Geflüchteter in deutscher Lokalpolitik: Nein sagen dürfen
Als er im Juli 2014 ankommt, spricht der Syrer Tarek Saad kaum Deutsch. Heute ist er deutscher Staatsangehöriger und überzeugter Sozialdemokrat.
T arek Saad kann nicht anders. Er muss einfach mit Nein stimmen. Aus Prinzip. Weil er es darf. Weil er keine Repressalien zu fürchten hat. Und so stimmt Saad im Februar 2016 gegen den Schriftführer des SPD-Ortsvereins Felde, obwohl er gar nichts gegen dessen Kandidatur hat.
Heute muss Tarek Saad lachen, wenn er an die Reaktionen der Genoss:innen zurückdenkt. „Es hat niemand verstanden, warum ich mit Nein gestimmt habe“, sagt er und zuckt mit den Achseln. Wie auch? Er war damals 22, sprach kaum Deutsch und war ohnehin kaum fähig, seine Gefühle in Worte zu fassen. „In Syrien konnte ich nie mit Nein stimmen“, erzählt Saad. „Wer nicht Baschar al-Assad wählt, muss mit bösen Folgen rechnen.“ Freie Wahlen kamen ihm, dem Deserteur aus Syrien, wie ein Wunder vor.
Fünf Jahre später hat sich Tarek Saad an die Demokratie gewöhnt. Mehr noch: Sie ist ein fester Bestandteil in seinem Leben geworden. Wie sehr, zeigt ein Besuch in der SPD-Landesgeschäftsstelle von Schleswig-Holstein, untergebracht in einem vierstöckigen Bau mit typischer Backsteinfassade in der Kieler Innenstadt. „Mein zweites Zuhause“, sagt der 27-Jährige, als er durch das Haus führt.
Saad – ein höflicher, fast zarter Mann – bleibt vor seiner Bürotür im zweiten Stock stehen. „Kulturforum Schleswig-Holstein e. V.“ steht an der Tür, ein von der SPD gefördertes Gremium, für das Saad Verwaltungstätigkeiten erledigt. „Leider ist mein Büro noch nicht fertig eingeräumt“, sagt Saad und murmelt etwas von Renovierungsarbeiten. Mehrere Möbelstücke und ein Kopiergerät stehen mitten im Raum. An ein Arbeiten ist hier nicht zu denken. „Mein Glück ist, dass zurzeit viele im Homeoffice arbeiten“, sagt Saad und lenkt seine Schritte Richtung Treppe. Vielleicht ist bei den Jusos unterm Dach gerade was frei.
Im April wählen die Delegierten der SPD Schleswig-Holstein einen neuen Landesvorstand. Saad hat sich um den Posten des Beisitzers beworben. „Es wäre supercool, wenn es klappt“, sagt Saad. Seine Chancen stehen nicht schlecht. Seit zwei Jahren leitet er für die SPD Schleswig-Holstein die AG Migration und Vielfalt, die Landesvorsitzende Serpil Midyatlı schätzt und fördert ihn, Saads Netzwerk reicht bis in den Bundestag und das Europaparlament. Beachtlich, in welch kurzer Zeit sich Saad das aufgebaut hat.
Wird Saad erster Landtagsabgeordneter mit Fluchterfahrung?
Nach Deutschland kam Saad im Juli 2014, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen oder hier Verwandte oder Freunde zu haben. Anderthalb Jahre später ist er Mitglied bei der SPD, kurz drauf hält er seine erste Rede vor Hunderten Genoss:innen. Seither macht er Wahlkampf, organisiert Parteitage und schreibt an Wahlprogrammen mit. Auch der Bundes-SPD ist Saad schon aufgefallen. Vergangenes Jahr hat sie ihn auf ihre renommierte Führungsakademie geschickt. „Eine irre Erfahrung“ nennt das Saad.
Egal, mit wem man in der Partei über Tarek Saad spricht: Alle trauen dem jungen Mann, der noch mitten im Studium der Politik- und Islamwissenschaften steckt, eine steile Karriere zu. Landtagsabgeordneter könnte er schon nächstes Jahr werden, 2025 in den Bundestag wechseln. Saad wäre dann gerade mal 31. Er könnte der erste Abgeordnete mit direkter Fluchtgeschichte sein. Von der Erstaufnahmeeinrichtung in das höchste deutsche Parlament – das hat bisher noch niemand geschafft.
Die formellen Voraussetzungen für eine Kandidatur in ein Parlament – die deutsche Staatsangehörigkeit – erfüllt er seit wenigen Monaten auch. Nur: Wer ist dieser Mann, von dem selbst Genoss:innen im Bundestag schwärmen? Der sich nach 15 Monaten in Deutschland selbst als stolzen Sozialdemokraten bezeichnet? Und wie kommt er als junger Geflüchteter ausgerechnet zur SPD, jener Partei, die als Koalitionspartner der Union alle Asylrechtsverschärfungen der vergangenen Jahre mitgetragen hat?
Auf diese Fragen antwortet Tarek Saad routiniert. In seiner Geschichte kommen vor: eine Weltkriegsbaracke im Wald, in der Asylbewerber sich selbst überlassen werden. Eine SPD-Bürgermeisterin, die ihn in ihr Leben lässt. Eine Anti-Pegida-Demo mit einer folgenreichen Umarmung. Und eine Landesvorsitzende, die ihm nicht nur Parteiämter anvertraut, sondern auch Nebenjobs in ihrem Familienbetrieb anbietet.
Schlechte Quote Im aktuellen Bundestag sitzen nach Angaben von „Mediendienst Migration“ 58 Abgeordnete mit Migrationsgeschichte, das entspricht rund 8 Prozent. Die anteilig wenigsten Bundestagsmitglieder aus Einwandererfamilien hat demnach die Unionsfraktion mit nicht einmal 3 Prozent, vor der FDP (6,3 Prozent) und der AfD (8,7 Prozent). Spitze ist die Linksfraktion mit fast 19 Prozent, bei den Grünen sind es knapp 15 Prozent. Bei der SPD-Fraktion hat rund jede:r zehnte Abgeordnete eine Migrationsgeschichte.
Schrumpfende Partei Zwischen 1990 und 2020 hat sich die Zahl der Sozialdemokraten von über 943.000 auf rund 404.000 mehr als halbiert. Im Jahr 2020 verlor nur die AfD mehr Mitglieder (7,9 Prozent) als die Sozialdemokrat:innen (3,6 Prozent). Klare Gewinner sind die Grünen. Sie konnten ihre Mitgliederzahl im Jahr 2020 um fast 10 Prozent auf 106.000 steigern. (taz)
Ein Indiz für die Vertrautheit mit „Serpil“, wie Saad die Chefin nennt: Nach der Führung durch die Landesgeschäftsstelle nimmt Saad an ihrem, Midyatlıs, Konferenztisch Platz, um mit der taz zu sprechen. „Hier ist es einfach am gemütlichsten“, sagt Saad und kann sich darüber freuen wie einer, der sein Glück, hier sein zu dürfen, nicht fassen kann. Vielleicht ist das das Bemerkenswerte an diesem jungen Mann: dass er Dinge, die andere für selbstverständlich nehmen, so wertschätzen kann. Dass er die Demokratie, die ihm lange so fern schien, plötzlich selbst mitgestalten darf.
Von der Baracke im Wald zur SPD-Familie
Wer verstehen will, wie Tarek Saad zum glühenden Sozialdemokraten wurde, unterhält sich am besten mit Petra Paulsen. Die 64-Jährige ist für Saad beste Freundin, Ersatzmutter und Integrationshelferin in einer Person. Paulsen ist Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Felde, einer Zweitausend-Seelen-Gemeinde westlich von Kiel, als Saad von der Erstaufnahmeeinrichtung Neumünster aufs Land verteilt wird. Er landet mit zwei anderen jungen Männern in einer alten Baracke im Wald, die schon nach dem Zweiten Weltkrieg als Flüchtlingsunterkunft diente.
Der Bus nach Kiel und Rendsburg fährt zweimal am Tag. Nach Felde, der nächsten Einkaufsmöglichkeit, muss man laufen oder mit dem Rad fahren. Es fehlen nicht nur Möbel und andere Einrichtungsgegenstände, es gibt auch keine Beratung, keine Unterstützung, nichts. „Es hat erst an allem, was Mut macht, gefehlt“, erinnert sich Paulsen, die sich damals in der Flüchtlingshilfe engagiert. Es sind die Ehrenamtlichen, die Deutschunterricht und Lebensmittel organisieren. Weil Saad gut Englisch spricht und ab und an für Paulsen übersetzt, lernen sich die beiden kennen. Irgendwann lädt sie ihn zu sich nach Hause ein.
Tarek Saad freundet sich mit Paulsens beiden Söhnen an, die etwa im selben Alter sind, knuddelt den Familienhund Paulina, begleitet Paulsen in den SPD-Ortsverein, in dem etwa 30 Genoss:innen aktiv sind. Für Saad ist die Zeit ein Integrationsturbo. Er lernt, was Mädchen beim ersten Date erwarten – oder zumindest das, was Paulsens Söhne dazu meinen. Er begreift, wie wichtig die deutsche Sprache und Staatsangehörigkeit für sein weiteres Leben sind. Er hört von Willy Brandt und Torsten Albig, dem damaligen SPD-Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein. Und eines Tages lernt er den Spitzenpolitiker sogar kennen, bei einer Anti-Pegida-Demonstration in Kiel. Paulsen macht die beiden bekannt – und Albig nimmt den jungen Mann spontan in den Arm. Dass Politiker so nahbar sein können, verbindet Saad ab sofort mit den Sozialdemokraten.
Wenige Monate später, im November 2016, steht Saad bei seinem ersten Landesparteitag am Rednerpult und ruft: „Danke, SPD, du bist jetzt meine Familie.“ Aber auch: „Ich bin stolz, hier zu sein, wegen unserer Werte.“ Die dreiminütige Rede findet man heute noch auf Youtube. In den Aufnahmen sieht man, wie die Genoss:innen sich erheben, um diesem jungen Sozialdemokraten zu applaudieren. Wie Torsten Albig Saad nach der Rede ein zweites Mal umarmt. Auch Serpil Midyatlı, die heutige Landesvorsitzende, ist auf der Aufnahme zu sehen. „Das war ein emotionaler Moment“, erinnert sich Midyatlı. Der Auftritt zeige Tareks Ehrgeiz, sich einzubringen, obwohl er Bedenken wegen seiner noch unzureichenden Sprachkenntnisse hatte.
Reden im Wohnzimmer trainieren
Heute muss sich Tarek Saad um die Sprache keine Sorgen mehr machen. Er spricht so flüssig von den Tagesordnungspunkten seiner letzten AG-Konferenz, von Wahlrechtsbeschränkungen für Nicht-EU-Bürger:innen auf kommunaler Ebene, aber auch von privaten Dingen wie seiner Verlobung oder seiner Leidenschaft fürs Motorradfahren, dass man ihm die wenigen Jahre in Deutschland kaum abnimmt.
Den Ehrgeiz hat er dennoch nicht abgelegt. Für den digitalen Parteitag im April trainiert er zu Hause vor laufender Kamera, die er vor die Balkontür im hellen Wohnzimmer aufstellt, damit das Licht günstiger ist. Danach analysiert er seine Rede. Fünf Minuten soll Saad vor Hunderten Delegierten sprechen, er möchte überzeugen. Und 2022? Will er für den Landtag kandidieren? „Ich übernehme dort Verantwortung, wo ich gebraucht werde“, sagt Saad. Seine Priorität liege jetzt aber erst einmal darin, sein Studium in Kiel zu beenden.
Manchmal, sagt sein sozialdemokratischer Erstkontakt Petra Paulsen, habe sie das Gefühl, Tarek ein wenig bremsen zu müssen. „Ich fühle mich ein bisschen für ihn verantwortlich“, sagt Paulsen, die ihr Flüchtlingsengagement zurückgestellt hat, seit sie Bürgermeisterin ist. Tarek Saad und seine Verlobte sind beide im Familienchat, mit den Paulsens tauschen sie sich regelmäßig aus, auch über Saads Zukunft. Paulsen rät, die Schritte nacheinander in der richtigen Reihenfolge zu gehen. Also erst das Studium, dann die Laufbahn in der Partei. Paulsen sagt aber auch: „Tarek hat ein sicheres Gespür, was für ihn richtig ist. Ich bin stolz darauf, was er alles allein erreicht hat.“
Mit zerschossener Schulter auf der Flucht aus Syrien
Über die Zeit in Syrien spricht Tarek Saad mit Bedacht. Seine Familie soll geschützt bleiben vor der Willkür der Diktatur. Deshalb stehen hier keine Details, die seine Eltern identifizieren könnten. Nur so viel: Über Politik wurde zu Hause nicht gesprochen. Die Wände haben Ohren, lautet eine syrische Redewendung. Assad-Anhänger sind Tareks Eltern aber nicht. Sie helfen, ihren Sohn vor dem Einzug zum syrischen Militär zu bewahren. Der Bürgerkrieg tobt bereits im dritten Jahr, als sich Tarek Saad, nun fahnenflüchtig, bis in das Gebiet der Freien Syrischen Armee durchschlägt.
Weil er sich geschworen hat, niemals zu töten, greift er statt zum Gewehr zur Kamera. Die Front verlässt er nicht, seine Aufnahmen sollen die internationale Gemeinschaft zum Einschreiten bewegen. Im August 2013 dann zertrümmert eine Kugel seine linke Schulter. Bis heute kann er deshalb seinen linken Arm nur eingeschränkt bewegen. Zum Beweis entblößt Saad seine Schulter, die stark vernarbt ist und ein großes Einschussloch erahnen lässt.
Mit der Verletzung beginnt Saads Odyssee, die erst knapp ein Jahr später in einer Hamburger Polizeizelle enden wird. Dazwischen liegen ein lebensrettender Grenzübertritt in die Türkei, fünf Tage Koma, monatelange Behandlungen in einem Krankenhaus. Und, als die Ärzte ohne Grenzen sein zertrümmertes Gelenk endlich durch ein künstliches ersetzen können, das nervenaufreibende Versteckspiel mit den EU-Grenzschützern. Details zu seiner Route möchte Saad nicht nennen. Auch finanziell geht die „illegale“ Einreise an seine Grenzen: Am Ende hat Saad mehrere Tausend Euro an Schlepper gezahlt. „In Hamburg hatte ich noch fünf Euro in der Tasche“, sagt er.
Heute ist Tarek Saad abgesichert: Neben den Einkünften vom Kulturforum bezieht er bis zum Ende des Studiums ein Stipendium von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Saad sagt aber auch: „Ich habe bis heute Albträume aus der Zeit.“ Urlaub? Kann er nicht genießen. Sobald er abschaltet, kommen die Gespenster. Der Krieg. Die Verletzung. Die Flucht. Trotz der Traumatherapie, die Saad in Deutschland gemacht hat. Auch deshalb stürzt sich Saad so in die ehrenamtliche Parteiarbeit.
Serpil Midyatlı, SPD-Vorsitzende in Schleswig-Holstein
Es sind seine Erfahrungen als Migrant, die Saad für die Sozialdemokraten so wertvoll machen. „Wenn sich Tarek für sichere Fluchtwege oder für eine zügige Aufnahme von Menschen aus Moria engagiert, ist er sehr authentisch“, sagt Serpil Midyatlı, die Landesvorsitzende von Schleswig-Holstein. „Er gibt den Asyl-Paragraphen und den ganzen Statistiken ein Gesicht.“ Seine Perspektiven fehlten nicht nur oft in den Parteien, sondern auch in den Parlamenten. „Wir brauchen Vorbilder, damit Abgeordnete eines Tages die ganze Gesellschaft repräsentieren“, sagt Midyatlı.
Sie spricht aus Erfahrung: „Ich war die erste türkischstämmige Muslimin im Landtag.“ Heute haben immerhin schon 3 der 73 Abgeordneten eine „klassische Migrationsgeschichte“, wie Midyatlı es formuliert. Im Bundestag ist die Quote nicht viel besser. Gerade einmal 8 Prozent der Abgeordneten kommen aus einer Einwandererfamilie. „Es muss noch viel passieren“, sagt Midyatlı. Auch in Schleswig-Holstein.
Nächstes Jahr stehen dort Landtagswahlen an. Midyatlı will die SPD nach fünf Jahren in der Opposition wieder an die Regierung führen – sofern die Delegierten die 45-Jährige im April im Amt bestätigen. Dieselben Delegierten, die Tarek Saad in den Landesvorstand wählen sollen. Zu seinen Chancen will sich Midyatlı nicht äußern, schließlich bewerben sich auch andere Genoss:innen um den Posten. „So oder so freue ich mich aber auf die weitere Zusammenarbeit mit Tarek“, sagt Midyatlı.
Zum Beispiel für das Wahlprogramm, das die Partei bis Anfang 2022 fertig haben möchte. Midyatlı und Saad arbeiten beide zu den Themen Migration und Integration. Und beide sind sich in einem Ziel einig: möglichst alle Groko-Beschlüsse rückgängig zu machen, die viele Genoss:innen enttäuscht oder sogar wütend gemacht haben: das so genannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz, das Abschiebehaft erlaubt. Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, das Neudeutschen wie Tarek Saad den Pass nun auch noch nach zehn Jahren wieder wegnehmen darf. Die Aussetzung und Deckelung der Familienzusammenführung, die Ankerzentren.
Es sind die Themen, die Saad am Herzen liegen. „Willy Brandt war auch Flüchtling“, sagt er in solchen Momenten. Für Geflüchtete, für Menschen wie ihn, will er sich besonders einsetzen. Er weiß genau, welche Bundestagsabgeordneten aus Schleswig-Holstein für die Abschiebehaft oder die Aussetzung der Familienzusammenführung gestimmt haben. Im persönlichen Gespräch habe er ihnen daraufhin die Meinung gegeigt, auch Abgeordneten anderer Parteien. Manche mögen das als anmaßend empfinden. Vielen nötigt Saads Aufrichtigkeit aber auch Respekt ab. „Wie offen und mutig Tarek seine Meinung äußert, hat mir schon bei unserer ersten Begegnung imponiert“, sagt Aziz Bozkurt, der Saad seit zwei, drei Jahren über die AG Migration und Vielfalt kennt.
„Ich traue ihm viel zu, auch den Bundestag“
Bozkurt leitet diese Vielfaltsgruppe der SPD auf Bundesebene. Er glaubt, dass die Partei diverser werden muss – allein um mehr Wählerstimmen in den migrantischen Communities zu holen. „Viele SPD-Ortsvereine auf dem Land gleichen noch Schützenvereinen“, sagt er. Es fehlten die Vorbilder. „Tarek kann uns da definitiv helfen.“ Seine mögliche Kandidatur im Landtag kann Bozkurt nur voll unterstützen. „Ich traue ihm viel zu, auch den Bundestag.“ Ein SPD-Abgeordneter mit Fluchtgeschichte, sagt Bozkurt, würde der ganzen SPD guttun.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Bettina Hagedorn äußert sich da zurückhaltender. Auch sie kennt Saad schon seit einigen Jahren, aus ihrer Zeit als stellvertretende Landeschefin. Später hat sie ihm ein mehrwöchiges Praktikum in ihrem Büro im Bundestag organisiert. „Mein ganzes Team war von Tarek vom ersten Tag an total begeistert“, erzählt Hagedorn am Telefon. Alle seien von seinem Ehrgeiz, seiner Power und seiner Fröhlichkeit beeindruckt gewesen.
Dennoch glaubt Hagedorn, dass Saad gut beraten sei, mit dem Bundestag noch ein paar Jahre zu warten. „Tarek ist noch so jung.“ In Berlin würde er mit seiner Geschichte gewiss von Talkshow zu Talkshow herumgereicht werden, ist sich Hagedorn sicher. „Tarek will in der Politik aber ernsthaft etwas bewegen und nicht nur als ‚Feigenblatt‘ dienen.“ Seinen politischen Zielen käme er vor allem dann näher, wenn er zunächst im Land politische Erfahrungen sammelt, sagt Hagedorn. Sie meint damit: auch Frusterfahrungen. Und die sammeln Politiker:innen in der Lokal- und der Landespolitik.
Die Lokalpolitik hat Tarek Saad schon ein bisschen kennengelernt. Jetzt will er seine Erfahrungen in der Landespolitik ausbauen. Und wer weiß, vielleicht wird ja eines Tages aus der Bundes-SPD gerufen. „Wenn die Partei das möchte, würde ich ernsthafter darüber nachdenken“, sagt er. Nur Saads Eltern in Syrien verfolgen seine Berufswahl mit Argwohn: Warum er denn unbedingt Politiker werden wolle, fragen sie im Chat. „Willst du auch deine zweite Schulter verlieren?“
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