Gastkommentar zu FDP & Antifaschismus: Widerlich und geschichtsvergessen
Statt zur Vernunft zu kommen wiederholt der FDP-Fraktionschef seine kruden Thesen. Die Wahrheit ist zu komplex für Sebastian Czaja, meint der Grüne Werner Graf.
Z ehntausende Menschen gehen in diesen Tagen in Chemnitz und in vielen anderen Städten auf die Straße gegen Rassismus, gegen Antihumanismus, gegen Gewalt und für Demokratie. Sie demonstrieren gegen neue und alte Faschisten, die sich immer mehr aus ihrer Deckung trauen und mit Hitlergruß und Naziparolen auflaufen. Damit sind sie im besten Sinne des Wortes Antifaschisten.
Ausgerechnet in dieser Situation verteidigt Sebastian Czaja, Fraktionschef der Berliner FDP, in einem Gastbeitrag am Montag in der Berliner Morgenpost seinen Tweet aus der vergangenen Woche, wonach Antifaschisten auch Faschisten seien. Überschrift: „Feuer löscht man am besten mit Wasser, nicht mit Feuer.“ Das ist widerlich und geschichtsvergessen zugleich!
Es ist geschichtsvergessen, da Czaja Menschen, die unter Einsatz ihres Lebens gegen Mussolini oder Hitler gekämpft haben, auf eine Stufe mit diesen Menschenfeinden, mit diesen Mördern und Schlächtern stellt. Der Ursprung des Worts Antifaschismus liegt in den 1920er Jahren und bezeichnete die Personen, die gegen faschistische diktatorische Regime kämpften. Für Herrn Czaja sind Sophie Scholl und Willy Brandt Faschisten. Anders kann ich seinen Satz nicht lesen.
Umso absurder ist es, dass er nun selbst Staatssekretärin Sawsan Chebli angreift, weil sie schrieb: „Wir sind zu wenig radikal.“ Er macht daraus einen Aufruf zu Gewalt und nutzt die Gelegenheit, sich zu empören. Er könnte es besser wissen. Er könnte Frau Chebli längst als manchmal streitbare, aber immer engagierte Streiterin für ein demokratisches Gemeinwesen kennen. Er könnte es besser wissen? Nein, er weiß es besser.
Werner Graf, 38, ist einer der beiden Berliner Landesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen.
Die Empörung ist reines Kalkül
Die Empörung des Sebastian Czaja ist Kalkül. Er will die Demokraten spalten, um für die FDP am rechten Rand zu fischen. Er differenziert nicht, sondern erklärt, alle Antifaschisten wollten „den demokratischen Rechtsstaat überwinden“. Er verallgemeinert und vereinfacht, bis er sich über alle, die nicht seiner Meinung sind, erheben kann. Antifaschisten seien nur noch Gewalttäter, die etwa in der Rigaer Straße wohnten, gegen die der Staat machtlos sei.
Doch die Wahrheit ist komplizierter. Wer in Zeiten des Populismus die Demokratie verteidigen will, muss die Kraft haben, komplizierte Sachverhalte auszuhalten und zu erklären. Wer aber hetzt, statt zu erklären, der hat sich vom ursprünglichen Liberalismus der eigenen Partei unendlich weit entfernt und steht der Rhetorik der Populisten in nichts mehr nach.
Denn zur Wahrheit gehört, dass nicht die ganze Rigaer Straße besetzt ist, auch nicht ein ganzes Haus, sondern ein paar Wohnungen. Zur Wahrheit gehört, dass selbst der ehemalige CDU-Innensenator dort nicht räumen durfte, da nicht bekannt ist, wem das Haus gehört. Nur der Eigentümer darf in unserem Rechtsstaat ein Räumungsgesuch stellen. Schon dieses geringe Maß an Komplexität passt nicht in das Weltbild eines Sebastian Czaja. Sonst müsste er eingestehen, dass nicht die Besetzer, sondern die neoliberale Gesetzgebung im Bereich des Immobilienbesitzes das Problem ist.
Mafiosi aus Russland, Italien und vielen anderen Ländern waschen ihr Geld nicht mehr auf den Cayman-Inseln, sondern auf dem deutschen Immobilienmarkt, da es hier einfacher ist. Geld aus Menschen- oder Waffenhandel verschärft also die Berliner Wohnungskrise. Diese Geldwäsche ließe sich gut bekämpfen. Aber eben nicht „entschieden liberal“, wie Herr Czaja behauptet, sondern nur, indem wir etwa mit einem verpflichtenden Eigentümerverzeichnis das Wissen schaffen, wem die Häuser gehören und woher das Geld stammt.
Noch mal: Wir müssen den Mut haben, komplizierte Sachverhalte in all ihren Facetten darzustellen. Wir dürfen Menschen nicht von vornherein für dumm verkaufen. Wer, wie von Sebastian Czaja gefordert, Feuer immer mit Wasser löscht, der macht aus etwas brennendem Öl in der Pfanne ein Inferno in der ganzen Küche. Wer auf der Jagd nach Wählerstimmen die Rhetorik der Populisten aufgreift, zündelt am gesellschaftlichen Zusammenhalt. Im Kampf gegen diejenigen, die nicht nur in Chemnitz mehr und mehr offen auf die Straße gehen, geht es aber darum, mit aller Klarheit diesen Faschisten zu sagen: Keinen Fußbreit werden wir euch weichen! Und unter allen Demokraten Solidarität üben – als Antifaschisten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers