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GastbeitragDürfen Berlins Lehrer streiken?

Nicht dürfen – die Lehrer müssen streiken, solange der Senat sich nicht bewegt, schreibt der ehemalige Schulleiter Wolfgang Harnischfeger.

Schon mehrfach streikten die Lehrer, hier im Sommer diesen Jahres. Bild: dpa

Das Unbehagen, das mit einem Lehrerstreik verbunden ist, kommt von dem schwer erträglichen Gedanken, die Schüler könnten die Leidtragenden eines solchen Ausstands sein. Das hat man jedoch in Kauf genommen, als man den Lehrern den Beamtenstatus nahm. Sie sind jetzt normale Arbeitnehmer, mit allen Rechten, einschließlich Streik, und man darf an sie keine höheren moralischen Anforderungen stellen als an andere Berufsgruppen. Von der Gewerkschaft kann man Kompromissbereitschaft fordern, nicht aber den Verzicht auf ihr einziges ernsthaftes Kampfmittel.

In der gegenwärtigen Berliner Situation sind deshalb drei Fragen zu stellen: Rechtfertigt das Anliegen der angestellten LehrerInnen einen Streik? Wurden Verhandlungen mit dem Arbeitgeber gesucht, und: Nimmt die Gewerkschaft ihre Verantwortung wahr?

Die Antworten sind klar: Bis zu 400 Euro weniger für dieselbe Tätigkeit sind ein hinreichendes Streikargument, der Senat verweigert alle Gesprächsangebote, die die GEW schon fast flehentlich an ihn richtet, selbst nachdem ein Gericht die Zulässigkeit von Streikmaßnahmen bescheinigt hat, und während der Streiks wurden bislang immer und überall Notdienste eingerichtet, kein Kind blieb unbetreut, keine Abiturprüfung fiel aus.

Wolfgang Harnischfeger

70, war 18 Jahre lang Schulleiter der Beethoven-Schule in Lankwitz und davor auch Lehrer für Deutsch und Geschichte.

Selbst die steigenden Pensionslasten rechtfertigen die Verweigerungshaltung des Senats nicht, denn er hätte längst Pensionsfonds gründen können. Wer Lehrkräfte als Angestellte beschäftigen und den Schulfrieden erhalten will, muss drei Maßnahmen einleiten: tariflich abgesicherte gleiche Nettoentlohnung wie bei Beamten, Funktionszulagen bei Übernahme entsprechender Ämter, perspektivische Zuwächse bei zunehmender Berufserfahrung.

Das Nettogehalt eines ledigen dreißigjährigen angestellten Lehrers mit Studienratsstatus beträgt in Berlin etwa 2.500 Euro pro Monat. Was für einen Berufsanfänger akzeptabel ist. Das Problem ist, dass ein fünfzigjähriger Angestellter mit Familie kaum mehr verdient, und dann liegt er bei einer siebenjährigen akademischen Ausbildung am untersten Ende vergleichbarer Berufe.

Der Finanzsenator erklärt, er sei für Verhandlungen mit den Junglehrern nicht zuständig. Das ist inakzeptabel, weil der Berliner Senat immer zuständig ist für die elementaren Belange der Stadt, wozu eine funktionierende Schule gehört. Nach allen Untersuchungen hängt das Gelingen von Schule entscheidend an den Lehrkräften, ihrer fachlichen Qualifikation und ihrer Motivation. Deshalb würde kein Unternehmen seine Mitarbeiter so planvoll gering schätzen und auflaufen lassen, wie der Berliner Senat das tut.

Mit dieser Haltung wird die Gewerkschaft zwangsläufig in Kampfmaßnahmen beim Mittleren Schulabschluss, beim Abitur oder den Zeugnissen im nächsten Jahr getrieben. Dann wird der Konflikt tatsächlich auf dem Rücken der Schüler ausgetragen, was verhindert werden muss. Der Senat hat sich lange genug weggeduckt wie ein Hase in der Ackerfurche. Er muss jetzt aktive Politik betreiben und Verhandlungen anbieten.

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15 Kommentare

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  • G
    gast

    Also meine Schülerinnen und Schüler haben eine bessere Diskussionskultur als die feinen Damen und Herren auf dieser Kommentarseite.

    Schämt euch, dass ihr euch an so einem Thema gegenseitig so unqualifiziert aufreibt. Ohne vernünftige Bildung sind wir eh bald die Idiotenrepublik.

     

    Referendariat dauert noch immer 24 Monate, soll demnächst auf 18 gekürzt werden. (ausgenommen Grundschullehrer)

  • G
    guest

    Mit dem Nettogehalt zu argumentieren ist fragwürdig. Vor allem weil darin nur der "ledige 30-jährige" Lehrer erfasst ist. Andere Arbeitnehmer bezahlen schließlich auch jede Menge Steuern. Trotzdem sollte sich die Gesellschaft angesichts der gestiegenen Anforderungen an die Lehrer fragen, ob diese Arbeit nicht besser bezahlt werden sollte.

    Die Regelstudienzeit liegt bei fünf und nicht sechs Jahren und das Referendariat dauert übrigens auch nur noch ein Jahr. Die Vergütung für das Referendariat liegt dabei ungefähr auf Hartz4-Niveau.

    • DH
      Der Herr Seminarleiter
      @guest:

      Das Referendariat dauert für Gymnasiallehrer_innen immer noch zwei Jahre, für alle anderen ein Jahr. Zukünftig wird es wohl auf 1,5 Jahre für alle hinauslaufen.

  • AS
    Al Simmons

    Interessant das Lehrerbashing der vorrausgehenden Kommentatoren. Andererseits ist das Geschrei nach engagierten Pädagogen doch auch immer recht groß. Nur mit der Entschädigung für die geleistete Arbeit die hier in Aussicht gestellt wird, könnte ich mir ein Ingenieurstudium viel besser vorstellen. Da gibt´s denn auch mehr fürs sich Ausbeuten lassen. Man kann natürlich die Kinder auch im Regen stehen lassen und von unmotivierten, unterbezahlten oder ausgebrannten Menschen auf dem Weg ins Erwachsenendasein begleiten lassen. Die nächste Generation von Konsumidioten, Nichtwählern (oder schlimmeres) und nicht über den Randschauer könnte dann schon in wenigen Jahren begrüßt werden. Engagierte Mitarbeiter gibt es doch nur wenn zumindest die Vorgesetzten die geleistete Arbeit wertschätzen und dementsprechend ist auch die Vermittlung und der Umgang mit den Anvertrauten.

  • G
    Gaston

    unter umständen lernen die schüler vielleicht sogar mehr, während die Lehrer streiken, als wenn sie unterrichten

     

    könnte ja sein

  • T
    Twosides

    Lehrer sollten grundsätzlich und bundesweit nicht mehr verbeamtet werden! Jeder andere Angestellte trägt die volle Steuer- und Abgabenlast, nur die Herrschaften Beamten brauchen eine Extrawurst. Warum eigentlich? Der Lehrerjob ist zweifelsohne nicht leicht, aber welcher ähnlich vergüteter Job ist das schon? Bitte weniger Gejammer.

  • W
    walter

    Der mit dem Schild ist sicherlich ein Waldorflehrer...

  • S
    Super

    In einer Stadt wie Berlin in der das Nettoeinkommen vieler "Doppelverdienerhaushalte" nicht mal 2.500€ Netto im Monat erreicht dürfte sich das Mitleid mit den armen Lehrern arg in Grenzen halten.

    • G
      gast
      @Super:

      In diesen Doppelverdienerhaushalten wurde aber nicht sechs Jahre studiert und ein zweijähriges Referendariat abgeleistet. Warum sollte für einen Beruf, der die gleiche Qualifikation und den gleichen zeitlichen Ausbildungsumfang wie z.B. für einen Arzt erfordert nur 2500 Euro (netto) bezahlt werden? Nur weil andere noch weniger bekommen? Argumentation nicht stichhaltig, setzen, sechs.

      • L
        Lehrer
        @gast:

        Absolut richtig!

         

        In Berlin werden kommendes Jahr 557 Referendare fertig, Berlin benötigt aber erwiesenermaßen mehr als 2000 neue Lehrer in 2014! Wo sollen die denn herkommen? Sagen sich 1500 Junglehrer "Okay, ich verzichte auf Geld, aber habe dafür schön viel Action an einer Berliner Brennpunktschule"?

         

        Leute, macht die Augen auf! Das Berliner Schulsystem steht kurz vor dem Kollaps! In diesem Schuljahr waren 1400 Stellen frei und man konnte 1370 Lehrer einstellen. Aber wisst ihr auch was diese beiden Zahlen aussagen? Berlin musste JEDEN LEHRER einstellen, der sich beworben hat, völlig egal ob geeignet oder nicht!

        In meinem Kollegium gibt es Lehrer, die wohnen im Harz und in Hessen, arbeiten aber unter der Woche in Berlin, weil sie zuhause niemals einen Job bekämen.

         

        DAS ist die Realität!

      • S
        Super
        @gast:

        Inhalt des Textes nicht erfasst, Thema verfehlt.

        Setzen, sechs!

      • FS
        Faule Säcke
        @gast:

        Sechs Jahre Studium als Lehrer. Da kommen aber viele Joints zusammen ...

        • L
          leser
          @Faule Säcke:

          Laut statistischem Bundesamt beträgt die Durchschnittsdauer eines Lehramtsstudiums auf Studienrat 12,1 Semester, also mehr als sechs Jahre. Wer sich die Anforderungen ansieht weiß warum.

          Viele Lehramtsstudenten arbeiten nebenbei weil das Studium sonst nicht finanzierbar wäre, müssen noch eben schnell nebenbei Latein lernen u.a.

           

          Da ist Ihr "lustiger" Kommentar leider nur zynisch ...

      • G
        Gast2
        @gast:

        Der Median des Nettoäquivalenzeinkommens der Bevölkerung Deutschlands lag im Jahr 2008 bei 1 772 Euro pro Monat. (https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/EinkommenKonsumLebensbedingungen/EinkommenEinnahmenAusgaben/Aktuell_Einkommensverteilung_EVS.html)

         

        Nur eine kleine Zahl unter den promovierten Akademikern in meinem Bekanntenkreis verdient mehr als €2500 (bei deutlich längerem Studium und schon gar nicht als Einstiegsgehalt).

         

        Was Medizin angeht, stimmen die angenommenen GEhälter nach meinem Empfinden auch nicht:

         

        "Im unteren Drittel haben 30.000 Mediziner aber nur durchschnittlich zwischen 1.600 und 2.000 Euro zur Verfügung. Im mittleren Drittel sind es zwischen 2.100 und 3.500" (http://www.n-tv.de/politik/dossier/Arme-Aerzte-reiche-Aerzte-article15187.html) Über den Vergleich zwischen Lehrerausbildugn und Medizinstudium sollen andere entscheiden.

        • A
          aha
          @Gast2:

          warum sollten junglehrer in berlin bleiben oder nach berlin gehen, wenn sie in anderen bundesländern mehr geld bekommen und ggf. sogar einfachere schüler haben?

          berlin hat einen großen lehrermangel und der wird nicht gehoben, indem man den lehrern weniger geld zahlt