Geflüchteter über seine Unterbringung: „Als wollten sie dich kaputt machen“
Die Bewohner der Flüchtlingsunterkunft in der Bremer Gottlieb-Daimler-Straße demonstrieren für eine menschenwürdige Unterbringung.
taz: Herr Aguibe, warum soll ich Sie nicht mit Ihrem echten Namen ansprechen?
Maryiz Aguibe: Wenn die meinen wahren Namen kennen, dann kann ich mich auf Probleme einstellen: Die können mich abschieben oder aber in eine andere Stadt verlegen, in der ich nicht sein möchte.
Wer sind „die“?
Die Behörde für Jugend und Soziales. Das machen die so mit Leuten, die sich hier aus der Deckung wagen. Drei oder vier hat es bereits erwischt, meine Vorbilder. Das waren die Leute, die damit angefangen hatten, die Demonstration vorzubereiten, die wir am 15. Mai machen werden. Die wissen in der Behörde sehr genau, dass du deine Rechte kennst. Und wenn du dafür eintrittst, trennen sie dich halt von der Gruppe, so, wie sie uns hier von den anderen Leuten fernhalten.
Hier – also im Lager in der Daimler-Straße?
Ja.
Wie lebt man in der Unterkunft?
Das ist eine gute Frage, denn es ist sehr schwer, hier überhaupt zu leben. Wenn Leute hier zufällig vorbeikommen, was selten passiert, dann sind sie oft völlig überrascht und empört, weil sie gar nicht glauben können, dass es solche Zustände in diesem Land gibt. Wir leben hier, weil wir keine andere Möglichkeit haben.
Was macht die Situation so unerträglich?
Das Erste ist: Wir leben hier an einem abgeschiedenen Platz, ohne jeden Kontakt. Wir haben keinerlei Nachbarn, und viele Menschen, die seit jeher in Bremen wohnen, wissen nicht einmal, wo dieses Lager liegt. Das ist wirklich ziemlich weit ab von allen Wohnsiedlungen. Dann, zweiter Punkt: Es sind keine Häuser, sondern eher Zelte…
Maryiz Aguibe ist der von ihm selbst fürs Gespräch gewählte Alias eines 17-Jährigen aus Guinea, der seit Monaten in der Daimler-Straße kaserniert ist.
…Schnellbauten aus Metall und Plastik.
Ja, und ohne vernünftige Klimaanlage. In der kalten Jahreszeit waren die Hütten entweder völlig unterkühlt oder extrem überhitzt, die Luft drinnen war furchtbar trocken, sodass fast alle Bewohner ständig nachts Nasenbluten hatten, allein vom Atmen. Das haben wir gemeldet und es ist dann von einem Arzt untersucht worden, der bestätigt hat: Das ist eine Folge der schlechten Luft in den Unterkünften – und man müsste etwas dagegen tun.
Und dann?
Es hat sich nichts geändert.
Aber bessert sich mit dem Wetter Ihre Lage?
Nein, sie verschlechtert sich eher noch. Es sind ja auch nicht nur die Unterkünfte, sondern auch die restliche Versorgung. Das Essen ist schlecht, es gibt immer das Gleiche: Morgens Butterbrot, abends Butterbrot und mittags manchmal etwas Reis, jeden Tag, immer wieder. Wir haben auch keinen richtigen Zugang zur Gesundheitsversorgung.
Weil das Bremer Modell, die Gesundheitskarte, nur Leute mit geklärtem Status bekommen?
Ich hatte Probleme mit dem Knie und war beim Arzt. Der hat sich das angeschaut und gesagt: Dafür musst du eine Pille nehmen. Also hat mir der Arzt einen Zettel gegeben und gesagt: Mit dem Papier musst du zur AOK gehen, die stellen dir eine Gesundheitskarte aus, mit der du dir in der Apotheke das Medikament besorgen kannst. Das habe ich versucht – aber die Karte habe ich nicht bekommen. Also hätte ich die Medizin für 200 Euro kaufen müssen. Das Geld hatte ich aber nicht. Wir sind 90 Leute hier – davon ist die Hälfte ernsthaft krank. Und alle sind frustriert. Wir haben keine echte Freiheit, und auch keinen Zugang zum Unterricht in der Schule.
In Ihrem Heimatland waren Sie Schüler?
Ja, aber hier kann ich mich nicht weiter bilden. Um auf die Schule gehen zu dürfen, bräuchten wir eine Art Empfehlungsschreiben, irgendein Dokument. Aber das bekommen wir nicht. Und in der Schule wird uns dann gesagt: Tut uns leid, Sie sind nicht im System. Wer nicht im System ist, den können wir hier nicht unterrichten.
15. Mai 2018, 17 Uhr, Hauptbahnhof Bremen
Dabei wären Sie persönlich vom Alter her schulpflichtig?
Ich bin 17 Jahre alt, aber die behaupten, das stimmt nicht. Das wird uns einfach nicht geglaubt. Die wollen Altersfeststellungen durchführen lassen – vor denen sehr viele Anwälte aber auch Sozialarbeiter warnen, weil es keine sicheren Verfahren gibt und es passieren kann, dass sie einen mehrere Jahre älter einstufen, als man ist. Das ist die Marschrichtung der Sozialbehörde: Du sollst zu einer Anhörung kommen, damit dein Status geklärt wird. Wenn du nicht hingehst, streichen sie deine Bezüge – wenn du hingehst, leugnen sie in dem Gespräch einfach deine Altersangaben. Es ist, als wollten sie dich kaputt machen.
Wann sind Sie nach Bremen gekommen?
Im Februar. Ich habe die Sahara durchquert, die große Wüste, das Meer, um hierher zu kommen – und zwar, weil ich vor Augen hatte: Deutschland ist ein demokratisches Land. Die Deutschen respektieren die Menschenrechte. Ich kann nicht sagen, wie es mit der Demokratie in Deutschland steht, weil ich nur Bremen kenne. Aber hier in Bremen existieren Menschenrechte und Demokratie nicht für uns: Wir sind hier in Hütten untergebracht, in denen Sie Ihren Hund nicht schlafen lassen würden.
Dann ist für Sie die Zeit hier ganz verloren?
Ich habe mittlerweile alle Hoffnung verloren: Wir sind hier so nutzlos, werden nutzlos gemacht. Wir gehen nicht zur Schule, wir lernen nichts, wir können nichts tun, komplett nutzlos, komplett nutzlos.
Ist die Demo heute nur der Protest einer kleinen Gruppe der Insassen des Daimler-Lagers?
Nein, es wollen wirklich alle 90 demonstrieren. Einige sind so krank, dass sie nicht gehen können: Sie wollen trotzdem kommen. Andere wurden gewarnt, dass sie wahrscheinlich einen Kollaps erleiden, wenn sie mitlaufen. Sie wollen alle dabei sein, weil alle so frustriert sind, weil es für alle so unerträglich ist. Wir können die Lebensbedingungen nicht länger akzeptieren, zu denen wir hier gezwungen sind: Wir sind keine Verbrecher! Wir fordern kein gutes Leben, keinen Luxus. Wir fordern nur das ein, was Recht ist – unser Recht. Denn auch wir haben das Recht wie Menschen zu leben: Bitte, lösen Sie dieses Lager auf, bringen Sie uns wie normale Leute unter. Mehr wollen wir doch nicht.
Das Gespräch wurde auf Englisch geführt.
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