Geflüchtete in der Pandemie: Laptops gibt’s später

Während des Distanzunterrichts waren geflüchtete Schü­le­r*in­nen auf Laptops angewiesen – diese fehlten oft. Auch die psychische Belastung ist hoch.

DIe zwei Schülerinnen stehen nebeneinander, die linke stützt sich auf die rechte.

Hava Morina (links) und Parnian Amiri arbeiten auf ihr Abitur am Charlotte-Wolff-Kolleg hin Foto: Doro Zinn

Berlin taz | Parnian Amiri sitzt auf einer Parkbank in Charlottenburg-Wilmersdorf und hält ihr Smartphone mit beiden Händen fest. Über den kleinen Bildschirm hat die 23-jährige Schülerin die letzten Monate den Online-Unterricht am Charlotte-Wolff-Kolleg (CWK) verfolgt. Teilweise fiel es ihr schwer, inhaltlich zu folgen, weil sie sich schlecht konzentrieren konnte. „Ich habe dadurch sicher weniger gelernt“, sagt sie.

Amiri ist 2017 gemeinsam mit ihren Eltern aus dem Iran nach Berlin geflüchtet. Hier hat sie ihren mittleren Schulabschluss nachgeholt, nachdem ihr iranisches Abitur nicht anerkannt wurde. Nun ist sie in einem Abitur-Vorbereitungskurs des CWK, um die Reifeprüfung auf dem zweiten Bildungsweg zu erlangen. Das Problem: Ohne Laptop ist das mühsamer, als es sein müsste.

Leihgeräte werden von Schulen für sozial benachteiligte Schüler*innen, die auf Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes angewiesen sind oder kein eigenes digitales Endgerät besitzen, zur Verfügung gestellt. Finanziert werden die Tablets über die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie aus Landes- und Bundesprogrammen. In Berlin wurden bisher über 50.000 Tablets verteilt.

Übers Jobcenter bekommen Schüler*innen, deren Familie oder die selbst Geld von einem Jobcenter gekommen, unter 25 Jahre alt sind und über die Schule kein Gerät für das Homeschooling ausleihen können, im Regelfall 350 Euro. Das Darlehen wird in einen Zuschuss umgewandelt. Für Geflüchtete, deren Asylverfahren noch läuft, ist das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten zuständig. (din)

Seit das CWK Ende November 2020, zu Beginn der dritten Coronawelle, auf Online-Unterricht umstellen musste, hatte Amiri keinen eigenen Laptop – und damit ist sie in ihrer Klasse nicht die Einzige. Von 20 geflüchteten Schü­le­r*in­nen des Vorbereitungskurses sind es momentan acht, die ohne Laptop am Unterricht teilnehmen. Seit Ende der Osterferien kommt die Klasse wieder in Präsenz zusammen, dennoch sei ein Laptop heutzutage unabdingbar, sagt Saniye Kocadag.

Die 47-jährige Sozialarbeiterin des Beratungs- und Betreuungszentrums für junge Geflüchtete und Mi­gran­t*in­nen (BBZ) ist die Ansprechpartnerin für Amiri und ihre Klassenkamerad*innen, die alle aus ihrem Heimatland geflüchtet sind. Kocadag unterstützt die Schü­le­r*in­nen nicht nur seelisch, sondern hilft zusammen mit ihren BBZ-Kol­le­g*in­nen auch beim Ausfüllen jeglicher Anträge. Schon vor dem Distanzunterricht habe das BBZ begonnen, Laptops für die Schü­le­r*in­nen zu beantragen. „Das braucht man einfach, um das Abitur abzulegen“, sagt Kocadag.

Bislang fehlen die Zahlen

Wie viele junge Geflüchtete während des Distanzunterrichts ohne Laptop lernen mussten, lässt sich nur schwer sagen. Zahlen würden dazu nicht erhoben, sagt Lydia Puschnerus, Leiterin des Vorstandsbereichs Schule der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Berlin. Puschnerus unterrichtet an einer Willkommensklasse des Robert-Blum-Gymnasiums in Schöneberg und betont, dass die Probleme beim Distanzunterricht unabhängig vom Fluchthintergrund seien. Dennoch „trifft es Schü­le­r*in­nen mit Migrationshintergrund, die erst kurze Zeit im Schulsystem verbracht haben, schwerer“, sagt sie.

Bereits im September vergangenen Jahres hat Amiri beim Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) einen Laptop beantragt – ohne Erfolg. Im Februar erklärte die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales in einem Rundschreiben dann, dass Schüler*innen, deren Schule keine digitalen Endgeräte zur Verfügung stellt, hierfür ein Darlehen beantragen können, das nicht zurückgezahlt werden muss.

Amiri stellt im März erneut einen Antrag. Wieder wurde dieser nicht angenommen. Die Begründung: Amiri hätte nicht das richtige Formular ausgefüllt, das LAF verwies auf ein überarbeitetes Antragsformular, welches auszufüllen sei. Dieses unterscheide sich aber nicht von dem davor veröffentlichten Vordruck, sagt Kocadag, die den Prozess begleitet hat. Durch den Distanzunterricht hätten die Schü­le­r*in­nen sowieso schon so viele Defizite, da fühle sich die Bürokratie manchmal so an, „als ob Schikane dahinter ist“, sagt Kocadag und meint damit Fälle wie den von Amiri, bei denen Anträge nur schleppend bewilligt werden.

Weil viele vom BBZ betreute Geflüchtete den Distanzunterricht via Smartphone bestreiten mussten, hat das BBZ bereits im September 2020 anwaltlichen Beistand für die Schü­le­r*in­nen organisiert. Am Ende haben jedoch nur 22 der vom BBZ betreuten Schü­le­r*in­nen geklagt, nachdem sie vom örtlich zuständigen Jobcenter keinen Laptop bewilligt bekommen haben.

„Die Mehrheit hat sich nicht getraut. Es ist den Leuten fremd, für ihre Rechte zu kämpfen“, sagt Kocadag. Bisher haben neun Schü­le­r*innen eine Bewilligung erhalten, es gab eine Absage; zwölf Klagen stehen noch aus.

Die Pandemie sorgt für psychische Belastungen

Neben Amiri hatte auch ihre Klassenkameradin Hava Morina keinen Laptop für den Distanzunterricht. Die 21-Jährige ist 2014 mit ihren Eltern aus dem Kosovo nach Berlin gekommen. Heute lebt sie alleine, nachdem ihre Eltern im Mai 2016 ausgewiesen wurden, da das Kosovo nach dem Asylgesetz als sicheres Herkunftsland gilt. Morina entging der Abschiebung nur durch einen Zufall: Sie war nicht zu Hause, als die Polizei ihre Eltern abgeholt hat.

„Die Mehrheit hat sich nicht getraut. Es ist den Leuten fremd, für ihre Rechte zu kämpfen“, sagt Kocadag

Durch die Härtefallregelung bekam sie damals eine Aufenthaltserlaubnis, die zuletzt aufgrund ihres Schulbesuchs bis 2024 verlängert wurde. Im Gegensatz zu Amiri lief der Prozess bei Morina reibungslos ab: Sie hat im April ihren Antrag gestellt und rund zwei Wochen später 311 Euro vom Jobcenter für ein digitales Endgerät überwiesen bekommen.

Was Morina während der Pandemie jedoch eher belaste, sei die Einsamkeit, sagt sie. Anfangs hat die Schülerin versucht, dem mit Onlineangeboten entgegenzuwirken. Von Yoga über Fitness habe sie alles ausprobiert. Das ersetzt aber nicht ihre Freund*innen, mit denen sie sich vor der Krise täglich abends getroffen hat. Gerade in den letzten Wochen habe sie in ihrer Wohnung, alleine, ohne Familie, viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Als sie dann vor einigen Wochen auch noch Corona bekam und einen Monat zu Hause bleiben musste, wurden ihre Gedanken sehr negativ. „Macht das Leben noch einen Sinn?“, habe sie sich gefragt.

Die Sozialarbeiterin steht in der Mitte der zwei Schülerinnen

Die Sozialarbeiterin Saniye Kocadag (Mitte) unterstützt die Schülerinnen Foto: Doro Zinn

Vor der Pandemie hätten sich die Schü­le­r*in­nen nicht so depressiv geäußert, sagt Kocadag, „das hat sich durch Corona verschlimmert“. Das zeigen auch die Ergebnisse einer Online-Umfrage des Bundesfachverbands unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e. V.: Gerade junge Menschen würden durch die Coronakrise unter einer psychischen Instabilität leiden. Für die Studie haben 1.026 Fachkräfte Auskunft über die Situation von unbegleiteten Minderjährigen und jungen Erwachsenen sowie von Kindern und Jugendlichen in Familienbegleitung gegeben.

Für Berlin wurden keine Zahlen erhoben, erklärt Johanna Karpenstein, die Projektleiterin. Das sei bisher noch eine „empirische Lücke“. Dennoch unterstreicht die Studie, dass die psychische Gesundheit nach Aussage der Fachkräfte während der Corona-Beschränkungen negativ beeinflusst wurde, weil psychisch stabilisierende Freizeitangebote nicht stattfinden konnten. Das hat sich auch am BBZ in Berlin bemerkbar gemacht.

Darlehnen reicht nicht für Laptop-Zubehör

Um die Schü­le­r*in­nen als Gruppe zu vernetzen, wurden durch das BBZ alternative Online-Treffen angeboten. „Damit haben wir bei Weitem aber nicht alle Schüler erreicht“, sagt Kocadag. Wie beim Distanzunterricht seien auch bei den Freizeitaktivitäten technische Probleme aufgetreten, sodass nicht alle teilnehmen konnten. Neben fehlenden digitalen Endgeräten könnten sich viele Geflüchtete kein WLAN leisten und mit mobilen Daten funktionieren die Videokonferenzen nur schlecht.

Laut dem LAF seien bis Ende April dieses Jahres 1.326 Anträge auf digitale Endgeräte bearbeitet worden. „Rund 90 Prozent der Anträge wurden bewilligt“, so Monika Hebbinghaus, Pressereferentin des LAF. Ablehnungen resultierten aus fehlender Zuständigkeit, bereits durch die Schule zur Verfügung gestellten Leihgeräten oder nicht anerkannten Bildungsgängen.

In der Zwischenzeit wurde auch Amiris Laptop-Antrag vom LAF bewilligt. Sie erhält rund sieben Monate nachdem sie ihren Erstantrag gestellt hat, ein Darlehen von 250 Euro. „Da bleibt kein Geld für die Software oder eine Maus“, sagt Kocadag. Für die Sozialarbeiterin ist deshalb klar, dass sie gemeinsam mit Amiri Widerspruch einlegen wird. Zum einen, weil die anderen Schü­le­r*in­nen im Schnitt rund 100 Euro mehr bekommen hätten, und zum anderen, weil Laptops auch für den Präsenzunterricht notwendig seien.

Schließlich, so ist zumindest zu hoffen, wird die Digita­li­sie­rungs­of­fen­sive unter Corona in den Schulen nicht einfach zurückgedreht, sobald das ersehnte Pandemieende näherrückt.

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