Gastkommentar: Lieblose Schulpolitik
■ PISA und Umbau der Bremer Schulen, die taz bat Helmut Zachau um eine Stellungnahme
Die Pisa-Studie bestätigt den Zustand unseres Bildungswesens, wie er Insidern eigentlich schon lange bekannt ist: Die Quote von 10 Prozent an Jugendlichen, die unsere Schulen Jahr für Jahr ohne Abschluss verlassen, war schon Gegenstand mehrerer Parlamentdebatten. Die seit Jahren rückläufige Bildungsbeteiligung ist dokumentiert und die Defizite im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich sind durch die TIMSS-Studie belegt. Trotzdem geben sich insbesondere die Bildungsspezialisten von den veröffentlichten Ergebnissen überrascht.
Damit werfen sie ein Schlaglicht auf die Qualität der Bildungsdebatten: Fakten werden ignoriert und nicht reflektiert. In der Kommentierung haben immer die anderen Schuld. Schnell werden Patentrezepte formuliert, und substanziell geändert wird eigentlich nichts. Dabei lassen sich auf der Grundlage von Pisa die alten Debatten nun wirklich nicht mehr führen, weil die Studie sich nicht als Nachweis dafür eignet, ob Gesamtschulen oder traditionelle Gymnasien bessere Ergebnisse bringen. Notwendig ist jetzt die Diskussion über den Kontext des Lernens in den Schulen.
Diesbezüglich weist die Studie vier wesentliche Ergebnisse aus: In keinem Land ist die soziale Herkunft der SchülerInnen wesentlicher für den Lernerfolg als bei uns. In allen erfolgreicheren Ländern agieren die Schulen mit deutlich mehr Eigenverantwortlichkeiten als in Deutschland. Dort ist die Wertschätzung der Bildung gesellschaftlich größer als bei uns, was sich an den Ausgaben ablesen lässt. Alle erfolgreicheren Länder haben Ganztagsschulen.
Das heute überregulierte Schulsystem bringt eine Kultur der weitgehenden Verantwortungslosigkeit hervor. Viele Lehrer engagieren sich über alle Maße für ihren Unterricht – aber die Anzahl derer, die sich für ihre Schule – also für die über den 45-Minuten-Takt hinausgehenden Teil des Schullebens einbringen, ist schon eher gering. Das Gleiche gilt für die SchülerInnen und Eltern.
Erziehung zur Verantwortung setzt die Möglichkeit zum eigenverantwortlichen Gestalten seiner Schule voraus. Die Entwicklung hierzu ist übrigens auch einer der klaren Aufträge im Bildungsteil der Agenda 21. Schulen sind den BürgerInnen gehörende Einrichtungen, die auch von diesen verantwortlich genutzt und gestaltet werden sollen. Deswegen sollte der in Bremen vorgelegte Gesetzentwurf einer Entwicklung der Schulen zu selbständigen Anstalten des öffentlichen Rechts unterstützt werden, denn dadurch wird die Schule von einer zentral gelenkten zu einer dezentral – also eigenverantwortlich gestalteten Einheit.
Aber offensichtlich sind Politiker, Gewerkschafter, Arbeitgeberverbände und manche Bildungsbürokraten schon damit überfordert, auch nur Versuche zu unterstützen, die diesen Weg ausprobieren wollen. Pikant sind die öffentlichen Erklärungen von einigen aus dieser Gruppe: Der Einfluss von Politik und Verwaltung würde schwinden. Genau das ist aber eine der Voraussetzungen für eine Verbesserung des Bildungswesens.
Ich schlage folgende Arbeitsteilung vor: Die Finanzierung des Bildungssys-tems muss auf eine deutlich bessere Grundlage gestellt werden. Wenn Gebäude seit 30 Jahren nicht renoviert wurden, dann lässt eine solche organisierte Lieblosigkeit keine Lernfreude aufkommen. Lehr- und Lernmittel müssten schon über eine gewisse Aktualität verfügen. Wie wäre es, wenn Politik in dieser Frage endlich einmal relevant etwas bewegen und uns, die wir in den Bildungseinrichtungen arbeiten und lernen, die Verantwortung dafür übertragen würde.
Meine Bitte an alle Beteiligten ist: Nennt nicht die Defizite der anderen, sondern sagt, was ihr als Lehrer, Eltern, Schüler oder Politiker konkret tun wollt, damit wir unseren Kindern eine bessere Zukunft ermöglichen. Das wäre ein guter Anfang.
Helmut Zachau
Helmut Zachau war früher Bürgerschaftsabgeordnet-er für die Bremer Grünen mit dem Schwerpunkt Bildung. Vor anderthalb Jahren hat er sein Mandat niedergelegt und ist als Direktor an das Schulzentrum Walle zurückgekehrt. Der 53-Jährige hat an der Projektgruppe für den Bremer Gesetzentwurf „Umwandlung der Schulen in Anstalten öffentlichen Rechts“ mitgearbeitet.
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