Geflüchtete und die Nachbarschaft: Ein Galgen macht noch keinen Mob
Unweit des Ankunftszentrums in Bramsche stand auf einmal eine galgenartige Konstruktion. Die Empörung war groß, ein Besuch vor Ort.
Das Zusammenleben der Anwohner und der Bewohner ist nicht immer unkompliziert gewesen. Zuletzt tauchte vor ein paar Wochen in einem privaten Garten unweit der Unterkunft ein Gebilde in Galgenform auf – inklusive Strick zum Aufknüpfen. Schlagzeilen wie „Anwohner stellt Galgen im Garten auf“ und Debatten über rassistische Ressentiments folgten.
Das Ankunftszentrum, das es in dieser Form seit Ende 2016 gibt, stand schon oft in der Kritik. Teils kam die Kritik von Ortsansässigen, teils von den „Kunden“ selbst, so ist der Behördensprech vor Ort.
Die „Kunden“ sind zuletzt Ende 2022 offensiv auf die Barrikaden gegangen. Organisiert von der Initiative „No Lager Osnabrück“ warfen sie der Landesaufnahmebehörde damals in einem Brief an Standortleiter Hendrik Robbers vor, ihre Rechte und ihre Würde zu missachten. Das Zentrum mache krank, es ist von Müllbergen in den Gebäuden die Rede, von Hallen ohne Bäder, die mit bis zu 120 Personen belegt seien, von schlechtem, nicht altersgerechtem Essen und Frischluftmangel. Der Aufenthalt führe zu Suizidalität, so die Vorwürfe.
Das Ankunftszentrum in Bramsche-Hesepe bei Osnabrück ist eines von zweien seiner Art in Niedersachsen. Das andere befindet sich in Braunschweig. Wer in das Bundesland flüchtet oder migriert, kommt in der Regel zunächst in eines dieser beiden Zentren. In Niedersachsen verteilt gibt es zudem ein Dutzend weitere Unterkünfte der Landesaufnahmebehörde.
Fünf Prozesse durchlaufen die Asylsuchenden in der Einrichtung in Bramsche: Registrierung, Erstuntersuchung, Aktenanlage, Anhörung und schließlich Verteilung in die Kommunen.
Die Maximalbelegung des Standorts liegt bei 1020 Menschen, derzeit sind rund 1.200 Menschen hier untergebracht. Zeitweise waren es schon mal mehr als 2000 Menschen.
Ende 2023 sah es dann nach Unmut in der Bevölkerung aus. Der Bramscher Stadtverwaltung sei berichtet worden, „dass in einem Privatgarten unweit der LAB in Hesepe ein Seil mit Schlinge errichtet worden sei, ähnlich eines Galgens “, bestätigt Yannick Richter der taz. Richter ist Sprecher der Stadt Bramsche, die etwa 20 Kilometer entfernt von Osnabrück liegt. In einem Gespräch mit der Stadt und einer Mitarbeiterin der aufsuchenden Sozialarbeit habe der Eigentümer des besagten Gartens versichert, die Holzkonstruktion solle „keinesfalls einen Galgen darstellen“. Sie stehe schon seit Jahren dort, zur Bestückung mit Pflanzen. Die dort baumelnde Schlinge sei für eine „hängende Blume“ gedacht.
Auf die „für die Öffentlichkeit makaber wirkende Erscheinung“ angesprochen, habe der Eigentümer das Seil sofort entfernt. Die Stadt habe „keine Bedenken“, ihm zu glauben und sehe „keine Ausländerfeindlichkeit“, sagt Richter.
„Trotzdem ist das natürlich unschön“, sagt Standortleiter Robbers. Man spürt, dass er daran zweifelt, dass jemand, der sich etwas Galgenförmiges samt Schlinge in den Garten stellt, das nicht als etwas Galgenartiges realisiert. „Uns obliegt keine Bewertung“, kommentiert Hannah Hintze die „Gartengestaltung des Bürgers“, Sprecherin der Standortleiter Niedersachsen. „Ein Bezug zum Ankunftszentrum ist uns nicht bekannt.“
Galgen „ohne ernsthafte Hintergründe“
Es habe „keine Anzeichen für ein strafbares Vergehen“ gegeben“, sagt Jannis Gervelmeyer, Sprecher der Polizeiinspektion Osnabrück. Der Kontaktbereichsbeamte habe mit einer Streetworkerin den Anwohner aufgesucht. Dieser habe glaubhaft versichert, „dass das Holzgestell zuvor als Halterung für eine Außenbeleuchtung gedient habe“. Das Seil sei „ohne ernsthafte Hintergedanken“ aufgestellt worden.
Hängeblumen? Beleuchtungshalterung? Was auch immer stimmt: Kontextlos ist die Installation nicht. In Hesepe führen viele Bürgersteige an Sichtschutzzäunen vorbei, Schilder an Häusern und in Vorgärten warnen vor Hunden, vor Kameras. „DO NOT ENTER!“ steht an einer Pferdeweide.
Der Supermarkt NP hat ein siebensprachiges Schild an der Zufahrt aufgehängt: „Es ist verboten, Einkaufswagen und -körbe vom Gelände zu entfernen!“ Es gibt Mahn-Texte in Persisch, Französisch, Arabisch. „Wir hatten hier Kunden, die haben ihre Einkäufe zur LAB gefahren und die Wagen dann an unserer Bushaltestelle abgestellt, als sei das eine Abholzone“, sagt Robbers. „Die wussten einfach nicht, wie das hierzulande funktioniert.“
Paul Krause, Verein Amal
Insgesamt sei das Verhältnis zwischen der Bevölkerung und den Bewohnern der Unterkunft aber gut. „99 Prozent unserer Kunden halten sich an alle Regeln, sind nett und freundlich“, sagt Robbers. Bei der Ortsbevölkerung sei das genauso.
Verein unterstützt Geflüchtete
Der Verein Amal, der Geflüchtete unterstützt und eine der interkulturellen Begegnungsstätten betreibt, insbesondere für Kinder, bestätigt das. „Natürlich macht das etwas mit den Bewohnern von Hesepe, wenn zu Stoßzeiten viele ortsfremde Menschen im Ort ankommen und die LAB suchen“, sagt Vorstandsmitglied Paul Krause. „Oder wenn an Transfer-Tagen Hunderte mit Kindern und Gepäck auf dem kleinen Bahnsteig stehen.“ Aber der Verein nehme „eine Zunahme des Verständnisses für die Geflüchteten“ wahr.
Der „Galgen“-Erbauer sei Mitgliedern des Vereins persönlich bekannt „und der hegt ganz sicher keine ausländerfeindlichen Gedanken. Das Narrativ, dass die Ausländerfeindlichkeit steigt, sobald mehr Geflüchtete im Land sind, tut „den Menschen im Ort Unrecht“. Es gebe „lösungsorientierte Gesprächsrunden zu strukturellen Alltagsproblemen“. Ein Bewohner, der „auch mal eine Reichskriegsflagge im Garten hängen hatte“, sei fortgezogen.
Auch das Bild, das Robbers zeichnet, hat viele helle Farben. Bewohner der Unterkunft, die im Ort Vereinssport betreiben, auf Stadt- und Schulfeste gehen. Hilfsbereitschaft in der Kassenschlange im Supermarkt. Institutionalisierte Treffen von Be- und Anwohnern. Dass sich die Landesaufnahmebehörde nach der Kritik von 2022 „kritisch betrachtet“ habe, sagt er auch. Es habe Verbesserungen gegeben.
„Antifa liebt Dich“ löst NPD ab
Auf verstärkte Aktivitäten rechter Gruppen lägen keine Hinweise vor, sagt Polizei-Sprecher Gervelmeyer. „Private Installationen, die sich direkt oder indirekt gegen Migranten richten und eine strafrechtliche Relevanz entfalten, sind nicht bekannt oder gemeldet worden.“
Eine solche Zone ist ein Wanderparkplatz unweit der Unterkunft. Immer wieder waren hier Sticker der NPD zu sehen. Heute klebt „Antifa hat dich lieb“ am Mülleimer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite