Gebühren für die Unterkunft: Wucherpreise für Geflüchtete

Für einen Schlafplatz verlangt die Stadt Hemmingen 930 Euro. Dahinter steckt ein Problem, auf das der Flüchtlingsrat schon lange aufmerksam macht.

Schuhe von Kindern und Erwachsenen stehen vor einer abgenutzten Zimmertür.

Selbst für karge Unterkünfte werden horrende Gebühren verlangt Foto: Ralf Hirschberger/dpa

HANNOVER taz | Das Zimmer hat weniger als zwanzig Quadratmeter und ist nur mit dem Nötigsten ausgestattet. Zwei Betten stehen darin. Für jedes einzelne davon verlangt die Stadt 930 Euro. Umgerechnet auf den Quadratmeter wären das stolze 93 Euro. Und nein, die Rede ist nicht von einem WG-Zimmer in London. Sondern von einer Gewerbeimmobilie im niedersächsischen Hemmingen-Westerfeld, für die es eine Sondergenehmigung brauchte, um dort überhaupt Menschen unterbringen zu dürfen.

„Die Familien mit Kindern und Frauen, die gesondert im dritten Stock untergebracht sind, müssen zum Duschen in den Keller“, erzählt Muzaffer Öztürkyilmaz vom Flüchtlingsrat Niedersachsen.

Dem ist jetzt der Kragen geplatzt, weil die Stadt Hemmingen nun gerade wieder Mahnbescheide verschickt hat. Auf mehr als 3.800 Eurobelief sich einer. Das sei ein Versehen gewesen, ruderte die Stadt sofort zurück. Corona, die Überlastung, abgezogenes Fachpersonal.

Am Grundproblem ändert sich dadurch allerdings wenig: Schon im vergangenen Jahr hatte die Stadt in einem anderen Fall einmal auf ausstehende Gebühren verzichtet – weil der Betreffende klagte und man wohl ahnte, dass es schwierig werden könnte, mit dieser Gebührenhöhe beim Gericht durchzukommen. Eine Überarbeitung der Gebührenordnung hatte die Stadt schon Ende 2019 versprochen. Passiert ist immer noch nichts.

Die Kommunen versuchen, die Baukosten wieder reinzuholen

Das Grundproblem: Die Kommunen versuchen die Kosten für die Flüchtlingsunterkünfte wieder reinzuholen. Vom Kommunalabgabengesetz sind sie angehalten, die Kosten nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zu ermitteln und die Benutzungsgebühren entsprechend zu kalkulieren. Das gilt für Unterkünfte für Geflüchtete wie für Obdachlose gleichermaßen.

Allerdings: Weil nach 2015 viele Kommunen in Not waren, rasch Unterbringungsplätze aus dem Boden zu stampfen, wurde oft sehr teuer gebaut, gekauft und gemietet. Jetzt versuchten die Städte, diese Investitionen auch noch kurzfristiger abzuschreiben als gewöhnlich, kritisiert der Flüchtlingsrat. Sie strecken die Kosten auf nur zehn statt wie sonst dreißig Jahre.

Das ist im Grunde auch der Versuch, sich die Kosten vom Bund zurückzuholen. Denn in den allermeisten Fällen zahlen ja zunächst einmal die Sozialbehörden, in der Regel das Jobcenter, für die Unterkünfte.

Und bei Gebühren, die im Rahmen einer staatlichen Zuweisung entstehen (also weil der Bund die Geflüchteten auf die Kommunen verteilt), tun sie das auch noch viel großzügiger, als sie es bei privaten Mietverhältnissen je tun würden.

Arbeiten rechnet sich plötzlich nicht mehr

Zum Problem wird das aber, wenn die betreffenden Geflüchteten anfangen zu arbeiten und über ein eigenes Einkommen verfügen – dann müssen sie die horrenden Gebühren plötzlich selbst berappen.

Und weil es meist dauert, bis die Aufnahme des Beschäftigungsverhältnisses registriert und die Gebührenbescheide erstellt wurden, läppert sich das schnell auf Summen, die den – meist zum Mindestlohn beschäftigten – Geflüchteten irrwitzig erscheinen müssen. Und letztlich dazu führen, dass es sich für sie eigentlich nicht rechnet zu arbeiten.

Der Flüchtlingsrat hält das auch deshalb für „sittenwidrig“, weil die meisten der Betroffenen ja kaum eine Wahl haben: Teilweise dürfen sie nicht wegziehen, und selbst wenn sie dürften und wollten, haben sie auf dem freien Wohnungsmarkt kaum eine Chance.

Nun gibt es durchaus Städte, die von strikt kostendeckenden Gebühren absehen – entweder weil sie die Kosten anders kalkulieren, eine soziale Staffelung in ihre Gebührensatzungen einbauen oder bei bestimmten Gruppen ganz auf Zahlungen verzichten. Das ist in der Abgabenordnung auch ausdrücklich als Möglichkeit vorgesehen.

Andere Lösungen wären möglich – die nutzt aber nicht jeder

Welche Kommune es wie mache, sei aber maximal intransparent und undurchschaubar, kritisiert der Flüchtlingsrat. Neben den hohen Bau- und Einrichtungskosten veranschlagen manche auch noch die Kosten für Sozialarbeit und Sicherheitsdienst, andere beschränken sich auf die laufenden Betriebskosten der Einrichtung.

„Weil das Sache der Kommunen ist, hat auch niemand einen Überblick“, klagt Öztürk­yilmaz. „Aber die Preisspannen sind enorm: Von maximal 180 Euro in Harburg bis 930 Euro in Hemmingen.“

Schon vor zwei Jahren hat der Flüchtlingsrat eine Fachtagung zum Thema veranstaltet und seither eine Reihe von Einzelfällen betreut, die gerichtlich mit mal größerem, mal kleinerem Erfolg gegen überzogene Gebührenbescheide vorgegangen sind. An der Ausgangslage hat sich aber dadurch nichts geändert.

Die Stadt Hemmingen sagt, sie habe erst einmal alle Gebührenbescheide und Mahnverfahren auf Eis gelegt. Man will die neue Gebührenordnung abwarten. Die verzögert sich allerdings, weil die pandemiegeplagte Verwaltung gerade mit anderen Dingen befasst ist. Immerhin: Es sei nicht geplant, die in der Zwischenzeit auflaufenden Gebührenforderungen nachträglich einzutreiben, sagt ein Mitarbeiter der Stadt auf taz-Nachfrage.

Die Tage der Gemeinschaftsunterkunft im Gewerbegebiet sind ohnehin gezählt, 2022 läuft die Sondergenehmigung endgültig aus. Die Stadt sucht händeringend nach Privatwohnungen für die Geflüchteten. Bisher mit mäßigem Erfolg.

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