Geberkonferenz für Syrien-Kriegsopfer: Lage wird „katastrophal“
Eine Konferenz sammelt Milliardenzusagen für syrische Hilfsbedürftige inner- und außerhalb des Landes. Der Bedarf steigt schneller als die Hilfe.
Maas forderte eine politische Lösung, den Kampf gegen die Straflosigkeit und die Versorgung der Menschen in Syrien und den Nachbarländern. „Das syrische Regime und seine Unterstützer müssen endlich begreifen, dass nur ein ernsthafter politischer Prozess eine tragfähige Zukunft für das Land bereiten kann“, erklärte Maas am Dienstag mit Blick auf die internationale Geberkonferenz in Brüssel. „Scheinwahlen in einem zerstörten Land sind kein Ersatz für echte Verhandlungen.“
Zehn Jahre nach Beginn des Konflikts sei und bleibe die Situation der Menschen katastrophal. „Die Hälfte der Syrerinnen und Syrer musste vor Tod, Zerstörung, Verfolgung und Folter fliehen“, sagte der Minister. Die noch im Land verbliebenen Menschen kämpften zusätzlich noch mit den Folgen der dramatischen Wirtschaftskrise und der Corona-Pandemie.
Die Brüsseler Konferenz, die am Montag begonnen hatte, soll neue Hilfen für die Leidtragenden des Syrien-Konflikts auf den Weg bringen. Die bei der Online-Veranstaltung gesammelten Gelder sind unter anderem für Nahrungsmittel, medizinische Hilfen und Schulbildung für Kinder vorgesehen. Sie sollen über Hilfsorganisationen direkt in das Bürgerkriegsland fließen oder Ländern in der Region zugute kommen, die viele Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen haben.
Zusagen in Höhe von 10 Milliarden US-Dollar
Zum Abschluss der zweitägigen Beratungen werden am Dienstag die Zusagen der Geber erwartet. Der für Krisenhilfe zuständige EU-Kommissar Janez Lenarcic will die Ankündigungen bei der Online-Veranstaltung am Abend bekanntgeben. Am Montag standen zunächst Diskussionsrunden zur Lage der Menschen insbesondere in den Nachbarländern Syriens auf dem Programm. Die eigentliche Geberkonferenz findet dann am Dienstag ab 13 Uhr auf Ministerebene statt. An der Veranstaltung nehmen laut EU 77 Delegierte aus mehr als 50 Ländern teil.
Die Vereinten Nationen hoffen auf Zusagen in Höhe von zehn Milliarden Dollar (8,5 Milliarden Euro). Die Bundesregierung kündigte bereits am Montag für Deutschland einen ähnlich hohen Betrag wie 2020 an, als man 1,58 Milliarden Euro zugesagt hatte. Im vergangenen Jahr waren laut EU für 2020 insgesamt rund 4,4 Milliarden Euro und für die Zeit danach rund 2 Milliarden Euro an Spenden zugesagt worden.
Doch nach Angaben der Hilfsorganisationen wurden nur 45 Prozent der Zusagen tatsächlich gegeben. In den Kalkulationen des UN-Welternährungsprogramms (WFP) schlägt sich das so nieder: Um alle Bedürftigen versorgen zu können, wurden die Essensrationen von 2100 Kalorien am Tag auf 1264 reduziert. Statistisch 40 Prozent weniger. Einige betroffene Familien sagen jedoch, es sei nur noch die Hälfte Reis im Lebensmittelkorb.
Wegen der Corona-Pandemie wird 40 Prozent mehr Wasser benötigt, aber die Finanzierung der Wasserversorgung hält damit nicht Schritt. In einem Brief schrieben örtliche Nichtregierungsorganisationen, dass sie möglicherweise 55 Wasserstationen im von Rebellen kontrollierten Nordwesten Syriens schließen müssen. 740.000 Menschen würden ihre Wasserversorgung verlieren. „Die Lücken sind enorm“, sagt Tue Jakobson von Care International.
Fast 60 Prozent der Menschen leiden Hunger
Nach UN-Angaben litten zuletzt 12,4 Millionen Syrer inner- und außerhalb des Landes und damit fast 60 Prozent der Bevölkerung Hunger. Die Zahl der Menschen, die ohne Ernährungshilfe nicht überleben können, verdoppelte sich innerhalb eines Jahres. Innerhalb Syriens sind mehr als die Hälfte der 13,4 Millionen verbliebenen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen – eine Zunahme von 20 Prozent gegenüber 2020.
„Wir haben nicht annähernd genug Geld, all die Hilfe zu geben, die benötigt wird“, sagt der stellvertretende UN-Koordinator für humanitäre Hilfe in Syrien, Mark Cutts. „Es ist einfach nur ein Kampf ums Überleben für diese Menschen, und oft sind es Frauen, Kinder, ältere und behinderte Menschen, die am meisten leiden.“
UN-Flüchtlingshochkommissar Filippo Grandi sagte: „Nach einem Jahrzehnt im Exil hat sich die Not der Flüchtlinge durch die erdrückenden Auswirkungen der Pandemie, den Verlust von Lebensunterhalt und Bildung, zunehmenden Hunger und Verzweiflung verstärkt.“ Die internationale Gemeinschaft dürfe „weder den Flüchtlingen noch ihren Gastgebern den Rücken kehren“. Bleibe Hilfe aus, werde die Lage „katastrophal“.
Von den mindestens zehn Milliarden Dollar seien 4,2 Milliarden Dollar für humanitäre Hilfe in Syrien selbst nötig, erklärten die Vereinten Nationen. Weitere 5,8 Milliarden Euro würden gebraucht, um Flüchtlinge in Nachbarländern zu unterstützen.
US-Außenminister Antony Blinken hat derweil den UN-Sicherheitsrat für dessen Umgang mit Syrien scharf kritisiert. Das Gremium müsse aufhören, aus dem Ringen um humanitäre Hilfe eine politische Angelegenheit zu machen, mahnte Blinken am Montag. Vielmehr solle der Sicherheitsrat dafür sorgen, mehr Grenzübergänge in Syrien für Lieferungen von Lebensmitteln und anderen Gütern für 13,4 Millionen notleidende Menschen zu öffnen.
Der Sicherheitsrat dürfe sich nicht länger an Attacken auf Krankenhäuser „beteiligen oder diese entschuldigen“, sagte Blinken. Dies gelte auch für Angriffe auf Areale nahe dem einzigen noch offenen Grenzübergang aus der Türkei, die den Zugang zu humanitärer Hilfe abgeschnitten hätten, sagte er. Für die Attacken werden Assad-Truppen und verbündete russische Truppen verantwortlich gemacht.
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