Gefriertrocknen auf Tiktok: Je explodierter, desto besser
Gefriertrocknung ist eigentlich dafür da, Lebensmittel haltbar zu machen. Süßigkeiten kann man so den Supercrunch verpassen.
S eit Neuestem bin ich süchtig nach einem süßen Trend auf Tiktok, der mich acht Jahre zurückkatapultiert. Zum Schulaustausch nach Ohio, wo wir an vielen Abenden noch losfuhren, um nach dem Dinner Icecream zu essen.
In der Dämmerung gab es lange Schlangen für eine massive Auswahl an Eissorten. Dazu klassisch Schokosoße, aber auch FruitLoops, Skittles oder gefriergetrocknete Früchtchen. Es war immer mehr Erlebnis als Genuss. So viel und so süß, meistens schaute ich nur zu, wie andere ihre Riesenkugeln verschlangen. Totaler Zuckeroverload.
Den neuen visuellen Süßeschock bekomme ich jetzt also durch diese Tiktok-Clips. Zu sehen sind bunte Süßigkeiten aus Gelatine, Schaumzucker oder Teig. Sie werden auf einem Tablett drapiert und dann in einen Gefriertrockner geschoben. Im Zeitraffer sieht man, wie sich die Süßigkeiten verändern. Heraus kommen sie aufgepufft und seltsam deformiert. In der Konsistenz irgendwas zwischen Reiswaffel und Löffelbiskuit. Für den Trend auf Tiktok und Insta gilt: Je explodierter, desto besser.
Das ist zwar auch eklig, aber ich kann nicht anders: Ich will in den präsentierten dreifach vergrößerten Gummi-Hai beißen, die porös gewordenen Bonbons zwischen meinen Zähnen zerbröseln und den locker gepufften Crunch hören. Gleichzeitig frage ich mich, warum man Süßigkeiten gefriertrocknen sollte.
Das Verfahren ist eigentlich dafür da, Lebensmittel haltbar zu machen, für Reisen ins All, im Gebirge oder beim Militär. Dabei wird den Produkten durch das Anlegen eines Vakuums Wasser entzogen. Im Prozess kommt ein Kältemittel zum Einsatz. So wird etwa Fleisch 30 Jahre haltbar. Dass man im Weltraum aber bröckeliges Sandwicheis braucht, wage ich zu bezweifeln.
Den meisten scheint es sowieso nicht um den Verzehr zu gehen. Eher darum, immer bessere Produkte zum Gefriertrocknen zu finden. Immer auf der Suche nach dem Supercrunch. Dabei werden, und das macht es so spannend, Grenzen überschritten. Denn wie oft wurde uns als Kind gesagt: Mit Essen spielt man nicht. Die Instagramer und Tiktoker tun es aber. Bei ihrer Experimentierfreude sind die Möglichkeiten dabei schier unendlich. Kürzlich gefriertrocknete jemand saure Gurken. Selbst Softdrinks sind möglich.
Wie bei meinen amerikanischen Eiseskapaden steigt beim Zusehen aber auch der Druck: Wurde die richtige Süßigkeit ausgewählt? Sehen die Farben toll aus? Und das ist der Trick. Der Trend verkauft keine Produkte, sondern Spielereien, die man leider nicht selbst zu Hause ausprobieren kann. Denn so ein Gefriertrockner ist sehr teuer und verbraucht einen Haufen Energie. Sonst hätten Sie auf diesen Seiten bald über homemade gefriergetrocknetes Bier oder Tomaten lesen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“