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Gastbeitrag der MDR-Intendantin„Dokus bleiben unverzichtbar“

Karola Wille reagiert in diesem Gastbeitrag auf die wiederholte Kritik von DokumentarfilmerInnen an der ARD.

Dokumentationen können Schlagzeilen machen – wie gegenwärtig der vielbesprochene „Generation Wealth“ von Lauren Greenfield Foto: Lauren Greenfield

Wenn am Mittwochabend bei den „Top of the Docs“ der diesjährige Sieger ausgezeichnet wird, gehört die Debatte über Stellenwert und Ausstattung dokumentarischer Produktionen dazu. Reportagen, Dokumentationen und lange Dokumentarfilme mit ihrer Tiefenschärfe und ihrer Fähigkeit, den Dingen auf den Grund zu gehen, sind und bleiben unverzichtbarer Bestandteil unseres Angebots.

Bei aller Detailkritik von Machern und Verbänden: Die ARD hält die Kultur- und Kreativwirtschaft stark und lebendig – und dies gilt natürlich auch für dokumentarische Produktionen. 2017 strahlten Das Erste und die Dritten Programme der ARD 2.165 Stunden an neuproduzierten Dokumentationen und Reportagen aus. Das sind rund sechs so genannte Erstsendestunden pro Tag.

Beim langen Dokumentarfilm gab es 2017 63 Neuproduktionen im Bereich langer Dokumentarfilm, davon 17 im Ersten. Schaut man in den ARD-Produzentenbericht, ergibt sich für das Genre ein deutlicher Anstieg: 2014 haben wir für dokumentarische Produktionen rund 44 Millionen Euro in die Hand genommen, 2016 lagen wir schon schon bei 51,5 Millio­nen Euro.

Sind diese Produktionen damit angemessen finanziert? Auf der Grundlage der ARD-Selbstverpflichtung „Eckpunkte 2.0 für ausgewogene Vertragsbedingungen und eine faire Aufteilung der Verwertungsrechte“ fließen seit 2017 mehr Mittel in das Doku-Genre, da bei allen Auftragsproduktionen zusätzliche Kalkulationsposten anerkannt werden. Dieser „Kalkulationsrealismus“ wird dabei regelmäßig überprüft.

Karola Wille

ist seit 2011 Intendantin des Mitteldeutschen Rundfunks. In der ARD ist sie als Filmintendantin auch für den Dokumentarfilm zuständig. Von Anfang 2016 bis Ende 2017 war sie zudem Vorsitzende der ARD.

Im Rahmen dieser „Eckpunkte 2.0“ werden zusätzlich über das „Leistungsmodell“ insgesamt 600.000 Euro an Doku-Produzentinnen und Produzenten zur Entwicklung neuer Projekte vergeben, um so Innovation nachhaltig zu fördern.

Es ist aus unserer Sicht auch gut, dass die AG DOK immer wieder Schwung in die Debatte bringt – ganz aktuell bei der Bezahlung von Autoren (Buch/Regie). Hier brauchen wir für beide Seiten tragfähige Lösungen.

Dokumentationen zur Primetime

Und auch an den stets monierten Sendeplätzen sind wir dran: Im Ersten wird sich die ARD mehrmals im Jahr zur Primetime um 20.15 Uhr mit Dokumentationen gesellschaftlich relevanten Geschichten widmen. Und wir haben beim MDR seit Jahresanfang einen weiteren festen Sendeplatz jeweils sonntags um 22.20 Uhr geschaffen.

Bei aller Detailkritik von Machern und Verbänden: Die ARD hält die Kultur- und Kreativwirtschaft stark und lebendig

In der digitalen Welt muss es unser Ziel sein, unsere Produktionen nutzerfreundlich und lange in den Mediatheken der ARD zu präsentieren. Doku-Formate werden hier besonders kuratiert und herausragende Produktionen schon seit 2016 mit dem Siegel „Must see“ beworben. Dabei ist uns klar, dass eine faire Aufteilung der Verwertungsrechte mit den Macherinnen und Machern dazugehört.

Doch Geld allein ist nicht alles. Vieles hat sich auch im Miteinander von Redaktionen und Machern in den letzten Jahren bewegt. Wichtig ist dazu an erster Stelle der Dialog. Hier mussten sich, wenn wir ehrlich sind, beide Seiten aufeinander zubewegen. Wir haben es getan, und es hat sich gelohnt – und wird sich weiter lohnen. Zwei Mal haben sich die Doku-Redaktionen der ARD und von Arte bereits mit den Macherinnen und Machern und den Verbänden – der AG DOK und der Doku-Sektion der Produzentenallianz zu Programmwerkstätten in Leipzig getroffen. Dabei wurden kontroverse Themen alles andere als ausgespart, denn es geht um Dialog auf Augenhöhe, bei dem wir alle dazulernen. Der Termin für die dritte ARD-Programmwerkstatt in Leipzig (1. November 2018) steht übrigens schon fest.

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6 Kommentare

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  • Ich LIEBE Dokumentationen, insbesondere im Themenkomplex Natur.

    Leider sind deutsche Dokus meist den britischen weit unterlegen. Ob das am Ausnahmetalent eines Sir Attenborough liegt, an kulturellen Einflüssen oder an politischem Willen - das kann ich nicht sagen.

     

    Beispiel: Die Doku-Reihe "Wildes Deutschland" - es wird ungefähr fünfmal erwähnt, dass das Wattenmeer sehr veränderlich ist.

    Das natürliche Leben der Tiere wird eher am Rand betrachtet, mit starkem (anthropozentrischen) Fokus auf "höhere" (Wirbel-) -Tiere. Die Menschen wurden absolut plakativ gezeichnet, wie Pappaufsteller.

    Wissenschaftliche Tiefe oder neue Erkenntnisse (für mich).

    Schlimmer sind nur US-Produktionen, in denen alles gefährlich, böse, ein Monster oder so was ist. Mit vielen Freeze-frames und knalligen Einblendungen.

    Nein, da bleibe ich bei BBC Nature - meine Empfehlung: Life in the Undergrowth

  • "Und wir haben beim MDR seit Jahresanfang einen weiteren festen Sendeplatz jeweils sonntags um 22.20 Uhr geschaffen."

    Da läufts parallel zu Anne Will auf der ARD...

    Wenn die ÖR sich besser absprechen würden, könnte m.E. mehr (meinetwegen auch dann als Wdh. weil Erstsendung auf ARD spätnachts) zu ner arbeiterfreundlichen Zeit laufen.

  • Ach ja, die große Zahl!

     

    2.165 Stunden – das klingt erst einmal viel. Wer schaut schon 2.000 Stunden am Stück TV-Dokus an? Aber 9 Dritte und die ARD haben in 2017 insgesamt 365 Tage x 24 Stunden pro Tag = 87.600 Stunden Programm gesendet. Macht einen Anteil der Dokumentationen an der Gesamtsendezeit von gerade mal 2,5 %. Na ja, nicht ganz. Und diese Stunden liegen auch noch teilweise ganz knapp vor Mitternacht.

     

    Wie damit die „dokumentaristischen Produktionen“ als Teil der „Kultur- und Kreativwirtschaft stark und lebendig“ gehalten werden können, hätte ich gerne erklärt. Auch, weil ich den kleinen "Rest" von 97,5% mitbezahle, auch wenn ich den nicht konsumiere.

     

    Schließlich: Dokumentationen macht man nicht so nebenbei. Dokumentationen sind teuer. Sie kosten Zeit und Nerven und also Geld. Tendenz: Steigend. Wie leider überall. Dokus sind viel teurer, als beispielsweise Talkshows, drittklassige US-Serien oder ausgemusterte 70-er-Jahre Blockbuster, die es im Dutzend offensichtlich billiger gibt.

     

    Würde Karola Wille wirklich glauben an die „Tiefenschärfe“ von Dokus und „ihrer Fähigkeit, den Dingen auf den Grund zu gehen“, würde sie mehr davon senden. Auch mit Rücksicht auf den Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen. Mehr, als an den Sendeauftrag, glaubt Frau Wille aber offenbar an Geld – und vielleicht auch daran, dass es schon genug „besorgte Bürger“ gibt.

     

    Wahrscheinlich ist sie genau deswegen seit 2011 MDR-Intendantin und zwei Jahre lang ARD-Vorsitzende gewesen. Ich möchte wetten, die haben da ein AC abgehalten, um Frau Wille auszuwählen. Ein Assessment Center, meine ich. Das ist so etwas wie DSDS oder Germanys Next Topmodel für Anspruchsvolle. Sehr beliebt bei Leuten, die sich selber lieber urteilen sehen, als beurteilt werden wollen - und die genau wissen, warum.

  • Für gut recherchierte Journalistenarbeit, die in aussagekräftigen Dokus münden, zahle ich gerne meinen Rundfunkbeitrag.

     

    Der Dauerbeschuss der ÖR durch die Rechtsaußen-Anti-GEZ-Wühlarbeit (AfD natürlich in vorderster Front)zeigt wie wichtig es ist aufklärerisch im öffentlich-rechtlichen Auftrag zu arbeiten.

     

    Die Rechtsextremisten stören sich an investigativer Presse- oder TV-Arbeit und einer damit verbundenen kritischen Öffentlichkeit, die genau hinschaut, was sich im rechtem Sumpf abspielt (IB, Reconcista G., Rechtsterrorismus, AfD-Umfeld).

     

    Polen, Ungarn sind die Negativbeispiele, wo es hinführt wenn Rechtsradikale an der Macht sind. Dokus mit kritischem Inhalt wie bei uns im ÖR gibt es dort nicht (mehr).

  • Dokumentarbeiträge sind extrem wichtig. Wenn es nach mir ginge bräuchte es neben den Nachrichten, außer diesen nicht viel mehr. Über die Sendeplätze könnte man noch sprechen, viele tolle Dokumentarfilme habe ich Nachts um halb zwölf auf Phoenix gesehen, keine Ahnung ob die auch mal zu einer angenehmeren Tageszeit liefen. Aber da habe ich mich schon oft, warum so etwas Wichtiges nicht zu einer besseren Sendezeit läuft.

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Da stimme ich Frau Wille zu: Dokumentationen aller Art gehören bestimmt zum öffentlich-rechtlichen Auftrag.

    Aber viele andere Formate, wie die grenzenlose Sucht, Krimis für den christlichen Sonntagabend zu produzieren und die große Freizügigkeit mit Geldern, wenn jemand 2 Skier umgeschnallt hat, einen Fußball von rechts vorne nach links hinten haut oder mit dem Biathlongewehr irgendwo hinschießt, sollten schon hin und wieder überprüft werden, ob sie öffentlich-rechtlich geboten sind.