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Geflüchtete an EU-AußengrenzeEU unterstützt Grausamkeit

Die EU-Innenminister stellen sich hinter Griechenlands Gewalt gegen Schutzsuchende. Europa soll weiter abgeriegelt werden.

Italiens Innenministerin Luciana Lamorgese und die EU-Kollegen unterstützen den harten Kurs Foto: Olivier Matthys/ap

Brüssel taz | Keine Hilfe für die Flüchtlinge vor der griechisch-türkischen Grenze, keine Umverteilung von Kindern und Jugendlichen aus Flüchtlingslagern in der Ägäis: Die EU-Innenminister haben bei einem Krisentreffen in Brüssel den harten Kurs der letzten Tage bekräftigt. Zugleich haben sie die Türkei davon gewarnt, „Migrationsdruck“ zu erzeugen und „für politische Zwecke“ einzusetzen. Am Donnerstag kommen EU-Verteidigungs- und Außenminister in Zagreb zusammen.

Die Türkei hatte am Wochenende behauptet, die EU-Außengrenzen seien offen und tausende Flüchtlinge in eigens bereit gestellten Bussen in Richtung Griechenland gekarrt. Die Regierung in Athen reagiert darauf mit äußerster Härte; am Mittwoch sollen Beamte an der Grenze sogar Schusswaffen eingesetzt worden sein. Zudem wurde das Asylrecht für einen Monat ausgesetzt.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und seine Amtskollegen unterstützen diesen Kurs, den man bisher allenfalls aus Ungarn kannte. „Illegale Grenzübertritte werden nicht toleriert“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung vom Mittwoch. „Dazu werden die EU und ihre Mitgliedstaaten in Übereinstimmung mit europäischem und internationalem Recht alle nötigen Maßnahmen ergreifen.“

Die Berufung auf das Recht ist pikant, denn nach Ansicht von Kritikern stellt das griechische Vorgehen einen eklatanten Rechtsbruch dar. Durch die Abriegelung der Grenze zur Türkei wird der Zugang zu Asyl verweigert; zudem kommt es zu „Push-backs“, also Zurückschiebungen. Sogar die EU-Kommission hat Zweifel. „Das kann niemand sicher sagen“, antwortete EU-Innenkommissarin Ylva Johansson auf die Frage, ob Athen rechtmäßig vorgehe.

Seehofer stellte Athen dagegen eine Art Persilschein aus. Das griechische Vorgehen sei in Ordnung, schließlich handele es sich um eine Notlage, sagte er. Erst wenn an der Grenze Ruhe eingekehrt sei, könne man auch über eine mögliche Umverteilung von Flüchtlingen etwa aus den Lagern auf den griechischen Inseln sprechen.

Hilfsbereitschaft in Frankreich und Luxemburg

Wesentlich offener zeigte sich Luxemburgs Innenminister Jean Asselborn. Jedes EU-Land solle pro halber Million Einwohner je zehn unbegleitete Minderjährige “aus diesem Loch herausholen“, schlug er vor. Luxemburg sei dazu bereit. Auch Frankreich und Finnland signalisierten Hilfsbereitschaft.

Die finnische Ministerin Maria Ohisalo bekräftigte am Mittwoch, Helsinki habe bereits die Aufnahme von 175 Menschen zugesagt. Der französische Minister Christophe Castaner sagte, Frankreich habe schon vor einigen Wochen die unverzügliche Aufnahme von 400 Migranten aus Griechenland zugesichert.

Die EU-Kommission will Ende März einen Vorschlag zur Flüchtlingspolitik vorlegen, der auch die Frage der Umverteilung regeln soll. Nach der Migrationskrise 2015 hatte die EU beschlossen, sich zunächst auf den „Schutz der Außengrenzen“ zu konzentrieren. Dies war eine Konzession an die Hardliner in Ungarn und Polen, die eine Umverteilung nach Quoten vehement ablehnten.

Nun wird Europa weiter abgeriegelt. Doch die Diskussion über eine solidarische Lastenteilung und eine humanitäre Umverteilung von Flüchtlingen zwischen den EU-Ländern kommt immer noch richtig nicht voran.

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9 Kommentare

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  • Im Gegensatz zu 2015, als trotz erkennbarer Vorzeichen die europäischen Länder von einer "Flüchtlingswelle" "überrascht" wurden (haha!), haben wir es jetzt offenbar mit einem fiesen Machtpoker zwischen EU und Türkei, Griechenland und Türkei, Türkei und Syrien usw. zu tun. Wer kann beurteilen, welcher der Akteure der wahre End-Schurke ist? Alle haben Dreck am Stecken.



    WIR halten uns immer raus, wenn wir außenpolitisch mal Kante zeigen sollten und aktiver Einfluss auf die Befriedung von Konflikten nehmen müssten - und sei es durch schmerzhafte wirtschaftliche Sanktionen (Gruß an die KMW-Group!) oder durch die Öffnung unserer Märkte für Importe aus afrikanischen Staaten (Gruß an die europäische Landwirtschafts-Lobby!). Die wahren Grausamkeiten, die Teil des Problems sind, können wir auch jeden Tag bei Primark, KIK, H&M, an unseren Smartphones, Tablets und nicht zuletzt an unseren globalen Reisewünschen mit integriertem neokolonialen Lifestyle-Export finden.

  • Sind wir Demokratie?



    Sollte sich die Regierung nach der Mehrheit richten?

    Soviel lässt sich wohl sagen: Eine breite, entschiedene Mehrheit der Bürger und Wähler in den europäischen Staaten will, dass die Außengrenze der EU zur Türkei dicht bleibt und dicht gehalten wird. Und sei es mit Gewalt.

    Da können Sie und ich jetzt anderer Meinung sein und fordern, eine Million und mehr Flüchtlinge reinzulassen. Wir könnten sie ja nun tatsächlich ohne größere wirtschaftliche Probleme aufnehmen.

    So ist es. Es ist aber offensichtlich eine Minderheitsposition, eine ziemlich schmale überdies. Ich schätze mal, wir sind kaum mehr als 20%.

    Als Demokrat lege ich wert darauf, dass der klare Mehrheitswille sich durchsetzt und nicht mein Minderheitswille. Die Demokratie ist mir wichtig genug.

    Ich erwarte also von Berlin & Brüssel eine harte Abriegelungspolitik.

    Apropos: Griechenland soll nicht das Recht haben, eine vom Nachbarland organisierte Invasion zurückzuweisen? Sollen sich die Griechen, sollen sich die Bürger der EU flüchtlingspolitisch entmündigen lassen? - Ohne eine gewisse Akzeptanz funktioniert der Rechtsstaat nicht. Wollen wir diese Akzeptanz unterminieren?

    Dass unsere Grenzen nach wie vor relativ offen und wir akzeptiertermaßen Einwanderungsländer sind, verdanken wir übrigens den Interessen und der Macht der Wirtschaft. Wir - die linken und moralischen Kosmopoliten - hätten nicht die Macht dazu.

    • @Leo Brux:

      Nein, wir sind sicher mehr als 20%!



      Kommt halt immer darauf an, wie man die Frage stellt.



      Eine souveräne demokratische Entscheidung kann nur auf der Grundlage von vollständiger und korrekter Information erfolgen.



      Das fängt schon mit so menschenverachtenden Begriffen wie "organisierte Invasion" an, geht mit "flüchtlingspolitisch entmündigen" weiter und hört bei dem menschenverachtenden und sinnbefreiten Geschwafel vom angeblichen "Pull-Effekt" noch lange nicht auf.



      Denjenigen, die bei vollständiger Information und Vernunft, dann immer noch "Schießen" antworten, will ich mich nicht beugen, egal wie viele es sind.



      Mit Demokratie hätte das dann im Übrigen auch nichts zu tun. Denn Demokratie heißt nicht: Es geschehe, was die Mehrheit will.

      • @Life is Life:

        Eher weniger als 20%.



        Wie soll man die Frage denn stellen?

        "Organisierte Invasion": Wie würden SIE Erdogans Erpressungsmanöver denn nennen?

        "flüchtlingspolitisch entmündigen" - genau das wollen Sie: Es soll NICHT geschehen, was die Mehrheit will. - Warum nicht? Weil Sie keinen Respekt vor dem Mehrheitswillen haben. Linke Diktatur spielen wollen.

        "Pull-Effekt": Wieso wäre dieser Ausdruck, wenn ich ihn verwendet hätte, "menschenverachtend" und "sinnbefreites Geschwafel"? Ist eine sachliche Diskussion darüber Ihrer Meinung nach nicht möglich?

        Ich denke, wir (die 20% oder so, die für eine großzügige Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien sind) täten gut daran, die Menschen, unter denen wir leben, so zu nehmen, wie sie sind. Und sie so zu respektieren. Und zu akzeptieren, dass sich Mehrheiten nun mal in einer Demokratie durchsetzen - auch durchsetzen sollen.

        Life is life!



        Mensch ist Mensch.



        Bürger ist Bürger.



        Wähler ist Wähler ...

  • Wenn andere für uns schießen, also genau das machen, wofür Frau v. Storch zu Recht kritisiert wurde, ist das in Ordnung und wirkt sogar ausdrücklich nicht nur von Frau v.d.L. in höchsten Tönen gelobt. Kaum auszuhalten dieses Pharisäertum.

    • @Rolf B.:

      Sollheißen: ... und WIRD sogar .....

  • Niemand hindert Herrn Asselborn daran, allein vorzupreschen und unilateral Flüchtlinge aufzunehmen.

  • In der Diskussion werden einige Dinge miteinander vermischt. Die Umverteilung gerade der Minderjährigen Flüchtlinge, die bereits in Lagern sind, sollte jetzt endlich durchgeführt werden - und dazu werden sich auch genug Länder finden.

    Was anderes ist die Abschottung an der griechischen/bulgarischen/ungarischen Grenze. Da gibt es inzwischen sowohl bei den Regierungen als auch (behaupte ich) in der Bevölkerung Europas eine Mehrheit, die FÜR Abriegelung und weniger neue Flüchtlinge in Europa ist.

    • @gyakusou:

      Die Mehrheiten für eine Abriegelungspolitik sind inzwischen beträchtlich.

      Es bleibt den Regierungen kaum etwas anderes übrig als den glaubwürdigen Versuch zu machen, ein neues "2015" zu verhindern.

      Obwohl man ja doch sagen muss, dass wir die Flüchtlingseinwanderung dieses Jahres tatsächlich gut "geschafft haben" - wie Merkel es vorhergesehen hat.

      Aber 2015 ist nicht 2020.

      Die Regierungen in den Hauptstädten Europas werden nicht politischen Selbstmord begehen.