Verfahren geklärt werden. Unter dem Stichwort „Störerhaftung“ ziehen sowohl die Piraten in München als auch die Freifunker in Berlin vor Gericht. Das Verfahren am Landgericht München sollte eigentlich am Donnerstag enden, wurde jedoch bis September verlängert.
Der verhandelte Fall: Der Chef der Starnberger Piraten ist Inhaber einer Firma für Veranstaltungstechnik. In seinen Geschäftsräumen hatte er für Kunden und Gäste WLAN zur Verfügung gestellt. Die Frage: Wer haftet für die übertragenen Daten, also zum Beispiel für illegale Downloads? Roland Jungnickel war mal Bezirksvorsitzender der oberbayrischen Piraten, jetzt koordiniert er den Prozess für die Partei: „Unser politisches Ziel ist es, die Störerhaftung abzuschaffen.“ Das Ziel: Eine WLAN überall für alle – umsonst und ohne Angst vor Klagen.
Aktuell gelten unterschiedliche Grundlagen für Provider und Privatpersonen, die ihr WLAN öffentlich zur Verfügung stellen. Im Gegensatz zu Providern haften Privatpersonen in der Regel als „Störer“ mit, wenn etwa jemand über ihren Zugang illegal Dateien herunterlädt.
Wenn der Inhaber eines Internetanschlusses sein WLAN-Netz nicht verschlüsselt, haftet er für also derzeit für Urheberrechtsverstöße, die über das von ihm angebotene Netz begangen werden. Die Folge laut Jungnickel: Immer mehr Anwälte nutzen die Grauzone aus und verschicken Abmahnungen. Diese Praxis müsse beendet werden, wenn nötig durch eine ganze Reihe von Prozessen. „Wir wollen der Abmahnindustrie mit Nadelstichen das Leben schwer machen“, sagt Jungnickel.
Weitere „Nadelstiche“ kommen seit Anfang Juli aus Berlin, wo ebenfalls die Störerhaftung gekippt werden soll. Zwei Freifunker haben dort Klage eingereicht, weil sie dafür abgemahnt worden waren, ihre WLAN-Netze ungesichert frei zur Verfügung gestellt zu haben. Freifunk-Initiativen gibt es schon seit Jahren auf der ganzen Welt. Dabei bauen Nutzer ihre eigene Drahtlosinfrastruktur auf, um Orte zu vernetzen, denen Internet fehlte – oder um kommerzielle Anbieter zu umgehen.
Jungnickels Ziel ist klar: Das Gericht soll entscheiden, dass auch kleinere WLAN-Anbieter wie Provider zu behandeln sind – und damit nichts zu befrüchten haben. Da ein solches Urteil Neuland betreten würde, müsste es aber wohl letztlich auf höherer Ebene als beim Landgericht München geklärt werden. Jungnickel: „Ob die Entscheidung für oder gegen uns fällt, ist fast egal, denn wir sind gewillt, durch alle Instanzen zu gehen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja