piwik no script img

Gefährliches Geflügel im SupermarktBakterienschleuder Hühnerbrust

Gefährliche Keime im Frischfleisch töten jährlich 25.000 Menschen in der EU. Schuld ist laut Umweltexperten auch der massenhafte Einsatz von Antibiotika in der Landwirtschaft.

Kollateralschaden nicht ausgeschlossen: konventionelle Masthaltung. Bild: dpa

BERLIN taz | Hähnchenfleisch ist oft mit gefährlichen Keimen belastet, die unempfindlich gegen Antibiotika sind. In 11 von 20 Proben aus Geschäften in Berlin, Hamburg, Köln, Nürnberg und in der Region Stuttgart habe ein Labor solche Bakterien gefunden, teilte der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) am Montag in Berlin mit.

Betroffen war Frischfleisch der Produktionsfirmen Wiesenhof, Stolle und Sprehe. Gekauft wurden die Proben bei den Supermarktketten Edeka, Netto, Lidl, Penny und Rewe. Die Zahl der Keime in den Produkten sei erheblich.

Die Bakterien sind besonders gefährlich, weil sie sich nicht mit Antibiotika bekämpfen lassen. Dadurch können Infektionen dem Bundesinstitut für Risikobewertung zufolge länger dauern oder schwerer verlaufen. Das führt laut Weltgesundheitsorganisation in der EU jährlich zu 25.000 Todesfällen.

Schutz vor Keimen

Hygiene: Keime - egal ob antibiotikaresistent oder nicht - lassen sich durch Kochen abtöten. Rohes Fleisch sollte laut Bundesinstitut für Risikobewertung mindestens zwei Minuten auf 70 Grad Celsius erhitzt werden. Unbedingt darauf achten, Keime nicht durch die Hände oder Gegenstände wie Messer oder Bretter auf andere Lebensmittel zu übertragen!

Bio- oder Neulandprodukte: Bislang ist nicht untersucht, ob biologisch oder nach dem besonders tierfreundlichem Neulandstandard produziertes Fleisch weniger antibiotikaresistente Keime enthält. Sowohl Bio- als auch Neulandbauern dürfen Antibiotika einsetzen. Allerdings ist das Risiko, dass sich Resistenzen entwickeln, laut Umweltorganisation BUND auf solchen Höfen tendenziell niedriger. Biolandwirte etwa dürften nur halb so viele Tiere je Quadratmeter halten wie konventionelle. Deshalb können sich Keime dort nicht so schnell ausbreiten. (jma)

Zwar sterben die Keime im Fleisch in der Regel, wenn es bei der Zubereitung ausreichend erhitzt wird. "Aber die Küchenhygiene ist oft mangelhaft", sagte BUND-Wissenschaftlerin Kathrin Birkel. Werden etwa Hände nach Kontakt mit kontaminierten Fleisch nicht richtig gewaschen, so können Keime auf nicht zu kochende Lebensmittel wie Salatgurken übertragen werden. Reinhild Benning, Agrarexpertin der Umweltorganisation, sagt deshalb: "Die Hähnchenmast produziert Risiken, die bei den Verbrauchern landen."

Tatsächlich machen die meisten Experten auch die Tierhaltung dafür verantwortlich, dass immer mehr Erreger unempfindlich gegen Medikamente werden. Denn die Landwirtschaft wendet Antibiotika massenhaft an, so dass dort das Risiko von Mutationen hoch ist - und damit der Entwicklung von Resistenzen. Eine Studie des Landes Nordrhein-Westfalen hat kürzlich ergeben, dass 96 Prozent der Masthühnchen aus den untersuchten Beständen Medikamente erhielten. Diese Größenordnung wurde von einer Untersuchung der niedersächsischen Behörden bestätigt. Demnach setzen auch 77 Prozent der Mastschweinbetriebe und alle Mastkalbbetriebe Antibiotika ein.

"Kollateralschäden der Landwirtschaft"

Vor allem große Betriebe benutzen laut NRW die Medikamente. Dort leben immer mehr Tiere auf engem Raum zusammen. Das erhöht den Keimdruck. Denn ein infiziertes Tier kann in Massentierhaltungsanlagen mehr Artgenossen anstecken als in kleineren Ställen. Für den BUND sind die antibiotikaresistenten Keime auf Lebensmitteln deshalb ein "deutliches Warnsignal vor den Kollateralschäden der industriellen Landwirtschaft." Nur mit Hilfe der Medikamente sei es möglich, "immer mehr Nutztiere auf zu wenig Platz zu halten".

Der BUND fordert deshalb, die Subventionen für die industrielle Fleischerzeugung abzuschaffen. Agrarministerin Ilse Aigner (CSU) müsse mehr Platz für die Tiere im Stall vorschreiben. Außerdem sei ein verbindlicher Plan nötig, den Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung bis 2015 zu halbieren. Antibiotika, die für die Behandlung von Menschen wichtig sind, sollten Tieren gar nicht mehr gegeben werden.

Aigner ließ erklären, sie wolle den Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung einschränken. Noch diese Woche werde den Ländern und Verbänden ein Gesetzentwurf vorgelegt. Damit will sie ihr Versprechen einlösen, den Kontrollbehörden der Länder Daten über den Antibiotikaverbrauch in der Geflügelhaltung zu geben.

Ministeriumssprecher Holger Eichele teilte mit, der Stichprobe des BUND sei angesichts von zehntausenden Supermärkten und Landwirtschaftsbetrieben in Deutschland "von Expertenseite kaum Aussagekraft beizumessen". Allerdings haben auch größer angelegte Untersuchungen von Bundes- und Länderbehörden Kontaminationsraten von Fleisch sowie Tieren im zweistelligen Prozentbereich gezeigt.

Wiesenhof antwortete auf die Vorwürfe, dass Geflügelfleisch unbedenklich sei - wenn die Küchenhygiene eingehalten werde. Zudem gehe der Verbrauch von Antibiotika in Wiesenhof-Betrieben seit Jahren zurück. Auch Lidl wies darauf hin, dass die "Ware frei verkehrsfähig ist und keine Gesundheitsgefahr für den Verbraucher besteht."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • A
    alcibiades

    Es wäre schon viel gewonnen, wenn die notorische Zutat "Hähnchenbruststreifen" mal vom Speiseplan verschwände.

  • H
    Hühnerschnecke

    Yassa Poulet

    Coq au Vin

    Thai-Hühnchen mit Ingwer

    oder auch 'nen klassischen Broiler

     

    Hauptsache man fährt nicht mit dem Auto zum Einkaufen.

  • A
    amigo

    Die Aussage des Ministeriumssprechers Eichele, die BUND-Untersuchungen wären nicht systemrelevant, ist zunächst mal eine unverantwortliche Einzelmeinung aus dem Munde eines subalternen, fachlich ahnungslosen Politkarrieristen.

    Es ist auch schon ein interessanter Zwiespalt zwischen seinem misslungenen verbalen Abwertungsversuch und dem alarmistischen Rumgehühner seiner dienstvorgesetzten Ministerin, die mit einem wertlosen Schubladenpapier wedelt. Was ist denn jetzt eigentlich, Frau Aigner, Alarm oder Business as usual ? Beides vielleicht, denn geschehen wird genau nichts. Denn dafür sind sie ja da, die Stallwächter der Tierpharmaindustrie im CSU-dominierten Verbraucherschutzministerium.

    Abfedern, kleinreden, mit Scheinalternativen jonglieren. Mehr muss man da nicht können.

    Auch wenn der Rest der Welt schon das Knochenkotzen kriegt von der Verseuchung der "Lebensmittel".

     

    Anders wäre es natürlich, wenn herauskäme, dass der bayrische GottVaterFührer Franz Josef Strauß oder irgendein anderer prominenter CSU-Altnazi an MRSA-Keimen gestorben wäre. Da wäre ja die Systemrelevanz schon mit Händen zu greifen, sogar für CSU-Ministeriale.

  • V
    vic

    Billigfleisch in solchen Mengen zu produzieren, ist eben ohne massiven Pharmazeutikaeinsatz, und entsprechenden Umgang mit lebenden wie toten Tieren nicht möglich.

    Menschen töten Tiere, und das ist Darwins Revanche.

    Stop Eating Animals- or eat shit.

  • B
    Bitbändiger

    Wenn ich die bisherigen Äußerungen aus Politik (Regierungslager) und insbesondere Agrarlobby, was durchaus dasselbe sein kann, richtig interpretiere, ist der Antibiotika-Einsatz in der Geflügelwirtschaft streng reglementiert und wird schon im Eigeninteresse der Betriebe auf das unabweisbar notwendige Maß beschränkt (Zitate aus dem Gedächtnis, deshalb ohne Gänsefüßchen).

     

    Will Frau Aigner dem staunenden Stimmvieh dann bitte erklären, wie die angekündigte gesetzliche "Einschränkung", mit der ja dann wohl das jetzt schon gegebene "unabweisbar notwendige Maß" unterschritten würde, aussehen soll?

     

    WILL oder KANN die Dame nicht begreifen, dass eine Massentierhaltung mit -zigtausenden Exemplaren (fast hätte ich gesagt: "Individuen", aber es handelt sich ja um "Sachen") auf möglichst sparsamstem Raum gar nicht anders funktionieren KANN?

  • CJ
    chicken joe

    Frau Aigner scheint ja gar nicht mehr hinterher zu kommen. Ganz bestimmt gibt es nächste Woche einen Gesetzesentwurf, nachdem Antibiotika in der Landwirtschaft nur so ca. 30 oder mehr Jahre missbraucht werden. Wenn ich als kleiner Selbständiger das Finanzamt zu sehr reize, können sie mich aus dem Verkehr ziehen. Für Wiesenhof (siehe u.a. taz-Berichte vom September) scheint das nicht zu gelten. Kann man da nicht mal festlegen "die Wiesenhof betreibenden Leute haben nicht die moralische Integrität, lassen die notwendige Sorgfalt walten und sind generell einfach viel zu grosse nur auf Gewinn ausgerichtete $%&§%$%$§, um sie weiterhin Lebensmittel produzieren und sie mit lebenden Kreaturen umgehen zu lassen"? Das ist scheinbar zu viel verlangt. Aber einen Gesetzentwurf, den kann man ja mal machen. Der wird eh EU-Recht widersprechen bzw. wird rechtzeitig verwässert, ergo fressen die Leute weiter jeden Dreck und Millionen (!) von Hühnern müssen für die Nachlässigkeit der Zuständigen büssen. Leute, Hühnerfleischboykott (ausser evtl. vom lokalen Ökobauern Eures Vertrauens) ist schwer angesagt. Auch keinen Salat mit Hühnerbruststreifen mehr. Das ist eine Sch....diät.

  • T
    Tobi

    Wer noch mit der Verantwortung leben kann so eine dreckige Quälerei zu essen, sollte auch die Konsequenz ertragen können vielleicht daran zu sterben.

  • Y
    yepp

    Das ursaechliche Problem ist die Massentierhaltung, keine Frage.

     

    Das zweite Problem ist jedoch das Bundesministerium fuer Verbraucherschutz: Ein ganzes Ministerium, das ausschliesslich zu just dem Zweck besteht, wonach es auch benamt wurde, macht gerade das Gegenteil: Mauern und Wegschauen. Diesem Augiasstall ist mit Antibiotika alleine nicht beizukommen.

     

    Alle entlassen und das Ganze frisch aufbauen, wider dem Lobbytum, das waere hier die einzig angebrachte Aufgabe - eine Herkulesaufgabe wahrlich.

  • S
    Stefan

    Hünerzubereitung nur noch im Hochsicherheitslabor!

  • S
    schreiber

    ich hoffe es ist mir gestattet Hagen Rether - Die Wahrheit über Fleisch

    http://www.youtube.com/watch?v=sHNY1Xt-Y-o

    zu verlinken :O)

  • V
    vic

    Ich bin sicher, Fleischesser wissen das. Oder ahnen es zumindest- und es ist ihnen egal.

    Schade um die Tiere.