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Geflüchtete in CalaisExtrem angespannte Situation

In der französischen Hafenstadt Calais sind bei Auseinandersetzungen mehrere Geflüchtete schwer verletzt worden.

Langer, kalter Winter: Die Lebensbedingungen für die Geflüchteten in Calais sind hart Foto: dpa

Calais/Berlin afp/dpa/taz | Bei Auseinandersetzungen zwischen Geflüchteten in der französischen Stadt Calais sind mehrere Menschen schwer verletzt worden. Fünf Geflüchtete hätten lebensbedrohliche Schusswunden erlitten, 18 weitere seien durch Schläge mit Eisenstangen verletzt worden, teilte die Staatsanwaltschaft am Donnerstagabend mit.

Frankreichs Innenminister Gérard Collomb begab sich am Donnerstagabend nach Calais, um mit den Behörden über die angespannte Lage zu beraten. Collomb beklagte ein „nie gekanntes Ausmaß“ der Gewalt. Die Situation für die Einwohner der Hafenstadt am Ärmelkanal sei „unerträglich“, sagte Collomb in der Nacht zum Freitag vor Journalisten. „Wir können nicht das Recht des Stärkeren in unserem Land herrschen lassen.“

Zu den ersten gewaltsamen Zusammenstößen kam es nach Polizeiangaben am Donnerstagnachmittag. Rund hundert Geflüchtete aus Eritrea und rund dreißig Afghanen gingen bei der Essensausgabe aufeinander los, nachdem ein Afghane Schüsse abgefeuert hatte.

Eine zweite Schlägerei habe es kurze Zeit später fünf Kilometer weit entfernt auf einem Industriegelände gegeben. Dort hätten mehr als hundert Eritreer eine Gruppe von zwanzig Afghanen mit Eisenstangen und Stöcken angegriffen. Die Polizei musste nach eigenen Angaben dazwischengehen, um die Afghanen zu schützen.

Vier schwerverletzte Eritreer zwischen 16 und 18 Jahren wurden in Krankenhäuser von Calais eingeliefert, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte. Der fünfte Schwerverletzte wurde wegen seines sehr schlechten Zustands in ein Krankenhaus ins benachbarte Lille gebracht.

Schleuser wollen den Ort kontrollieren

„All das ist ein Resultat der extrem angespannten Situation, die durch Aktionen der Schleuser und den Druck der Polizei entsteht“, sagte François Guennoc von der Hilfsorganisation „Auberge des Migrants“ gegenüber dem Sender Europe 1. „Sie ist das Ergebnis eines langen Winters mit schwierigen Wettervoraussetzungen, die die Menschen sehr stressen.“ Guennoc verwies außerdem im Sender BFMTV darauf, dass afghanische Schleuser in Calais versuchen, für die Geflüchtete wichtige Orte zu kontrollieren.

Zuletzt hatten in Calais im vergangenen November Geflüchtete aufeinander geschossen, bei einem Streit unter Afghanen gab es damals fünf Verletzte. Anfang Juli 2017 waren 16 Menschen bei Zusammenstößen verletzt worden, im Juni 2016 erlitten 40 Menschen bei Schlägereien Verletzungen.

In Calais halten sich nach Schätzung von Hilfsorganisationen derzeit rund 800 Geflüchtete auf, die örtlichen Behörden sprechen von bis zu 600 Flüchtlingen. Sie versuchen, versteckt auf Lastwagen auf dem Seeweg oder durch den Eurotunnel nach Großbritannien zu gelangen. Sie leben unter elenden Bedingungen, weshalb es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen unterschiedlichen Nationalitäten kommt.

In einem „wilden“ Flüchtlingslager, das 2016 von der Polizei abgerissen wurde, hatten zeitweise bis zu 10.000 Geflüchtete in Calais gehaust. Das als „Dschungel“ bekannte Lager war in Frankreich zum Symbol für die Hilflosigkeit der Behörden im Umgang mit der steigenden Zahl von Geflüchteten geworden.

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9 Kommentare

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  • Ich verstehe trotz aller Kritik an Frankreich und Macron nicht, dass es am Winter und Wetter und an der Situation liegt, dass sich die Leute dort gegenseitig niederknüppeln und sogar beschießen. Da muss auch bei einigen Migranten selbst manches im Argen liegen.

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Ah Macrons Flüchtlingspolitik zeigt erste Erfolge.

    • @82236 (Profil gelöscht):

      Sie wissen, dass das Quatsch ist. Die stehen da, weil die Franzosen damals dem "postes de contrôle juxtaposés" zugestimmt haben und das war Mitterrand '91.

       

      Die Leute wollen nicht nach Frankreich, Frankreich hat sich nur von den Briten als billiger Türsteher verpflichten lassen.

      • @Sven Günther:

        Warum denn kompliziert, wenns auch ganz einfach zu sagen ist: Danke für Ihren Kommentar.

        Die ersten 200 Flüchtlinge in Calais kamen aus dem Kosovo.

        Na und über Mitterand will ich mir hier jeden Kommentar ersparen.

        Wie nannte man ihn damals in den 30ern in Nordafrika ?! Rhetorik aus.

      • 8G
        82236 (Profil gelöscht)
        @Sven Günther:

        Frankreich ist aber für diese Menschen verantwortlich, solange sie auf französischen Boden sind und das neue Migrationsgesetz von Gérard Collomb wurde ja schon heftig von einschlägigen Menschenrechtsorganistionen kritisiert. Ziel von Macrons Migrationspolitik ist es Frankreich so unwirtlich wie möglich für Migranten zu machen, deshalb gibt es auch nicht genug menschenwürdige Unterkünfte, obwohl Frankreich wesentlich weniger Flüchtlinge aufgenommen hat und aufnimmt als Deutschland trotz der markigen Sprüche Jupiters.

        • @82236 (Profil gelöscht):

          Das ist aber eine andere Baustelle. Die die in Calais oder Ouistreham sind, wollen nicht in Frankreich bleiben. Sie wollen nicht in die Unterkünfte, egal wie die Aussehen.

           

          Ich war letztes Jahr bei Freunden in Chalon-sur-Saône, da kam einer dieser Busse aus Calais. Die Leute haben sich geweigert auszusteigen, irgendwann mussten die Leute raus, weil es nur draußen Essen und Trinken gab. Der Bus fuhr weg, die Flics auch. Nach 2 Tagen waren von 42 Leuten noch 4 da.

  • Seit über 20 Jahren herrschen im Dschungel von Calais grausame Lebensbedingungen. Die Sozialisten vor Macron bekamen leider nichts geregelt.

    Calais ist zum Teil ein Spiegelbild französischer Kolonialpolitik seit 100 Jahren.

    • @Pink:

      Und was spiegelt sich da?

       

      Die Erkenntnis, nicht für andere die Drecksarbeit zu übernehmen.

      • @Sven Günther:

        Ja.